Leben vor 1,5 Milliarden Jahren: Älteste dreidimensionale Fossilien der Welt gefunden
In einer Quarzmine in der Ukraine wurden Mikrofossilien aus dem Präkambrium entdeckt. Der spektakuläre Fund erlaubt einen seltenen Einblick in die Anfänge des Lebens auf der Erde.
In Mineralien aus einer ukrainischen Quarzmine fanden Forschende zahlreiche fadenähnliche Strukturen.
Auch wenn der Verlust der Artenvielfalt in rasantem Tempo voranschreitet: Im Vergleich zu anderen bekannten Planeten tobt auf der Erde das Leben. Doch das war nicht immer so. Im Präkambrium, dem ersten Zeitabschnitt der Erdgeschichte, der mit ihrer Entstehung vor etwa 4,56 Milliarden Jahren begann, tat sich über einen sehr langen Zeitraum augenscheinlich nicht viel. Man spricht darum auch von den „Boring Billion“: den ersten, scheinbar langweiligen Milliarden von Jahren der Erdfrühzeit.
Der Eindruck entsteht auch darum, weil Funde aus dieser unvorstellbar lange zurückliegenden Zeit extrem selten sind. Fossilien, die Hinweise auf die Entstehung und die Entwicklung von Leben in diesem Zeitabschnitt geben könnten, gibt es kaum. Darum ist die Entdeckung, die Forschende der TU Berlin in Zusammenarbeit mit der ukrainischen Akademie der Wissenschaften und des Naturhistorischen Museums in Luxemburg gemacht haben, eine echte Sensation. In Mineralien aus der Volyn-Quarzmine in der Nähe der Stadt Shitomyr, Ukraine, fanden sie die bisher ältesten in ihrer Form erhaltenen Mikroorganismen der Welt. Ihre Fossilien sind ganze 1,5 Milliarden Jahre alt.
Seltsame Fasern sind Ur-Mikroorganismen
Der ursprüngliche Forschungsschwerpunkt der Arbeitsgruppe lag auf der Untersuchung von Edelsteinen aus der Mine. Doch als diese unter dem Elektronenmikroskop lagen, bemerkte Gerhard Franz, emeritierter Professor vom Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Berlin, in dem Beryll aus der Volyn-Mine seltsame Fasern.
Zum Teil waren die Strukturen dünn und verzweigt, zum anderen dick mit kleinen Ausstülpungen oder Dellen. Die Filamente waren teilweise mehrere Millimeter lang und variierten in ihrer Breite zwischen 10 und 200 Mikrometern. Manche hatten einen dünnen Kanal in der Mitte. Die größten Objekte waren mit bloßem Auge zu erkennen.
Die Entdeckung zog jahrelange Untersuchungen nach sich, die nun zu einem spektakulären Ergebnis gekommen sind: Bei den Fasern handelt es sich um Fossilien von Ur-Mikroorganismen. „Was wir jetzt gefunden haben, ist viel wertvoller als alle Edelsteine“, sagt Franz.
Pilzartiger Organismus in 3D
Die Altersbestimmung erfolgte über eine spezielle Isotopenmethode und ergab ein Mindestalter für die Fossilien von 1,5 Milliarden Jahren. Durch die Analyse der Kohlenstoffisotope 12C und 13C konnte bewiesen werden, dass die Fasern einst Lebewesen waren. Außerdem wurden bei einem Teil Fossilien der Stoff Chitosan sowie die Elemente Wismut und Tellur nachgewiesen. „Dies deutet auf einen pilzartigen Organismus hin“, sagt Franz.
Die Forschenden fanden aber auch einige wenige, bisher unbekannte Formen von Mikroorganismen. Diese weisen schalen- oder kugelförmige Strukturen oder verzweigte, tentakelartige Äste auf. Dabei könnte es sich um Ein- oder Mehrzeller mit ausgeprägten Zellstrukturen gehandelt haben, die sich wahrscheinlich ein Ökosystem mit den Pilzen teilten.
Bei diesem tentakelförmigen Gebilde handelt es sich vermutlich um das Fossil eines bisher unbekannten Mikroorganismus.
Fossilien ohne Skelett
Der Fund ist darum so besonders, weil Nachweise für Mikroorganismen aus dem Präkambrium bisher meist nur in indirekter Form vorliegen: als charakteristische Abdrücke im Gestein oder biologische Abbauprodukte. Dass dreidimensionale Fossilien aus dieser Zeit so rar sind, liegt daran, dass die Evolution erst vor etwa 600 Millionen Jahren, mit der Entstehung von Muscheln, Korallen und Schnecken, Skelette aus Kalziumkarbonat oder Phosphat hervorbrachte. „Erst diese Biomineralisation machte echte Fossilien mit erhaltungsfähigen Skeletten möglich“, so Franz.
Wie aber blieben die Ur-Mikroorganismen auch ohne Skelett in ihrer tatsächlichen Form erhalten? Franz zufolge hängt dies mit dem Fundort zusammen. Auch heute gibt es Mikroorganismen, die bis zu drei Kilometer tief in der Erdkruste leben. Sie ernähren sich von Stoffen wie Phosphor, Stickstoff oder Kohlendioxid, die entweder in Wasser gelöst von der Erdoberfläche nach unten wandern oder bereits im Gestein vorhanden sind. Die Organismen leben fernab des Sonnenlichts und beziehen die Energie für ihren Stoffwechsel aus chemischen Prozessen.
Ähnlich lebte vor 1,5 Milliarden Jahren wohl auch die Kolonie in der Volyn-Mine. Sie hatte sich in Granitvenen angesiedelt – und da Granit viel Fluor enthält, bildete sich im Zusammenspiel mit Wasser und Hitze eine stark ätzende Flusssäure, die große Mengen Aluminium und Silizium aus dem Gestein löste. Die Forschenden gehen davon aus, dass dadurch Aluminium-Silikat entstand, das die Mikroorganismen mit einer hauchdünnen Schicht überzog. „Natürlich waren die Mikroorganismen danach tot – aber eben auch perfekt konserviert“, so Franz.
Es sei faszinierend, zum ersten Mal die Fossilien von Ur-Mikroorganismen unter dem Rasterelektronenmikroskop studieren können, „dennoch stehen wir heute erst am Anfang“, sagt Franz. Er hofft, dass weitere Untersuchungen und gegebenenfalls neue Funde noch mehr Informationen über die Ur-Mikroorganismen liefern werden. Auf diese Weise könnten nicht nur Einblicke in die frühe Entwicklung des Lebens auf der Erde gewonnen werden, sondern möglicherweise auch in die Entwicklung von Leben unter extremen Bedingungen auf anderen Planeten.