H5N1 bei Säugetieren: Wird die Vogelgrippe für Menschen gefährlich?

Ein hochansteckender Stamm des Virus befällt mittlerweile nicht nur Vögel, sondern auch Robben, Milchkühe, Katzen – und Menschen. Hat H5N1 das Potenzial für eine weltweite Pandemie?

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 30. Aug. 2024, 08:48 MESZ
Eine Kuh steht neben zwei Vögeln auf einer Weide.

Vom Geflügel über die Milchkuh zum Menschen? Der Vogelgrippe-Stamm H5N1-Klade 2.3.4.4b springt immer häufiger auch auf Säugetiere. Steigende Infektionszahlen von Kühen in den USA geben Grund zur Sorge.

Foto von Bonnie Taylor Barry / Adobe Stock

H5N1 – so heißt die bisher ansteckendste Variante der Vogelgrippe. Mittlerweile grassiert der Subtyp des hochinfektiösen aviären – also hauptsächlich Vögel betreffenden – Influenzavirus unter immer mehr Vogelarten und springt zunehmend auch auf Säugetiere. Grund dafür ist die seit 2020 auftretende, noch aggressivere Form H5N1-Klade 2.3.4.4b. 

In der Tierwelt führte das sogenannte weltweit verbreitete hochpathogene Influenza-Virus-Infektion (HPAI) bereits zu Zehntausenden Todesfällen – etwa unter wildlebenden Robben in Südamerika – und mittlerweile ebenso zu steigenden Zahlen von infizierten Milchkühen in mehreren Bundesstaaten der USA. Auch Haustiere wie Hunde und Katzen sowie weitere Nutztiere wie Schweine und Nerze sind vor der Vogelgrippe nicht mehr sicher. Über infizierte domestizierte Tiere nähert sich die Krankheit zwangsläufig auch den Menschen. Wie gefährlich ist H5N1?

Inhalt

Infektion von Euter zu Euter: Vogelgrippe bei Milchkühen in den USA

Seit dem Frühjahr 2024 werden immer mehr Fälle von H5N1-Infektionen aus Milchviehherden in mehreren Bundesstaaten der USA vermeldet. Mindestens 140 Herden sollen bereits betroffen sein. Damit befällt der seit rund 27 Jahren bekannte und auf Geflügel angepasste Erreger erstmals auch Wiederkäuer. Zwar sind aus der Vergangenheit bereits vereinzelte Infektionen von Schweinen in Indonesien und China bekannt – die außerordentlichen Ausbrüche bei Rindern geben Expert*innen nun jedoch Rätsel auf. 

„Wie genau das Virus in das Euter der ersten Milchkuh kam, ist nach wie vor unklar“, sagt Timm Harder, Veterinärmediziner und Virologe vom Friedrich-Loeffler-Institut, wo er unter anderem das Referenzlabor der Weltgesundheitsorganisation für Tiere (WOAH) leitet. Es wird allerdings vermutet, dass das Virus erstmals durch eine Schmutz- und Schmierinfektion über den Zitzenkanal direkt in das Euter gelangte, möglicherweise durch kontaminiertes Material wie Einstreu. Das Eutergewebe erwies sich dem Virologen zufolge als ausgezeichnetes Medium für die Virusvermehrung, was zu einer hohen Viruslast in der Milch führte. Innerhalb der Herden verbreitet sich das Virus nach einer solchen ersten Infektion mutmaßlich nicht direkt von Kuh zu Kuh, sondern erst durch den Melkvorgang: mit dem kontaminierten Melkgeschirr von Euter zu Euter. Auf diesem Weg können dann auch Menschen infiziert werden.

Das bestätigt eine Studie von Forschenden aus den USA und Japan. Im Rahmen der Studie gab das Team Mäusen und Frettchen unbehandelte Rohmilch von infizierten Kühen zu trinken. Dabei infizierten sich nicht nur die Versuchstiere mit H5N1 – das Virus drang auch bis in ihre Milchdrüsen vor, was zudem für eine Infektion der Nachkommen sorgte. Vor dem Verzehr unpasteurisierter Milch wird folglich ausdrücklich gewarnt, während Arbeiter*innen, die Kontakt zu Kühen haben, genauer überwacht werden.

„Gläserne Kuh“: Sicherheitsmaßnahmen in Deutschland deutlich höher

Obwohl das Vogelgrippevirus als Pandemie bereits seit Jahrzehnten in vielen Ländern und allen Kontinenten der Welt grassiert, gelten die Infektionen von Milchkühen in den USA bislang als einzigartig. Auch deshalb wird das Risiko der Infektion von Rindern mit in Europa vorkommenden HPAI H5-Viren vom Friedrich-Loffler-Institut als sehr gering eingeschätzt. Die Auswertung von 1.500 Tankmilchproben aus deutschen Milchkuhherden – unter anderem aus Betrieben in Regionen mit vielen H5N1-Fällen bei Wildvögeln – ergab laut Harder ausschließlich negative Ergebnisse.

„In Europa und besonders in Deutschland haben wir seit der BSE-Krise eine hohe Transparenz und Rückverfolgbarkeit bei Rindern“, sagt Timm Harder. „Jedes Rind erhält innerhalb der ersten sieben Tage nach der Geburt zwei eindeutige Ohrmarken, mit denen jedes Tier in einer zentralen Datenbank registriert werden kann. So können wir die Standorte und Bewegungen aller 12 Millionen Rinder in Deutschland jederzeit nachvollziehen.“ Im Falle eines H5N1-Ausbruchs bei deutschen Rindern würden diese ,gläsernen Kühe‘ eine präzise und schnelle Reaktion auf etwaige Ausbrüche ermöglichen.

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    H5N1-Infektionen bei Säugetieren steigern das Risiko für Menschen

    Während sich immer mehr Vogelarten mit H5N1 infizieren, springt das Virus auch stetig auf neue Säugetierarten über. „Aktuell stecken sich bei weitem mehr nicht domestizierte als domestizierte Tiere an. Das reicht von Füchsen über Waschbären bis zu Seelöwen und Eisbären“, sagt Timm Harder. Diese Tiere würden sich oft durch direkten Kontakt mit infizierten Wildvögeln oder den Verzehr von deren Fleisch anstecken. Untersuchungen an Mardern in den Niederlanden zeigten laut Harder, dass ein erheblicher Prozentsatz Hinweise auf zurückliegende und daher überstandene H5N1 Infektionen aufweist. 

    Der Verlauf einer H5N1 Epidemie bei Robbenarten in Südamerika hätte zudem Hinweise darauf gegeben, dass es bereits zu Übertragungen von Robbe zu Robbe gekommen sein könnte. „Es kann somit nicht wirklich ausgeschlossen werden, dass diese Viren bei wildlebenden Fleischfressern bereits weiter verbreitet sind“, sagt Harder. Und auch die Infektionen domestizierter Tierarten nehmen zu. 

    Eva Friebertshäuser, Professorin für Molekulare Virologie an der Universität Marburg, untersucht derartige Virus-Wirt-Wechselwirkungen von Influenzaviren seit Jahren. „Die Tatsache, dass das H5N1-Virus in der Lage ist, eine Vielzahl von Tierarten zu infizieren, erhöht das Risiko einer Übertragung auf den Menschen“, sagt Friebertshäuser. Gerade beruflich exponierte Personen mit engem Kontakt zu infizierten Tieren wie Landwirt*innen oder Tierärzt*innen seien gefährdet. Die US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Prevention and Control (CDC) spricht beispielsweise von mindestens 4 Personen, die sich seit Beginn der Epidemie in den Massenbetrieben mit H5N1 infiziert haben. 

    Wie gefährlich ist das H5N1-Virus für Menschen?

