Jahrtausendealtes Kultgetränk: Wie das Bier nach Deutschland kam

Bereits vor Tausenden von Jahren wurde in Mesopotamien ein bierähnliches Getränk gebraut. Seither hat Bier in vielen Kulturen eine wichtige Rolle gespielt. Wie wurde Deutschland zur Biernation?

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 21. Apr. 2023, 08:55 MESZ
Gemälde dreier Mönche, die mit Bierkrügen anstoßen.

Mönche spielten bei der Verbreitung des Bieres in Deutschland eine große Rolle. Viele Klöster hatten eigene Brauereien, die teilweise bis heute existieren. Darunter auch die heutige Bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan.

Foto von Eduard von Grützner, 1846–1925 / Wikimedia

Fragt man im Ausland nach einem typisch deutschen Kulturgut, bekommt man besonders oft eine Antwort: Bier. Und tatsächlich – das Bier ist in Deutschland fest verwurzelt. Ob Oktoberfest, Vatertagstouren oder Biergärten: Aktuell werden die Menschen hierzulande von ganzen 1.507 deutschen Brauereien mit dem Getränk aus Hopfen, Malz, Wasser und Hefe versorgt. Seit 2020 ist das traditionelle Handwerk des Bierbrauens in Deutschland sogar als immaterielles Kulturerbe der UNESCO anerkannt.

Doch entstanden ist der Getreidetrank schon lange, bevor Deutschland überhaupt existierte. Dabei hat Bier in seiner langen Geschichte eine ganze Reihe von Rezepturen und Macharten durchlaufen. Wie wurde es also in Deutschland zum Kultgetränk?

Bier im Altertum: Die ersten Bierbrauerinnen

Bier wird schon seit Tausenden von Jahren gebraut. Wer genau damit anfing, ist allerdings nicht abschließend geklärt. „Die Ursprünge des Bieres reichen so weit in die Vergangenheit zurück, dass wir nicht genau wissen, wann und von wem es zum ersten Mal hergestellt wurde“, sagt Marie Hopwood von der Vancouver Island University in Kanada. Die Archäologin beschäftigt sich schon lange mit der Geschichte des Bieres und leitet das Projekt Raise Your Glass to the Past, das alte Formen des Bierbrauens aufleben lassen soll.

“Die Ursprünge des Bieres reichen so weit in die Vergangenheit zurück, dass wir nicht genau wissen, wann und von wem es zum ersten Mal hergestellt wurde.”

von Marie Hopwood

„Es ist wahrscheinlich, dass im antiken Nahen Osten sowohl Bier als auch Brot vor den Anfängen des Ackerbaus erfunden wurden“, sagt sie. Somit wäre das erste Bier bereits vor über 10.000 Jahren getrunken worden. Hinweise auf das alte Handwerk gibt es beispielsweise in der Ausgrabungsstätte Göbekli Tepe in der heutigen Türkei, in der Gefäße gefunden wurden, die auf die Herstellung und den Verzehr von Brot und Bier hinweisen. 

Auch in schriftlichen Quellen tritt Bier früh auf  – beispielsweise in den Keilschriften der Sumerer, einer Hochkultur, die sich im 3. Jahrtausend v. Chr. in Südmesopotamien etablierte. Laut Hopwood lassen die auf den Tontafeln festgehaltenen Texte darauf schließen, dass das Getränk schon damals seit langer Zeit etabliert ist. „Auf diesen Tafeln wird über Bier in einer Weise berichtet, die deutlich macht, dass das Getränk bereits Tausende von Jahren alt war“, so Hopwood. Dafür sprechen auch weitere archäologische Funde aus dem antiken Mesopotamien: Tempelanlagen mit eigenen Brauereien, Hinweise darauf, dass Arbeiter teilweise mit Bier bezahlt wurden und Aufzeichnungen über Gottheiten, die mit Rausch und Bier in Verbindung standen.

Bier als gesellschaftliches Gut

Hopwood betont, dass Bier über die Jahrtausende hinweg viele Gesichter hatte und im antiken Mesopotamien nicht zwingend dem Getränk, das wir heute kennen, glich. Dennoch: „Alle Bierrezepte beruhten auf der Notwendigkeit, den Zucker aus den Getreidekörnern zu gewinnen und zugänglich zu machen“, so die Archäologin. Wie dies geschah und in welcher Reihenfolge, ob mit oder ohne Hitze, mit oder ohne Zusatzstoffe habe sich über die Jahrtausende hinweg immer unterschieden.

