Mythos Schöntrinken: Steigert Alkohol wirklich die Attraktivität?
Zu tief ins Glas geschaut und schon erscheint das Gegenüber deutlich attraktiver? Forschende haben untersucht, ob es dieses Phänomen wirklich gibt.
Betrunken wird die Welt viel hübscher? Immer wieder beschäftigt sich die Wissenschaft mit dem Phänomen des Schöntrinkens.
Eine durchzechte Nacht im Club und am nächsten Morgen das Erwachen in der Wirklichkeit: Die Person, mit der man die ganze Nacht geflirtet hat, ist doch viel unattraktiver als man dachte. Gibt es dieses Phänomen wirklich?
In der Vergangenheit kam die Wissenschaft bei dieser Frage immer wieder auf andere Antworten. Eine Studie aus dem Jahr 2015 befand beispielsweise, dass Menschen, die Alkohol getrunken haben, ihr Gegenüber leicht attraktiver fanden als ohne Alkohol. Andere Studien kamen zu einem gegenteiligen Ergebnis. Ein Forschungsteam der kalifornischen Stanford University hat nun eine neue These entwickelt: Alkohol macht andere nicht attraktiver – die trinkende Person aber mutiger.
Je betrunkener, desto schöner das Gegenüber?
Laut der Studie, die im Journal of Studies on Alcohol and Drugs erschien, gingen bisherige Untersuchungen zu dem Thema zu schlicht vor: Partizipierende bewerteten im nüchternen sowie im betrunkenen Zustand die Attraktivität von Menschen anhand von Fotos.
Das Team um die leitende Forscherin Molly A. Bowdring vom Stanford Prevention Research Center in Palo Alto hatte einen anderen Forschungsansatz. Es teilte sein Experiment in zwei Phasen. Die erste Phase gleicht ähnlichen Experimenten zu dem Thema: Die Forschenden luden insgesamt 18 männliche Freundespaare im Alter von 21 bis 27 Jahren ein. Mittels Foto- und Videoaufnahmen sollten diese die Attraktivität der darin gezeigten Personen bewerten. Diesen Versuch führte das Team jeweils zweimal durch: Einmal waren die Männer nüchtern, und das andere Mal konsumierten sie alkoholische Getränke – bis zu einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 0,8 Promille.
Das Ergebnis war eindeutig: Egal ob betrunken oder nicht, der jeweilige Alkoholpegel der Teilnehmenden hatte keinerlei Einfluss auf die empfundene Attraktivität gegenüber der gezeigten Personen. Hinweise auf die sogenannte „Bierbrille“ fanden die Forschenden also nicht.
„Flüssiger Mut statt Bierbrille“
In einer zweiten Phase des Experiments konnten die Forschenden allerdings einen anderen Effekt nachweisen. Denn zusätzlich zur Frage nach der Attraktivität der Personen auf den Bildern wurde den Männern die Möglichkeit in Aussicht gestellt, die bewerteten Personen in einem zukünftigen Experiment persönlich zu treffen. Nachdem sie also das Aussehen beurteilten, wurden auch ihre Wünsche im Hinblick auf eine mögliche Interaktion abgefragt.
Mit steigendem Blutalkoholwert der Versuchspersonen stieg auch ihr Wunsch danach, mit den von ihnen als attraktiver wahrgenommenen Menschen zu interagieren. War Alkohol im Spiel, trauten sie sich ein zukünftiges Aufeinandertreffen mit einer ihrer vier am besten bewerteten Personen um das 1,7-fache eher zu, als im nüchternen Zustand. „Eher als das Phänomen der ,Bierbrille‘ gilt hier wohl der benachbarte Begriff ,flüssiger Mut‘“, schreiben die Forschenden. „Alkohol steigert das Flirten, die sexuelle Fantasie und das Sexualverhalten, die sich nach der Attraktivität anderer richten.“ Ob die Steigerung von Mut am Ende auch den Auserkorenen imponiert, bleibt unterdessen fraglich.