    Bereits seit Beginn der Verbreitung von H5N1 im Jahr 1997 kam es immer wieder zu Erkrankungen von Menschen. So kam es etwa im Jahr 2006 zu 115 Infektionen in neun Ländern, darunter die Türkei und Indonesien. 2015 waren es 145 Fälle, wovon 136 Erkrankte alleine in Ägypten gemeldet wurden. In beinahe allen bestätigten Fällen hatten die Erkrankten zuvor entweder engen Kontakt zu infiziertem oder totem Geflügel oder Geflügelmärkte besucht. Insgesamt sind der WHO rund 900 Ansteckungen bekannt, die teils asymptomatisch, teils kritisch verliefen oder gar tödlich endeten. Mit mindestens 463 labordiagnostisch bestätigten Toten liegt die Letalitätsrate bei H5N1 deutlich über 50 Prozent. Zum Vergleich: 1,03 Prozent betrug die weltweit durchschnittliche Sterblichkeitsrate bei Covid-19 – im am stärksten betroffenen Mexico betrug sie 4,63 Prozent.

    “Die weltweite Ausbreitung von H5N1 in diversen Vogelspezies, die zunehmende Infektion vieler Säugerspezies und Kühen, die bislang kein natürlicher Wirt von Influenza-A-Viren waren, ist für mich Grund zur Sorge.”

    von Eva Friebertshäuser
    Professorin für Molekulare Virologie an der Universität Marburg

    Die hohe Mortalitätsrate von H5N1 hat laut Eva Friebertshäuser unter anderem damit zu tun, dass sich das Virus in der menschlichen Lunge effektiv vervielfältigen kann und somit in den meisten Fällen schwere Lungenentzündungen verursacht. Allerdings liegt die tatsächliche Anzahl der H5N1-Infektionen beim Menschen laut Friebertshäuser vermutlich deutlich höher, wodurch die Sterblichkeitsrate geringer wäre als bisher gedacht. „Repräsentative Studien in Geflügelfarmen sowie von Mitarbeiter*innen auf Lebend-Tier-Märkten in asiatischen Ländern zeigen, dass es auch weniger schwer verlaufende Infektionen gibt und die Mortalitätsrate zum Teil bei circa 15 Prozent liegt“, sagt Friebertshäuser. Dementsprechend könne die hohe Sterblichkeit bei den bekannten Fällen zum Teil mit armutsassoziierten Lebensumstände und fehlenden medizinischen Versorgungsmöglichkeiten zusammenhängen. Oder mit dem Alter der Betroffenen. 

    Denn vor allem jüngere Menschen leiden nach einer Infektion mit H5N1 an schweren, grippeähnlichen Symptomen wie Fieber, Husten, Atemnot oder Lungenentzündungen. „Hier spielt vermutlich eine fehlende Immunität eine Rolle, ähnlich wie bei der Spanischen Grippe von 1918. Kinder und junge Erwachsene haben in der Regel noch nicht so häufig (oder gar nicht) eine Influenzainfektion durchgemacht, wie ältere Personen“, sagt Eva Friebertshäuser. Eine Influenzainfektion könne dementsprechend teilweise vor einer Ansteckung oder schwerem Verlauf mit einem anderen Influenza-Subtyp schützen.

    Schweine als Mischgefäße: Mögliche H5N1-Infektion von Mensch zu Mensch

    Von Mensch zu Mensch kann das Virus aber nicht übertragen werden. „Die aktuell zirkulierenden H5N1-Viren sind noch nicht in der Lage, in den oberen Atemwegen des Menschen zu replizieren“, sagt Eva Friebertshäuser. Da sie sich vornehmlich in der Lunge vervielfältigen können, werden sie beim Husten oder Niesen nicht effizient ausgeschieden. Gleichzeitig kann sich das Virus derzeit noch nicht an die Rezeptoren in den oberen Atemwegen des Menschen binden, was eine effektive Übertragung durch Aerosole bislang unmöglich macht. 

