Digitale Droge: So klappt der Social Media-Detox

Dopamin-Defizit und Entzugserscheinungen: Von sozialen Medien loszukommen, ist schwer. Diese Tricks können dabei helfen, die Nutzungszeit zu reduzieren und den Konsum von Social Media in gesunde Bahnen zu lenken.

Von Vittoria Traverso
Veröffentlicht am 2. Mai 2025, 14:15 MESZ
Ein Junge hat seinen Laptop auf dem Schoß und blickt in sein Handy.

Im Schnitt verbringen deutsche Internetnutzer*innen fast zwei Stunden täglich auf Social Media-Plattformen. Schon kurze Pausen von diesem Nutzungsverhalten können positive Effekte haben.

Foto von Vincent Migeat, Agence VU, Redux

Soziale Medien sind für einen großen Teil der deutschen Bevölkerung fester Bestandteil des Alltags. Laut Daten des Medienbeobachtungsunternehmen Meltwater, die im Januar 2024 veröffentlicht wurden, sind rund 81 Prozent der Internetnutzer auf Social Media-Plattformen wie Facebook, Instagram oder TikTok aktiv – und das im Schnitt fast zwei Stunden pro Tag.

Gleichzeitig häufen sich die Warnungen vor den süchtig machenden Eigenschaften von Social Media. Immer mehr Menschen wollen sich darum davon lösen, was sich unter anderem in der Anzahl der Google-Suchen nach „social media detox“ zeigt. In den vergangenen Monaten hat diese um 60 Prozent zugenommen.

Aber hat das Abwenden von sozialen Medien wirklich einen positiven Effekt? Ja, sagen Forschende, und verweisen auf eine Verbesserung des allgemeinen Wohlbefindens und der Prozesse im Gehirn.

Das Gehirn im Dopamin-Rausch

Viele von uns sind der Meinung, zu viel Zeit mit Social Media zu verbringen – nicht umsonst wurde brain rot – zu Deutsch Gehirnfäule – von der Oxford University Press zum Wort des Jahres 2024 ernannt. Doch oft ist es schwer, die Willenskraft aufzubringen, um sich von den Plattformen fernzuhalten. Der Grund dafür liegt in den Mechanismen, mit denen soziale Medien das Belohnungssystem unseres Gehirns ansprechen.

Laut der US-amerikanischen Psychiaterin Anna Lembke, Autorin des Buchs Die Dopamin-Nation: Balance finden im Zeitalter des Vergnügens, macht Medienkonsum auf dieselbe Weise abhängig wie Drogen. Wenn wir Social Media nutzen, laufen im Gehirn ähnliche Prozesse ab wie beim Drogenrausch. Jedes Like, jeder Kommentar, jedes Video von süßen Kätzchen führt zu einer erhöhten Ausschüttung von Dopamin, unserem ,Glückshormon‘.

Das Gehirn ist darauf ausgerichtet, die Dopaminausschüttung im Gleichgewicht zu halten. Lembke spricht in dieser Hinsicht von einem Wippmechanismus. Indem wir endlos durch unsere Social Media-Feeds scrollen, stören wir dieses Gleichgewicht. Um dem entgegenzuwirken, drosselt das Gehirn die Produktion von Dopamin oder verlangsamt seine Aufnahme. Mit der Zeit tritt ein Dopamin-Defizit ein, das uns dazu zwingt, immer mehr Zeit online zu verbringen, um uns ,normal‘ zu fühlen.

Um dem Gehirn die Möglichkeit zu geben, den gestörten Dopaminkreislauf neu aufzubauen und wieder in gesunde Bahnen zu lenken, muss man diesen Kreislauf unterbrechen. Nur so kann man Lembke zufolge die zwanghafte Überkompensierung stoppen.

Laut der Epidemiologin Paige Coyne, die im Rahmen einer Studie den Effekt eines zweiwöchigen Social Media-Entzugs bei 31 jungen Erwachsenen untersucht hat, gibt es keine allgemeingültige Regel, wie so ein Detox zu gestalten ist. „Verschiedene Personen definieren übermäßigen Konsum sozialer Medien ganz unterschiedlich“, sagt sie. Wenn man seine eigene Social Media-Nutzung reduzieren will, sei es wichtig, sich realistische Ziele zu stecken. „Manche wollen ganz aufhören, andere die Zeit, die sie in sozialen Netzwerken verbringen, lediglich halbieren.“

Um das Gehirn neu zu verdrahten, sollte man sich Lembke zufolge von sozialen Medien so lang wie möglich fernhalten – ideal seien mindestens vier Wochen. Doch auch kurze Pausen können für die mentale Gesundheit zuträglich sein. Eine Studie mit 65 Mädchen im Alter von zehn bis 19 Jahren, die drei Tage lang keine Social Media-Plattformen nutzten, hat gezeigt, dass sie in dieser Zeit selbstbewusster, nachsichtiger mit sich selbst und weniger kritisch mit ihrem Körper waren.