Der Alkoholgehalt war damals wohl oft niedriger als der des heutigen Bieres. „Es gibt viel Literatur, die darauf hinweist, dass ein Großteil des antiken Bieres einen recht niedrigen Alkoholgehalt hatte“, so Hopwood. Das traf wohl vor allem auf jenes Bier zu, das regelmäßig und auch von Kindern getrunken wurde. Allerdings waren die Brauer auch imstande, alkoholhaltigeres Bier zu brauen. „Wir haben genügend Beweise aus antiken Schriften über Rauschzustände, die zeigen, dass auch die alkoholischen Varianten hergestellt und konsumiert wurden.“ Ähnlich wie heute konnten die Bierbrauer also damals weitestgehend bestimmen, wie das Endergebnis des Brauvorgangs aussah. „Die Vielfalt beim Alkoholgehalt, die es heute gibt, existierte also auch schon in der Vergangenheit“, sagt Hopwood.

Interieurszene aus dem Jahr 1873. Lange Zeit tranken auch Kinder und Schwangere Bier – auch, weil Bier lange Zeit einen geringeren Alkoholgehalt hatte als mittlerweile Standard ist. Heute weiß man, dass für diese Personengruppen jegliche Aufnahme von Alkohol schlecht ist und reguliert den Verkauf des Getränks mit dem Jugendschutzgesetz.
 

Foto von Hermann Götz, 1848-1901

Dabei waren die ersten Bierbrauer höchstwahrscheinlich weiblich. „Genau wie das Brotbacken war auch das Bierbrauen etwas, das Frauen zur täglichen Versorgung ihrer Familien beitrugen“, sagt Hopwood. Hinweise darauf finden sich beispielsweise auf zwei Keilschriften aus dem frühen 2. Jahrtausend v. Chr., im sogenannten Codex Ešnunna – einer altbabylonischen Sammlung von Rechtssprüchen –, in dem explizit auf Bierbrauerinnen verwiesen wird.

Während all dieser Entwicklungen entstand über die Jahrtausende hinweg eine echte Braukultur. Laut Nina Göllinger vom Deutschen Brauer-Bund e.V., entwickelten bereits die Babylonier, denen die Braukunst von den Sumerern übertragen wurde, unzählige Bierrezepte. „Es gab dunkles Starkbier, Dünnbier, Sauerbier und Süßbier“, sagt sie. Schon damals sei Bier also als vielfältiges Getränk wahrgenommen und gehandelt worden.

Von Mesopotamien bis Europa: Bier im Wandel

Doch warum war Bier überhaupt so beliebt? Eine Rolle spielen könnte die relativ einfache Zubereitungsart sowie der Hauptbestandteil Getreide, der einerseits in vielen Teilen der Welt angebaut wurde und andererseits recht lange gelagert werden konnte. Allerdings war das Bier selbst – im Gegensatz zu heute – in der Antike nicht lange haltbar. „Damals hatte der Hopfen nicht die gleiche Konservierungskraft, sodass eine Charge bestenfalls eine oder zwei Wochen haltbar war, bevor sie anfing zu verderben“, sagt Hopwood. 

“Genau wie heute sehnten sich die Menschen in der Vergangenheit nach Getränken, die ihnen schmeckten.”

von Marie Hopwood

Sie glaubt deshalb, dass ein großer Faktor der Beliebtheit des Getränks sein Geschmack war – und seine Fähigkeit, die Menschen zusammenzubringen. „Genau wie heute sehnten sich die Menschen in der Vergangenheit nach Getränken, die ihnen schmeckten“, sagt sie. „Außerdem können alkoholische Getränke sehr gesellig sein.“ Das entspannte Miteinander, das das Bier damals gefördert habe, sei den Menschen – ähnlich wie heute – wichtig gewesen.

So bahnte sich das Getränk letztendlich wohl auch seinen Weg nach Europa – durch Handel, kulturelle Überlieferung und die Begeisterung für das Getränk selbst. 

Deutsche Braukunst: Erste Brauereien im Mittelalter

In der Region des heutigen Deutschlands war Bier dann spätestens vor 2.000 Jahren bereits weit verbreitet. In seiner Schrift über die Germanen aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. berichtet der römische Gelehrte Tacitus beispielsweise von der Liebe der Germanen zum Bier. Er beschreibt in seinen Aufzeichnungen die Wichtigkeit des Getränks in Ritualen und Zusammenkünften – und wie etabliert Bier bei den Germanen bereits ist. 

