Manifestation: Diese Gefahren birgt der TikTok-Trend

Mit positivem Denken zum Erfolg? Der Hashtag #manifesting trendet auf TikTok und Instagram – doch die harmlos erscheinenden Praktiken der Social Media-Gurus können im Leben der Follower großen Schaden anrichten.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 1. Sept. 2023, 08:41 MESZ
Eine Frau in einem gelbem Shirt steht mit geschlossenen Augen auf einer Lichtung.

Positive Gedanken helfen – sowohl in Krisen als auch im Alltag. Wer sich aber allein auf sie verlässt, kann im Leben auf Schwierigkeiten stoßen. 

Foto von Alan Retratos / Pexels

Die Idee der Manifestation ist einfach: Man muss nur fest genug an den eigenen Erfolg glauben, dann tritt er ein. Weiteren Anschub leisten positive Affirmationen: Wer sich regelmäßig selbst vorsagt, gesund, geliebt und glücklich zu sein, ist es irgendwann wirklich.

So jedenfalls die Philosophie hinter dem Hashtag #manifesting, der sich auf sozialen Medien wie TikTok und Instagram etabliert hat. Dahinter stehen Life-Coaches, Influencer*innen und Gurus, die ihren Follower*innen dabei helfen wollen, mit dem richtigen Mindset im Leben alles zu erreichen, wovon sie träumen. Zumindest dem Hashtag hat das den gewünschten Erfolg gebracht: Im Mai 2023 lagen die Aufrufzahlen insgesamt bei 34,6 Milliarden.

Wenn Optimismus extrem wird

„Trotz ihrer kulturellen Relevanz wurde den Überzeugungen und Praktiken der Manifestation in der Wissenschaft bisher kaum Beachtung geschenkt“, heißt es in einer aktuellen Studie, die in der Zeitschrift Sage Journal erschienen ist. Grund genug für den Erstautor Lucas J. Dixon, Doktorand für Psychologie an der australischen Queensland University, und sein Team, das Phänomen genauer zu untersuchen.

Wie Angst die Evolution des Menschen prägte
Angst und Furcht mögen nicht angenehm sein, aber beides sind wichtige Emotionen, die die menschliche Evolution prägten. Unser Gehirn reagiert auf Bedrohungen und bereitet unseren Körper auf das vor, was da kommen könnte – so wie wir es vor Hunderttausenden von Jahren gelernt haben. Aber wie sieht die Wissenschaft hinter dieser angeborenen Reaktion aus und wie gehen wir in der modernen Welt damit um?

Ihr Fazit: Eine positive Lebenseinstellung hat viele Vorteile, beim Manifestieren ist jedoch Vorsicht geboten. Eine extreme Manifestationsüberzeugung birgt das Risiko von überstürzten Entscheidungen, unrealistischen Zielen und falschen Hoffnungen. Enttäuschungen sind vorprogrammiert, schlimmstenfalls endet der extreme Optimismus im Ruin.

Glaube an eigene und kosmische Kräfte

Die Ergebnisse der Studie basieren auf drei Einzelstudien mit rund 1.000 US-amerikanischen Proband*innen. In der ersten Studienphase wurden den Teilnehmenden elf Manifestationssätze vorgelegt, der sie auf einer Skala von 1 (gar nicht) bis 7 (stark) zustimmen sollten. Abgefragt wurde sowohl der Glaube an eigene „magische“ Kräfte – „Ich erhöhe die Wahrscheinlichkeit meines Erfolgs, indem ich fest an ihn glaube“ – und an Kräfte, die von außen wirken – „Eine höhere Macht führt mir Menschen und Ereignisse zu, die mir zum Erfolg verhelfen“.

Dabei zeigte sich, dass fast die Hälfte der Teilnehmenden davon überzeugt war, Erfolg durch Manifestation herbeiführen zu können. An das Wirken einer höheren Macht glaubten rund 33 Prozent. Zwischen der Manifestationsüberzeugung und persönlichen Parametern wie Alter, Geschlecht oder Einkommen konnte kein Zusammenhang festgestellt werden. Dafür gab es aber eine Überschneidung mit dem Glauben an Konstrukte wie ausgleichende Gerechtigkeit und Karma, die in der zweiten Studienphase abgefragt wurden.

Im dritten Teil der Studie stellte sich heraus, dass Menschen, die an Manifestation glauben, zu einer falschen Selbstwahrnehmung neigen: Sie halten sich tendenziell für erfolgreicher als sie es eigentlich – bezogen auf messbare Faktoren wie Einkommen oder Bildungsniveau – sind. Trotz dieser offensichtlichen Kluft haben Sie hohe, in Anbetracht ihrer tatsächlichen Situation eher unrealistische Erwartungen für ihre Zukunft.

BELIEBT

    mehr anzeigen

    Mit positivem Denken in den Konkurs

    Die Abfrage der persönlichen Lebenserfahrungen und -entscheidungen der Teilnehmenden zeigt, dass Manifestierende besonders empfänglich für Angebote sind, die versprechen, sie „schnell reich zu machen“ – selbst, wenn diese völlig unrealistisch sind. Unter ihnen fanden sich außerdem mehr Menschen, die in ihrem Leben mindestens einmal Konkurs anmelden mussten, als unter den Manifestations-Skeptikern.

    Die Manifestation ist eine Form des magischen Denkens. Der Begriff wird in der Psychologie verwendet, wenn eine Person glaubt, durch bestimmte Gedanken, Worte oder Handlungen den Lauf der Dinge so beeinflussen zu können, dass herkömmliche Regeln von Ursache und Wirkung außer Kraft gesetzt werden.

    Optimismus und das Gefühl von Selbstwirksamkeit sind grundsätzlich positiv und können, wie eine Studie aus dem Jahr 2019 gezeigt hat, sogar das Leben verlängern. Wenn man aber trotz eindeutiger Beweise, dass ein bestimmtes Verhalten unklug und sogar schädlich ist, an unrealistischen Zielen festhält, wird positives Denken extrem und zum Problem. Ebenso gefährlich ist es, sich allein auf die Kraft der Manifestation zu verlassen und selbst nicht mehr aktiv zu werden.

    Leugnen der Realität

    Im Glaubenssystem der Manifestation werden Rückschläge oft ins Positive umgekehrt und als Zeichen interpretiert, weiterzumachen und sich nicht entmutigen zu lassen. Das kann dabei helfen, Misserfolge besser zu verarbeiten. Es kann aber auch dazu führen, dass Manifestierende die Realität leugnen und sich an falsche Hoffnungen klammern. Die Studie zeigt, dass Menschen, die von der Kraft der Manifestation überzeugt sind, für dieses Muster besonders anfällig sind.

    Dass #manifesting gerade Trend ist, ist kein Zufall. Laut einer Befragung, an der zwischen 1966 und 2009 9,2 Millionen US-Amerikaner*innen teilgenommen haben, ist es jüngeren Generationen häufiger als früheren Generationen wichtig, reich, berühmt und schön zu sein. Gleichzeitig macht es die wachsende Ungleichheit in Gesellschaft und Einkommensstrukturen immer unwahrscheinlicher, diese Ziele wirklich zu erreichen. 

    Die Versprechen der Social Media-Gurus fallen derzeit also auf besonders nahrhaften Boden. Beweise dafür, dass sie diese auch halten, konnten aber zumindest im Rahmen der Queensland-Studie nicht gefunden werden.

    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie
    • Video

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved