Nomophobie: Wenn die Trennung vom Smartphone Angst auslöst

Immer mehr Menschen zeigen Symptome einer Angststörung, wenn ihr Smartphone nicht in der Nähe ist. Eine Studie aus Göttingen hat erstmals untersucht, wie weit das Phänomen in Deutschland verbreitet ist – mit alarmierenden Ergebnissen.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 6. Feb. 2023, 11:57 MEZ
Frau mit Smartphone in der U-Bahn.

Vor allem unterwegs problematisch: Fällt das Smartphones aus, sind viele Menschen nicht nur aufgeschmissen, sondern regelrecht panisch. Eine Studie aus Göttingen untersuchte die deutschlandweite Verbreitung der Nomophobie – der Angst, von seinem Handy getrennt zu sein.

Foto von Rawpixel.com / Adobe Stock

Fast jede Person hat es schon einmal erlebt: Man ist unterwegs und plötzlich ist der Akku des Handys leer – für viele eine Horrorvorstellung. Immerhin nutzten 2021 bereits 63 Millionen Menschen in Deutschland die Geräte mit einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von drei Stunden und 49 Minuten pro Tag.  

Ist das Smartphone aus oder nicht in unmittelbarer Nähe, reagieren besonders Digital Natives – junge Menschen, die mit Handys aufgewachsen sind – oft gereizt oder nervös bis panisch. Treten diese Symptome in übersteigerter Form auf, leidet man vermutlich an einer neuen Angststörung: der sogenannten Nomophobie. Die „no mobile phone phobia“ bezeichnet die Angst, vom eigenen Handy getrennt und dadurch unerreichbar und abgeschnitten von seinen sozialen Kontakten zu sein. 

Wie verbreitet die Nomophobie in Deutschland ist, war bislang nicht klar. Eine neue Studie unter der Leitung von Yvonne Görlich, Professorin für Psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie an der Privaten Hochschule Göttingen (PFH), untersuchte nun erstmals die Ausprägung der Angststörung in der Bundesrepublik. In der Zeitschrift PLOS One veröffentlichten die Forschenden ihre Ergebnisse, die zu denken geben: Rund die Hälfte der Teilnehmenden wies ein mittleres Maß an Nomophobie auf, 4,1 Prozent sind sogar schwer von der Angststörung betroffen. 

Nomophobie messbar machen

„Bisher gab es in Deutschland kein geprüftes diagnostisches Instrument für Nomophobie“, sagt Görlich. Für seine deutschlandweite Studie habe das Forschungsteam deshalb den international verwendeten Fragebogen Nomophobia Questionnaire NMP-Q übersetzt und validiert. Dieser misst die Ausgeprägtheit von vier Faktoren, die mit dem Smartphone-Entzug in Verbindung stehen: „nicht kommunizieren können“, „Verbindungsverlust“, „nicht auf Informationen zugreifen können“ und „Komfortverzicht“.

An der Studie nahmen 807 freiwillige Probandinnen und Probanden mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren teil. Ihre Smartphone-Zeit betrug durchschnittlich vier Stunden und 16 Minuten am Tag.  

Frauen sind stärker betroffen als Männer

“Wir können davon ausgehen, dass Frauen aufgrund eines stärkeren Bedürfnisses nach sozialen Beziehungen das Smartphone stärker zur Kommunikation nutzen und somit höhere Nomophobie-Scores erzielen.”

von Yvonne Görlich
Professorin für Psychologische Diagnostik und Differentielle Psychologie, PFH Göttingen

Die Ergebnisse der PFH-Studie sind alarmierend: 49,4 Prozent der Teilnehmenden waren von einer mittelschweren Nomophobie betroffen. Sie gaben an, dass sie sich ohne ihr Smartphone unwohl fühlen und darüber hinaus nervös, ängstlich oder gereizt reagieren, sobald sie ohne ihr Handy auskommen müssen. Dieses Verhalten bringt negative psychische Folgen mit sich: „In früheren Studien wurden signifikante Zusammenhänge zwischen Nomophobie und Einsamkeit, Depression, Ablenkung und verminderter Impulskontrolle festgestellt“, erklärt Görlich. 

Die Studie konnte außerdem bestätigen, dass die Nomophobie eng mit der sogenannten „Fear of missing out“ – der Angst, etwas zu verpassen – verbunden ist und dass Menschen, die zu Neurotizismus neigen, öfter an Nomophobie leiden. Darüber hinaus sind Frauen stärker von der Angststörung betroffen als Männer – ihre allgemeinen Nomophobie-Werte waren im Durchschnitt um 9 Punkte höher als die der männlichen Teilnehmenden. Vor allem bei den Faktoren „nicht kommunizieren können“ und „Komfortverzicht“ waren die Werte der weiblichen Teilnehmenden signifikant höher. „Wir können davon ausgehen, dass Frauen aufgrund eines stärkeren Bedürfnisses nach sozialen Beziehungen das Smartphone stärker zur Kommunikation nutzen und somit höhere Nomophobie-Scores erzielen“, sagt Görlich.

BELIEBT

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    Bewusste Smartphone-Nutzung gegen Nomophobie 

    Noch gilt Nomophobie nicht als anerkannte Krankheit. Aufgrund der neuen Studie, ähnlichen internationalen Ergebnissen und der stetig steigenden Handynutzung, liegt jedoch die Frage nahe, ob die Angststörung in die Diagnosekataloge für psychische Störungsbilder aufgenommen werden sollte, so Görlich.  

    Mit einer weiteren Studie wollen die Forschenden nun herausfinden, ob eine kontrollierte Smartphone-Nutzung Nomophobie sowie Depressions-, Angst- und Stresssymptome reduzieren und Wohlbefinden sowie Kreativität fördern kann. Dabei stehe die bewusste Nutzung der Handys im Vordergrund, nicht der komplette Verzicht. „Die Studie bietet Teilnehmenden die Chance, Smartphone-Fasten auszuprobieren und ihr Nutzungsverhalten zu kontrollieren sowie ihr Befinden zu dokumentieren“, erläutert die Forscherin. Bis zum 3. März können Nomophobie-Betroffene an der neuen Studie teilnehmen.

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