Im großen Stil verbreitet wird das Bier in Deutschland schließlich zunächst durch die Brauereien in deutschen Klöstern. „Brot und Bier zählten in den mittelalterlichen Klöstern zu den Grundnahrungsmitteln“, so Göllinger. Ein weiterer Meilenstein in der Biergeschichte sei dann der Einsatz einer heute unabdingbaren Zutat gewesen: „Im 12. Jahrhundert haben Mönche dem Bier mit Hopfen seinen typisch bitteren Geschmack verliehen und es länger haltbar gemacht.“

Holzschnitt aus einem Ständebuch aus dem 1568. In Ständebüchern wurden im Mittelalter und der frühen Neuzeit Aufgaben und Bedeutung von Handwerkern, Künstlern oder Herrschern erklärt. Diese Darstellung von Arbeitern beim Brauen wird von einem Text begleitet, der beschreibt, wie das Getränk hergestellt wird.

Foto von Jost Amman, 1539-1591 / Wikimedia

Schnell wurde Bier in Deutschland so vom geselligen Getränk der Germanen zum Kulturgut. „In Klöstern wie Weihenstephan, Weltenburg, Andechs und vielen anderen wurde der Brauprozess studiert, Abläufe wurden hinterfragt, neue Rezepturen getestet und mit Heilpflanzen experimentiert“, sagt Göllinger. Neue Erkenntnisse im Bereich der Braukunst seien dann schnell weitergegeben worden. „Oftmals sind die Brauer auch auf Wanderschaft gegangen und haben sich in anderen Klosterbrauereien neues Wissen angeeignet.“

Reinheitsgebot: Der Stellenwert des deutschen Bieres

Die wichtigste Zäsur in der Geschichte des deutschen Bieres kam dann im Jahr 1516: das deutsche Reinheitsgebot, das bis heute vorschreibt, dass zur Bierherstellung nur Wasser, Malz, Hopfen und Hefe genutzt werden dürfen. Somit setzt sich das deutsche Bier endgültig von den vielen verschiedenen Bierrezepturen, die es im Laufe der Geschichte gab, ab. Während Bier in anderen Regionen der Welt oft noch mit anderen Zutaten versehen wird, wurde es durch das Reinheitsgebot in Deutschland zu einem spezifischen Getränk, das auf eine ganz bestimmte Weise gebraut wird.

Der Deutsche Brauer-Bund bezeichnet den Erlass deshalb auch als ältestes, nach wie vor gültiges Verbraucherschutzgesetz der Welt: „Mit dem Begriff Reinheitsgebot verbinden Bierbegeisterte im In- und Ausland bis heute ein verbrieftes Qualitätsversprechen“, sagt der Verbund. Zuvor seien oft unzählige andere Zutaten ins Bier gemischt worden – von Bilsenkraut und Stechapfel über Späne bis hin zu Ruß oder Pech, um Aussehen, Geschmack oder die berauschende Wirkung zu verstärken.

In den darauffolgenden Jahrhunderten kamen weitere Innovationen in der Brautechnik wie Filteranlagen und Methoden zur längeren Haltbarmachung dazu. Die Bräuche und Feste, die wir heute noch mit dem Getränk assoziieren, etablierten sich. So waren Volksfeste und andere Festivitäten laut Göllinger schon vor Jahrhunderten Orte, an denen Bier gerne und viel getrunken wurde. „Dabei handelte es sich häufig um speziell für diese Anlässe gebraute Festbiere“, sagt sie. Die Verbindung zwischen Bier und Festlichkeit hat sich dadurch noch verstärkt – und hält bis heute an.

Vor etwa 200 Jahren wurden dann auch die ersten Biergärten eröffnet – in München. Im Jahr 1812 erlaubte König Max I. Joseph Münchens Bierbrauern, an diesen Orten frei ihr Bier auszuschenken. Ihre Beliebtheit hält bis heute an. „Das ist ein weiterer Beleg für die tiefe Verwurzelung der Braukultur in der deutschen Geschichte“, sagt Göllinger. Und auch wenn der Verzehr von Alkohol und Bier mittlerweile kritischer betrachtet wird als noch vor einigen Hundert Jahren – wegzudenken ist Bier in Deutschland bis heute nicht.

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