Besser als Corona-Tests: Abwassermonitoring erfasst Pandemie-Geschehen
Österreich ist Vorreiter beim Abwassermonitoring: Mithilfe der Analyse von Ausscheidungen kann das Infektionsgeschehen eines ganzen Landes erfasst werden – schneller, günstiger und flächendeckender als mit Antigentests.
Beim Abwassermonitoring werden Virenpartikel sequenziert und analysiert. Die daraus resultierenden Daten können genutzt werden, um die räumlich-zeitliche Häufigkeit bestimmter Virusvarianten zu erfassen – schneller und günstiger als mit einem Coronatest.
Ist der Corona-Schnelltest positiv, ist es meistens schon zu spät: Laut dem Paul-Ehrlich-Institut in Langen schlagen die geläufigen Antigentests erst bei einer Viruslast von einem CT-Wert kleiner oder gleich 25 an. Bereits ab einem CT-Wert von 30 können infizierte Personen allerdings schon ansteckend für ihr Umfeld sein, so Expertinnen und Experten – je niedriger die Zahl, desto höher die Viruslast. Das bedeutet: Die Antigentests zeigen Infektionen oftmals zu spät an. Durch die verspätete Reaktion können sich in der Zwischenzeit weitere Menschen mit dem Virus infizieren und Kettenreaktionen entstehen.
Eine aktuelle Studie der ÖAW, MedUni Wien und Universität Innsbruck könnte nun Abhilfe schaffen. In der Zeitschrift Nature Biotechnology stellen die Forschenden aus Österreich eine zunächst ungewöhnlich klingende Methode vor, Infektionen in der Bevölkerung zu tracken: Abwassermonitoring. Dieses liefere schnellere und präzisere Ergebnisse als jeder Corona-Test.
Viren im Abwasser aufspüren
Seit 2020 ist das Sequenzieren von Viruspartikeln aus Abwasserproben ein wichtiger Teil der Pandemie-Eindämmung Österreichs. Dazu werden regelmäßig Proben des Abwassers aus Klärwerken entnommen, ausgewertet und auf SARS-CoV-2-Partikel analysiert. Die RNA-Virusfragmente befinden sich in den Ausscheidungen infizierter Personen und können bereits in geringsten Konzentrationen im Abwasser nachgewiesen werden – sogar vor Eintritt der ersten Symptome. Eine weitere Besonderheit: So lassen sich auch bisher nicht getrackte Infektionen von Menschen mit asymptomatischen Verläufen oder mit milden Symptomen nachweisen.
Für ihre Studie sequenzierten und analysierten die Forschenden im Zeitraum von Dezember 2020 bis Februar 2022 insgesamt 3.413 Abwasserproben aus 90 Einzugsgebieten und Kläranlagen. Diese deckten wöchentlich mehr als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung ab. Mithilfe einer von ihnen entwickelten Software namens VaQuERo konnten sie daraufhin feststellen, wie häufig das Virus in welchem Gebiet und zu welcher Zeit aufgetreten ist. Ihre Ergebnisse validierte das österreichische Forschungsteam anhand von epidemiologischen Aufzeichnungen der AGES und 311.000 Einzelfällen, die im Zeitraum der Studie gemeldet wurden.
Abwassermonitoring: Das Frühwarnsystem der Pandemie
Die Resultate waren erstaunlich präzise. „Für jede Woche und jedes Einzugsgebiet, in denen laut epidemiologischem Meldesystem eine bestimmte Variante zumindest einmal auftrat, sehen wir in 86 Prozent der Proben derselben Woche ein entsprechendes Signal im Abwasser. Umgekehrt sehen wir in rund 3 Prozent der Abwasserproben Varianten, die dem Patienten-basierten System entgangen sind“, erklärt Fabian Amman, Bioinformatiker und Erstautor der Studie. Mit dem Abwassermonitoring könnten sie so „einen sehr genauen Überblick über das Pandemiegeschehen eines ganzen Landes bieten“.
Durch das Überwachen des Abwassers könnten Infektionsausbrüche früher erkannt und so schneller eingedämmt werden. Auch die vorherrschende Virusvariante könne anhand der Viruspartikel im Abwasser genau bestimmt sowie Dunkelziffern von nicht gemeldeten Fällen aufgezeichnet werden. Dabei sind die Datensätze stets anonymisiert und werden in einem standardisierten Verfahren gesammelt. Abwassermonitoring gilt mittlerweile nicht nur unter Expertinnen und Experten, sondern auch in den europäischen Regierungen als wichtiges Früh- und Entwarnsystem der Pandemie.
Schneller, günstiger und effizienter als Coronatests
Auch in Deutschland wird das Abwassermonitoring seit dem Frühjahr 2022 für ein Jahr lang getestet: 20 Städte wurden für das Pilotprojekt, das von der Europäischen Union mit 3,7 Millionen Euro gefördert wird, ausgewählt – darunter nicht nur Großstädte wie Hamburg und Berlin, sondern auch kleinere Gemeinden wie Bramsche.
„Die Vorteile liegen auf der Hand“, sagt Johannes Lohaus, Sprecher der Bundesgeschäftsführung der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. „Das System ist nicht nur vergleichsweise preiswert, sondern liefert auch einen zuverlässigen Eindruck der Infektionslage.“ Die Kosten für das Abwassermonitoring würden sich auf 14 Millionen Euro pro Jahr belaufen – es wäre damit deutlich günstiger als die Schnelltests, die bislang rund eine Milliarde Euro im Monat kosteten.
Außerdem sei die Analyse des Abwassers effizienter als Antigentests. „Riesige Testkapazitäten und komplexe Meldevorgänge sind dafür nicht notwendig“, erläutert Harald Rau, Beigeordneter für Gesundheit in Köln, in einer Mitteilung. Dadurch bräuchte es weniger Coronatests und auch weniger Personal, um Antigentests durchzuführen und positive Fälle zu melden.
In Zukunft könnte das Abwassermonitoring auch bei anderen Infektionskrankheiten oder Pandemien flächendeckend zum Einsatz kommen. Johannes Nießen, Vorsitzender des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, betont: „Die Abwasseranalyse ist ein hervorragendes Instrument für die Pandemiekontrolle. Optimal wäre, wenn alle Kommunen mitmachen würden.“