    Es steht jedoch die Befürchtung im Raum, dass H5N1 in Zukunft dem Vorbild anderer aviärer Viren folgt und mutiert – und so zum Problem für Menschen werden könnte. Als Beispiel hierfür nennt Friebertshäuser Szenarien aus der Vergangenheit: „Das H3N2 Virus war 1968 im Rahmen der Hong-Kong-Pandemie auf den Menschen übertragen worden und verursacht seitdem saisonale Ausbrüche. Das H1N1 Virus wurde 2009 im Rahmen der ,Schweine-Grippe‘-Pandemie in die menschliche Bevölkerung eingebracht.“

    In diesen beiden Fällen sei es nicht zu einer direkten Übertragung der Vogelgrippeviren auf den Menschen gekommen, sondern zur Entstehung neuer Virusvarianten. Möglich wird dies dadurch, dass Schweine als sogenannte ,Mischgefäße für Influenzaviren‘ empfänglich für zahlreiche Influenzaviren verschiedener anderer Wirte sind, wie etwa Vogel, Mensch oder Pferd. Wenn Schweine gleichzeitig sowohl von aviären als auch von humanen Influenzaviren infiziert werden, kommt es zum Austausch von Gensegmenten zweier Virusvarianten – ein Prozess, der als Reassortierung bezeichnet wird. Somit besteht die Möglichkeit, dass neue Genotypen – also Viren mit völlig neuen Eigenschaften – entstehen können, so Friebertshäuser. „Die zunehmende Infektion von Säugerwirten durch H5N1 bietet dem Virus natürlich viele Möglichkeiten, Mutationen zu erwerben und sich so nach und nach besser an Säuger anzupassen.“ Neben Schweinefarmen bergen laut ihr auch Nerzfarmen ein erhöhtes Risiko für das Entstehen solcher Mutanten.

    Hat H5N1 das Potenzial für eine Pandemie?

    Dennoch: Aktuell schätzt das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) das Risiko einer zoonotischen Übertragung auf die allgemeine Bevölkerung als gering ein. Dieser Einschätzung schließen sich auch Timm Harder und das FLI an. Dennoch müssen das Virus und seine Verbreitung sowie mögliche Veränderung im Blick behalten werden. „Je häufiger dem Virus der Sprung zu Säugetieren gelingt, desto größer ist seine Chance, sich weiter anzupassen und sich in Richtung einer Infektion von Menschen zu entwickeln“, sagt Harder.

    „H5N1 hat definitiv das Potenzial, eine neue Pandemie auszulösen“, sagt Friebertshäuser. Allerdings sei H5N1 wohlbekannt – im Gegensatz zu SARS-CoV-2, das völlig überraschend auftrat. Man sei also dagegen gewappnet – etwa durch bereits gestartete Impfprogramme oder die Verfügbarkeit antiviraler Medikamente zur Behandlung von Influenzainfektionen. Und Friebertshäuser betont einen weiteren positiven Aspekt: Im Falle einer erfolgreichen Bindung an humane Rezeptoren geht häufig der Verlust der effizienten Bindung an aviäre Rezeptoren einher. Folglich könnte sich das Virus zwar effektiver in den oberen Atemwegen vervielfältigen, allerdings würden die schweren Verläufe dementsprechend abnehmen, da sich das Virus weniger gut in der Lunge replizieren könnte.

    Laut Friebertshäuser sollten vor allem auf Nerzfarmen sowie in Schweinezuchten und Milchkuhbetrieben die Präventionsmaßnahmen verschärft werden. Auch, wenn bezüglich der Milchkühe in den USA derzeit von Schmierinfektionen ausgegangen wird, müsse die Möglichkeit einer Übertragung durch Aerosole in Kuhställen definitiv in Betracht gezogen und weiter untersucht werden. „Ein Einbringen der H5N1-Viren aus Kühen in andere Tierpopulationen – beispielsweise Schweinezuchten – muss dringlichst verhindert werden.“

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