Sensationsfund: Älteste DNA offenbart urzeitliches Ökosystem

Forschende rekonstruieren anhand der zwei Millionen Jahre alten DNA ein verschwundenes Ökosystem im Norden Grönlands. Gefunden wurden auch unerwartete Spuren des bislang nur in Nordamerika nachgewiesenen Mastodons.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 15. Dez. 2022, 10:12 MEZ
Illustration der Landschaft: Mastodons laufen durch die grüne Flora.

Reich an diverser Flora und Fauna: So in etwa könnte Grönland laut der Studie vor rund zwei Millionen Jahren ausgesehen haben.

Foto von Beth Zaiken

Der Norden Grönlands war nicht immer so karg wie wir ihn heute kennen. Rentiere, Hasen und sogar Mastodons streiften dort einst durch grüne Wälder aus Pappeln, Birken, Thujabäumen und Unterholz mitsamt bislang unbekannten Kräutern. 

Diese Erkenntnis wurde nun mithilfe von Fragmenten rund zwei Millionen Jahre alter Umwelt-DNA (eDNA) hervorgebracht. Entschlüsselt wurde diese durch die langjährige Arbeit der Universität Kopenhagen sowie der University of Cambridge. Die zugehörige Studie wurde nun im Fachmagazin Nature veröffentlicht. Sie zeigt: Nicht nur ihr hohes Alter macht die DNA-Probe zu einer wahren Sensation.

Jahrelange Forschung zahlt sich aus

Um mehr über die Vergangenheit der arktischen Insel zu erfahren, machten sich Forschende rund um Mitautor Eske Willerslev bereits 2006 auf, um am Kap København nach vielversprechenden Sedimenten zu suchen. Damals konnten sie mit Bohrkernen zwar zwei Millionen Jahre alte Bodenproben sichern, mit der damals verfügbaren Technik war jedoch noch keine DNA nachweisbar.

Erst Jahre später gelang ihnen dieser Durchbruch. Mit weiterentwickelter, modernster Technik waren sie in der Lage, DNA-Fragmente aus den Proben herauszuziehen und zu erweitern. Das Ergebnis war verblüffend: Zunächst, weil die Forschenden so den Altersrekord von bisher bekannter Erbinformation geknackt hatten. Diesen Titel hatte zuvor das Erbgut aus 1,2 Millionen alten sibirischen Mammutzähnen inne.

Unter Grönlands Eiskappen versteckt sich ein blühendes Ökosystem

Ein verlorenes Ökosystem wird wiederentdeckt

Aber nicht nur das Alter der DNA schlug Wellen. Im weiteren Verlauf der Studie gelang es den Forschenden mithilfe der DNA-Fragmente das Genom eines gesamten Ökosystems festzustellen, das sich vor Jahrmillionen im Norden Grönlands befunden hat. Laut der Studie ist dieses mit keinem der heute bekannten Ökosysteme vergleichbar. So erstreckte sich die Taiga ehemals bis in die nördlichste grönländische Region – womit eine reiche Flora und Fauna einherging.

„Wir hatten einen Durchbruch und konnten im Grunde sehen, wie dieses ganze Ökosystem zum Leben erweckt wurde”, sagt Willerslev. Das Ökosystem selber beschreibt er als einzigartig. „Da rannten Mastodons herum, Rentiere, Gänse, Hasen, auch Meerestiere wie der Pfeilschwanzkrebs.” Dies deute darauf hin, dass die damaligen Temperaturen an Land und im Wasser deutlich wärmer waren.

Besonders das Vorkommen des Mastodons verblüffte das Team. Bisher waren Funde der lange ausgestorbenen Verwandten der Elefanten lediglich aus Nordamerika bekannt. Da Grönland bereits vor zwei Millionen Jahren eine Insel war, musste die urzeitliche Elefantenart die Meerenge vom heutigen Kanada aus also entweder schwimmend oder zu Fuß über gefrorene Eismassen durchquert haben.  

Wie überlebt DNA über Jahrmillionen? 

Dadurch, dass jedes Lebewesen Spuren in der Umwelt hinterlässt, ist die Wahrscheinlichkeit, geringste Mengen von DNA in Form von Hautschuppen oder Kotresten zu finden, theoretisch ziemlich hoch. Jedoch werden diese Hinterlassenschaften mit der Zeit durch natürliche biologische Vorgänge abgebaut.

Erbinformation kann sich allerdings mit mineralischen Stoffen verbinden und dadurch einen deutlich längeren Zeitraum überstehen. Dies geschieht durch die elektrische Ladung der Moleküle. Für die Dauer des Abbauprozesses ist aber auch das Klima mitverantwortlich. Das Kap København gleicht seit geraumer Zeit einer Polarwüste – der Permafrost hilft bei der Erhaltung uralter DNA-Segmente.

BELIEBT

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    Deshalb forscht Willerslev mit seinen Kollegen und Kolleginnen bereits daran, in Zukunft noch ältere eDNA zu gewinnen. Denkbar wäre eine Zeitreise von 2,6 Millionen Jahren in die Vergangenheit – denn so alt sind die dauerhaft gefrorenen Sedimentschichten. Dabei liegen die Vorteile laut Willerslev auf der Hand: Selbst ohne fossile Funde kann man durch eDNA nachweisen, welche Tiere sich einst in einer bestimmten Region aufgehalten haben – wie bei dem nun im damaligen Grönland nachgewiesenen Mastodon.

    Mit der Umwelt-DNA weit zurück in die Vergangenheit

    Trotzdem stößt diese fortschrittliche Technik an ihre Grenzen. Das Genom allein kann beispielsweise nicht aufzeigen, wie urzeitliche Tiere ausgesehen haben. Dafür benötigt man laut den Forschenden nach wie vor fossile Funde. „Paläontologie kann offensichtlich mehr als nur den Knochen identifizieren. Wenn man Teile eines Skeletts findet, kann man zum Beispiel auch Dinge über die Fortbewegung sagen und ob das Tier während des Lebens verletzt oder beschädigt wurde“, so Willerslev. 

    Das Entschlüsseln der Erbinformation ermöglicht allerdings, die genetische Evolution einzelner Arten und eines gesamten Ökosystems nachzuvollziehen. Die Studie beweist laut Willerslev, dass diese Methode in der Praxis bereits ein wichtiges Werkzeug der Paläontologie ist. Welche längst verlorenen Ökosysteme und Zusammenhänge sie in Zukunft hervorbringen, ist ungewiss. Willerslev zeigt sich jedoch zuversichtlich: „Es ist großartig, ich meine, deshalb machst du Wissenschaft, oder? Es ist für diese Momente. Es verändert einfach die Art und Weise, wie wir Dinge betrachten. Und das ist der Traum eines Wissenschaftlers.“

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