Tipps für den Social Media-Entzug

Egal, ob man sich ganz on Social Media löst, ein paar Wochen abstinent bleibt oder die tägliche Nutzungszeit reduziert: Die ersten Tage sind die schwersten. Während das Gehirn sich an die geringe Dopaminausschüttung gewöhnt, kann es laut Lembke zu Entzugserscheinungen wie einem erhöhten Verlangen und Angstzuständen kommen. Diese unangenehmen Gefühle muss man aushalten, wenn man den Teufelskreis aus Sucht und Konsum durchbrechen möchte. Nach einer Weile kann man dann das starke Verlangen besser kontrollieren und es fällt einem leichter, ohne die ständige Dopaminzufuhr durch den Tag zu kommen.

„Mit der Zeit wird es einfacher – auch einfacher, als man gedacht hat“, sagt Sarah Woodruff, Mitautorin der Detox-Studie von Paige Coyne. „Wenn sie erst einmal bei der Sache sind, genießen die meisten den Entzug sogar.“

Nach zwei Wochen Abstinenz wurde der Social Media-Konsum der Studienteilnehmerinnen auf 30 Minuten pro Tag beschränkt. Die meisten berichteten, zufriedener mit ihrem Leben und weniger gestresst zu sein, besser schlafen zu können und eine bessere mentale Gesundheit zu haben als vor Studienbeginn.

Sich mit anderen zu verbinden, die sich ebenfalls im Social Media-Entzug befinden, kann helfen, durch die erste schwere Zeit zu kommen. Für eine Studie mit Mädchen im Teenageralter hat Tomi-Ann Roberts, Psychologin am Colorado College, die Probandinnen gebeten, sich für die Dauer des Experiments in einer WhatsApp-Gruppe zu vernetzen und sich dort jeden Tag Unterstützung zu holen. „Die Mädchen hatten das Gefühl, den Kontakt zu anderen zu verlieren und etwas zu verpassen“, sagt Roberts. „Durch die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen, fühlten sie sich weniger allein.“

Frau mit Smartphone in der U-Bahn.

Durch die Abstinenz von sozialen Medien hat man außerdem Gelegenheit, ein klareres Bewusstsein für die Rolle der Plattformen in unserem Leben zu gewinnen. „Der Entzug gibt uns die Möglichkeit, mit Abstand zu betrachten, wie wir Social Media nutzen und ob diese Art der Nutzung für uns gut oder schädlich ist“, sagt Woodruff. „Man kann herausfinden, ob man es schafft, seine täglichen Aufgaben zu erledigen und direkte persönliche Kontakte ausreichend zu pflegen, oder ob das wegen der Zeit, die man in soziale Medien investiert, auf der Strecke bleibt.“

Regeln für ein gesunde Nutzungsverhalten

Nach der Detox-Phase ist es laut Lembke wichtig, klare Regeln für den Social Media-Konsum aufzustellen, damit man nicht wieder in alte Muster verfällt. „Ich empfehle eine physische oder mentale Barriere, die man zwischen sich und dem Konsum aufbaut“, sagt sie. „Beispielsweise kann man Mitteilungen der Plattformen abstellen oder das Smartphone aus dem Schlafzimmer verbannen.“

Um das Belohnungssystem des Gehirns im Gleichgewicht zu halten, sollte man sich für Aktivitäten entscheiden, die statt dem schnellen Dopamin-Kick ein langanhaltendes Gefühl der Belohnung hervorrufen. „Gesunde Dopaminquellen sind in der Regel mit etwas Vorarbeit verbunden“, sagt Lembke und nennt als Beispiele das Spielen eines Instruments oder das Kochen. „Wenn eine Aktivität im Vorfeld unsere Aufmerksamkeit fordert, wird das Dopamin vom Gehirn mit einer gewissen Verzögerung ausgeschüttet – und das erhält die Balance.“

Expert*innen empfehlen zudem, über das Jahr verteilt regelmäßige Phasen der Social Media-Abstinenz einzuplanen. „Sich generell sozialen Medien zu entziehen, geht meistens nicht“, sagt Woodruff. „Aber wir können Pausen einlegen, in denen wir den Stand unseres Konsums einschätzen und herausfinden, wie wir uns damit fühlen.“

 

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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