Verwirrende Gesetze: Darum ist die juristische Fachsprache so kompliziert
Ellenlange Schachtelsätze und umständliche Formulierungen: Juristendeutsch ist schwer zu verstehen. Warum das so ist und was Zaubersprüche damit zu tun haben.
Labyrinth aus Paragraphen und komplizierten Sätzen: Das BGB und andere Gesetzbücher sind keine leichte Lektüre.
Was erlaubt und verboten ist, was Recht und was Unrecht ist, regeln Gesetze, die für alle Bürger*innen gelten. Doch damit Menschen sich an diese Regeln halten können, müssen sie sie kennen und verstehen. Das ist aber oft gar nicht so einfach, denn sie sind in der juristischen Fachsprache verfasst – und die ist ziemlich kompliziert.
Viele Fremdwörter, eine altmodische Ausdrucksweise und die Nutzung von Wörtern, die in der Umgangssprache eine ganz andere Bedeutung haben – im Alltag sagen wir beispielsweise „billig“, wenn etwas preiswert ist, vor Gericht ist das Wort synonym mit dem Wort „angemessen“ – all das trägt nicht unbedingt zum besseren Verständnis bei.
Verworrene Schachtelsätze
Auch eine im Jahr 2020 erschienene Studie hat sich mit den Eigenheiten des Juristenjargon befasst. Für sie analysierten Hauptautor Eric Martinez, Kognitionswissenschaftler am MIT, und seine Kollegen die Sprache in juristischen Verträgen – insgesamt rund 3,5 Millionen Wörter – und verglichen sie mit der in Zeitungsartikeln, Drehbüchern oder akademischen Arbeiten.
Dabei fiel ihnen vor allem der übermäßige Gebrauch von Schachtelsätzen auf. „Die Rechtssprache hat die Tendenz, Strukturen in andere Strukturen einzufügen, was für menschliche Sprachen untypisch ist“, sagt Studienautor Edward Gibson, Gehirn- und Kognitionswissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology (MIT).
“Die Menschen scheinen zu denken, dass es eine implizite linguistische Regel gibt, laut der juristische Texte so klingen müssen.”
Dazu, warum Juristen so oft auf Schachtelsätze zurückgreifen, stellte das Studienteam eine Hypothese auf. Sie besagt, dass juristische Schriftsätze als einfache, verständliche Entwürfe beginnen. Durch späteres Hinzufügen von Informationen und Definitionen, die in bestehende Sätze eingeschoben werden, werden sie aber zunehmend komplex. Zum Leidwesen aller Beteiligten.
Denn eine im Jahr 2023 erschienene Folgestudie des Forschungsteams konnte laut Gibson zeigen, dass sogar Anwälte die juristische Fachsprache als sperrig und kompliziert empfinden. „Juristen mögen sie nicht, Laien mögen sie nicht“, sagt er. Warum werden juristische Texte dann trotzdem in diesem umständlichen Stil verfasst?
Sogar Laien halten sich an juristische Stilregeln
In einer dritten Studie, die in der Zeitschrift PNAS erschienen ist, ist das internationale Forschungsteam dieser Frage jetzt auf den Grund gegangen. Dafür wurden 200 Nicht-Jurist*innen gebeten, zwei verschiedene Texte zu schreiben. Der erste sollte ein Gesetzestext zu einer Straftat wie Einbruch, Drogenhandel oder Brandstiftung sein, in dem zweiten sollten die Teilnehmenden eine Geschichte über eine dieser Straftaten schreiben. In einem zweiten Versuch sollten 80 Proband*innen erneut Gesetzestexte schreiben und im zweiten Schritt eine Beschreibung dieser Gesetze für Besucher aus dem Ausland formulieren.
Das Ergebnis: Während die Geschichten und Beschreibungen in verständlicher Sprache verfasst waren, wiesen die Gesetzentwürfe der Laien dieselben komplizierten Strukturen auf, die man von tatsächlichen juristischen Texten kennt. „Die Menschen scheinen zu denken, dass es eine implizite linguistische Regel gibt, laut der juristische Texte so klingen müssen“, so Gibson.
Auch als den Teilnehmenden weitere Informationen gegeben wurden, die sie ihren verschiedenen Texten hinzufügen sollten, hielten sie sich, ohne dass es vorgegeben war, an die gelernte sprachliche Form. „Beim Schreiben von Gesetzen wurde viel in die Mitte eingefügt, unabhängig davon, ob der Text nachträglich bearbeitet oder von Grund auf neu geschrieben wurde“, sagt Eric Martinez.
Zauberspruch-Hypothese
Damit ist die ursprüngliche Hypothese der Studienautoren zum inflationären Gebrauch von Schachtelsätzen widerlegt. Basierend auf den Ergebnissen ihrer Versuche, haben sie jedoch bereits eine neue aufgestellt: die „Zauberspruch-Hypothese“.
Denn auch Zaubersprüche haben ihre eigenen Regeln und heben sich von der Alltagssprache ab. Wer etwas schreiben möchte, das wie ein Zauberspruch klingt, wisse, so Gibson, dass eine Menge altmodischer Reime benutzt werden müssen. „Wir denken, dass die Einschübe in der Mitte von Sätzen auf die gleiche Weise Juristensprache signalisieren“, sagt er. Und dies hat den Studienautoren zufolge einen psychologischen Effekt: Sie vermuten, dass die umständliche Fachsprache den Zweck hat, Juristen Autorität zu verleihen.
Doch wann fing das alles an? Das wollen die Studienautoren als nächstes untersuchen, indem sie historische Gesetzestexte auf ihre Grammatik prüfen – unter anderem den babylonischen Codex Hammurapi, der aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. stammt und als ältestes bekanntes Gesetzeswerk der Menschheit gilt. „Vielleicht gab es damals diese eine stilistische Schreibweise, die als erfolgreich angesehen wurde und darum in andere Sprachen übernommen wurde“, sagt Gibson.
Demnach hätte sich die Komplexität juristischer Texte also zufällig in der Vergangenheit entwickelt und wurde aus Gewohnheit beibehalten – obwohl sie unbeliebt ist und das Verständnis erheblich erschwert. Die Studienautoren hoffen, dass ihre Ergebnisse Gesetzgeber zu einer Reform motivieren werden. „Wir wissen erst seit Kurzem, was die Rechtssprache so kompliziert macht“, so Gibson. „Deshalb bin ich optimistisch, dass wir sie ändern können.“