Heilmittel oder Humbug? Das steckt wirklich im Ingwer

Um Erkältungen abzuwehren, greifen viele Menschen im Winter gerne zu Ingwer, dem eine heilsame Wirkung nachgesagt wird. Doch was kann die Knolle wirklich - verdient Ingwer die Bezeichnung Superfood?

Von Isabella Neber
Veröffentlicht am 12. Dez. 2022, 12:51 MEZ
Tasse mit Ingwertee und frischer Ingwerknolle

Ingwertee wird im Winter gern getrunken, um Erkältungskrankheiten abzuwehren.

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Das menschliche Immunsystem ist im Winter sehr gefordert. Viren, die Erkältungskrankheiten auslösen, überleben bei niedrigen Temperaturen besonders gut. Gleichzeitig sind aber die oberen Atemwege sehr anfällig für Infektionen, da die Schleimhäute in der Nase durch die Heizungsluft trocken sind. Häufig verursachen diese Viren zwar nur eine leichte Erkältung, die innerhalb weniger Tage wieder abklingt, doch auch sehr schwere Krankheitsverläufe sind durch Grippe- und Coronaviren möglich. Um das Immunsystem zu unterstützen, setzen viele Menschen im Winter auf sogenannte Superfoods. 

Unter dem Begriff Superfoods werden Lebensmittel zusammengefasst, die viele gesunde Nährstoffe enthalten. Doch der Begriff wird vor allem auch zu Werbezwecken genutzt. „Bei den sogenannten Superfoods läuft sehr viel über Marketing und Hörensagen,“ meint Dr. Kathrin Hausleiter, die eine Praxis für Ernährungsmedizin in München leitet gegenüber National Geographic. Viele der bekanntesten Superfoods stammen aus weit entfernten Regionen: Die Acai-Beere ist als Frucht der Kohlpalme im Amazonasbecken heimisch, Gojibeeren stammen aus China. 

Und auch ein sehr beliebtes Wintersuperfood geht auf eine weite Reise, ehe es in unseren Supermarktregalen landet: der Ingwer. Durch seine aromatische Schärfe ist er vor allem in der asiatischen Küche ein beliebtes Würzmittel. Im Winter wird Ingwer aber auch besonders gerne gekauft, um Erkältungskrankheiten abzuwehren und das Immunsystem zu stärken. Aber bringt das wirklich etwas?

Das Ingwer-Rhizom wächst unter der Erde.

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Ingwer – tropische Heilpflanze mit langer Geschichte

Bei den Ingwerknollen, die wir im Supermarkt kaufen können, handelt es sich eigentlich nur um den Wurzelstock der Ingwerpflanze. Der krautige Ingwer kann bis zu 1,50 Meter groß werden und ähnelt mit seinen festen Stängeln und langen Laubblättern dem Schilf. Die Ingwerknolle, die wir kennen, wächst horizontal unter der Erde.

Ingwer ist in den Tropen und Subtropen heimisch. Traditionell wird Ingwer auf großen Plantagen in Ländern wie Indien, Bangladesch, Nigeria, China, Nepal, Indonesien und Thailand angebaut. Als größter Ingwerproduzent gilt Indien mit einem Ertrag von ca. 1,8 Millionen Tonnen Ingwer pro Jahr, gefolgt von Nigeria und China. Die Erntefläche für Ingwer in Indien betrug im Jahr 2020 rund 172.000 Hektar.

Als Würz- und Heilpflanze ist Ingwer schon lange bekannt. Die gesundheitsfördernde Wirkung des Ingwers wird bereits im „Shennong ben cao jing“ beschrieben, einem chinesischen Werk über Ackerbau und Heilpflanzen, dessen Abfassung Forscher zwischen 300 v.Chr. und 200 n.Chr. datieren. Schon hier taucht eine Unterscheidung in den Anwendungsgebieten von rohem und getrocknetem Ingwer zur Behandlung von verschiedenen Krankheiten auf.

Die ersten schriftlichen Belege für den medizinischen Einsatz von Ingwer erfolgen im europäischen Raum im ersten Jahrhundert n. Chr.: Ingwer ist im medizinischen Werk De materia medica, abgefasst vom griechischen Arzt Pedanios Dioskurides, zu finden sowie in der Naturalis historia von Plinius dem Älteren.

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    Dr. med. Kathrin Hausleiter führt eine Praxis für Ernährungsmedizin in München.

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    Welche gesundheitsfördernden Stoffe stecken im Ingwer?

    Neben ätherischem Öl und verschiedenen Harzsäuren sind im Ingwer auch Magnesium, Eisen, Calcium, Natrium und Phosphor enthalten sowie Vitamin C. 

    „Die gesundheitlich wichtigsten Stoffe im Ingwer sind aber die Scharfstoffe Gingerol und Shogaol. Sie fördern die Durchblutung. Wenn alles gut durchblutet ist, können sich Viren und Bakterien nicht so leicht einnisten“, erklärt Dr. Hausleiter. Dies sei ein besonders wichtiger Faktor bei der Bekämpfung und Vorbeugung von wintertypischen Erkältungskrankheiten. Auch der hohe Vitamin-C-Gehalt im Ingwer unterstützt das Immunsystem im Winter. Dazu übergießt man frischen Ingwer am besten mit kochendem Wasser und lässt ihn eine Weile ziehen, ehe man ihn trinkt.

    Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Ingwer individuell durchaus auch noch bei anderen Beschwerden zur Linderung beitragen kann:

    So hilft frischer Ingwer etwa auch gegen Übelkeit. „Gerade bei Reiseübelkeit oder wenn Frauen zu Beginn der Schwangerschaft an Übelkeit leiden, kann Ingwer einen guten Dienst erweisen,“ verrät die Ernährungsexpertin. Die Deutsche Krebshilfe e.V. empfiehlt Ingwer sogar begleitend zu Chemotherapien gegen Übelkeit.

    Eine Studie im Journal of Alzheimer´s Desease wies nach, dass der im Ingwer enthaltene Wirkstoff Curcumin die Reparatur von geschädigten Nervenzellen unterstützen kann. Des Weiteren scheinen Gehirnfunktionen, die auf dem Neurotransmitter Acetylcholin basieren, sich durch den Wirkstoff Curcumin zu verbessern.

    Ernährungsexpertin Dr. Hausleiter verrät einen weiteren Ingwer-Tipp: „Wer an Mundgeruch leidet, kann einfach ein kleines Stück frischen Ingwer kauen. Und auch Migränepatienten berichten oft, dass Ingwer ihnen Linderung verschafft.“

    Nebenwirkungen von Ingwer – wer sollte beim Verzehr aufpassen?

    „Ingwer ist eigentlich eine Pflanze, mit der man nicht viel falsch machen kann, wenn man an keinen Vorerkrankungen leidet“, meint Dr. Hausleiter. Wer zu viel Ingwer isst, bekäme höchstens Sodbrennen oder Magenprobleme. „Allzu hohe Ingwerdosen werden jedoch nicht empfohlen, besonders nicht für Menschen, die Blutgerinnungshemmer einnehmen“, so die Ernährungsmedizinerin. „Ingwer ist von der Struktur her dem Aspirin sehr ähnlich. Die darin enthaltene Acetylsäure wirkt blutverdünnend, daher geht man davon aus, dass auch Ingwer, der ja nachweislich die Durchblutung anregt, blutverdünnend wirken könne.“ Gesicherte Studien gäbe es zu dieser Theorie jedoch nicht. „Die Wirkung vieler Inhaltsstoffe im Ingwer konnte zwar im Labor nachgewiesen werden, beim Versuch diese Wirkung auf den Menschen zu transformieren, kamen dann jedoch oft keine Ergebnisse heraus“, berichtet die Expertin.

    Somit bleibt der Ingwer in erster Linie ein gesundes und leckeres Würzmittel, das individuell jedoch durchaus bei Übelkeit oder Migräne helfen und das Immunsystem im Winter unterstützen kann. „Unser Immunsystem stärken wir aber am besten durch eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst und Gemüse.“ Auch Bewegung an der frischen Luft und ausreichend Schlaf empfiehlt die Expertin.

    Ingwer wird auch heute meist noch von Hand geerntet.

    Foto von Stock.adobe.com/zhang yongxin

    Ingwer und das Problem mit der Nachhaltigkeit

    Auch der Nachhaltigkeitsgedanke spielt beim Ingwerkonsum eine Rolle. Obst- und Gemüsetheken sind im Winter voll mit Lebensmitteln, die nicht bei uns angebaut werden und keine Saison haben. So auch der Ingwer. Er wird aus China oder Indien importiert und der Käufer weiß nicht, wie die Pflanze auf den riesigen Plantagen angebaut wird und unter welchen Bedingungen dort gearbeitet wird. Denn Ingwer wird auch heute noch in erster Linie von Hand geerntet, um die Knollen nicht zu beschädigen.

    Doch Nachhaltigkeit spielt bei Verbrauchern trotz Energiekrise und Inflation eine immer wichtigere Rolle, zeigt die Studie des internationalen Wirtschaftsunternehmens Deloitte. So hat sich der Markt an Bio-Obst und Gemüse in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt.

    Und ein echtes Superfood muss nicht unbedingt von weit entfernt stammen. Auch mit saisonalem, heimischem Gemüse können wir unser Immunsystem unterstützen. Kohlsorten wie Brokkoli, Rosenkohl, Blumenkohl oder Kohlrabi haben zum Beispiel einen besonders hohen Gehalt an gesunden Mineralien und liefern sehr viel Vitamin C.

    Seit 2017 wird Ingwer auch in Deutschland versuchsweise angebaut. In der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau mit einem Versuchsbetrieb in Bamberg wird an der Kultivierung der Ingwerpflanze in Deutschland geforscht. Da die benötigte Wassermenge in unseren Breitengraden auf natürlichem Weg nur schwierig zu bewerkstelligen ist, experimentieren die Forscher an passenden Bewässerungsmengen in Gewächshäusern. Inzwischen ist im Gewächshaus gezogener Bio-Ingwer aus Deutschland oder Österreich bereits erhältlich und punktet durch Frische und Regionalität. 

    Wer nun besonders im Winter das Gefühl hat, dass ein frisch aufgebrühter Ingwertee gut tut, der macht damit aus gesundheitlicher Sicht sicher nichts falsch. Eine ausgewogene Ernährung mit heimischem Wintergemüse und Bewegung an der frischen Luft unterstützen das Immunsystem dabei aber mindestens so gut wie die würzige Superknolle Ingwer.

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