Astrobiologie - Gibt es Leben im All?

Eine der ältesten Fragen der Menschheit wird vielleicht schon bald beantwortet: ob wir wirklich allein sind im Universum.

Von Michael D. Lemonick
Foto von Mark Thiessen

Das elektronische Signal aus einem Nasa-Labor in Kalifornien erreicht ein Roboterfahrzeug in Alaska. Der Rover hängt in einem See an der Unterseite einer 30 Zentimeter dicken Eisschicht. Der Scheinwerfer des Fahrzeugs flammt auf. «Es hat geklappt!», ruft John Leichty, ein junger Ingenieur, der am Jet Propulsion Lab (JPL) im kalifornischen Pasadena arbeitet. Wenn er nicht gerade auf dem Eis von Alaska in einem Zelt kauert. Seine Erfolgsmeldung ist möglicherweise der erste Schritt zur Erkundung eines fernen Mondes.

7000 Kilometer weiter südlich, in Mexiko, watet die Mikrobiologin Penelope Boston 15 Meter unter der Erde in einer pechschwarzen Höhle durch schlammiges Wasser. Sie trägt ein Atemgerät und eine Pressluftflasche, denn durch die Höhle ziehen häufig giftige Schwefelwasserstoff- und Kohlenmonoxidgase. Plötzlich fällt das Licht ihrer Stirnlampe auf den Faden einer zähen, halbdurchsichtigen Flüssigkeit, der von der zerklüfteten Kalksteindecke hängt. «Ist er nicht schön?», ruft sie begeistert.

Beide Orte – der zugefrorene See in der Arktis und die giftgeschwängerte tropische Höhle – könnten Anhaltspunkte zur Lösung eines der ältesten Rätsel der Menschheit liefern: Gibt es Leben außerhalb der Erde?

In anderen Welten, ob in unserem Sonnensystem oder in Umlaufbahnen weit entfernter Sterne, müssen sich Lebewesen vielleicht in eisbedeckten Ozeanen behaupten. Etwa auf dem Jupitermond Europa. Oder in gasgefüllten Höhlen, wie man sie unter der Marsoberfläche vermutet. Auf der Erde Lebensformen zu finden, die unter ähnlich extremen Bedingungen gedeihen, gäbe Hoffnung, sie auch auf anderen Himmelskörpern entdecken zu können.

Wann genau die Suche nach Leben im All von Science-Fiction zu echter Wissenschaft wurde, ist nicht exakt zu sagen. Höchst bedeutsam war zweifellos eine internationale Tagung für Astronomie im November 1961. Organisiert wurde sie von Frank Drake, einem jungen Radioastronomen. Er lauschte schon damals engagiert nach möglichen Funksignalen von Außerirdischen.

Bei einem Großteil seiner Kollegen war die Suche nach extraterrestrischer Intelligenz, kurz „Seti“, «noch mehr oder weniger tabu», erinnert sich Drake, der heute 84 ist. Doch mit dem Segen seines Institutsdirektors lud er eine Handvoll Astronomen, Chemiker, Biologen und Ingenieure ein. Gemeinsam diskutierten sie über die Astrobiologie, wie dieser Forschungszweig heute heißt: die Wissenschaft vom Leben außerhalb der Erde. Drake wollte wissen: Wie sinnvoll ist es überhaupt, kostspielige Betriebszeit von Radioteleskopen darauf zu verwenden, nach außerirdischen Funksignalen zu lauschen?

Ganz zu Anfang schrieb er dazu eine Gleichung an die Tafel.

N=R* × ƒp × ne × ƒl × ƒi × ƒc × L

Sein Gekritzel wurde als „Drake-Formel“ weltberühmt. Die Lösung (N) besagt, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, mit außerirdischen Intelligenzen Kontakt aufnehmen zu können. Ausgangsfaktor ist die Häufigkeit, mit der sonnenähnliche Sterne in der Milchstraße entstehen (R*).

Man multipliziert diese Zahl mit dem Anteil von Sternen, die ein Planetensystem besitzen (ƒp) und dieses Ergebnis mit der Anzahl der Planeten in einer lebensfreundlichen Zone (ne) – also mit der Zahl der Planeten, die ungefähr so groß sind wie die Erde und die ihren Stern in einer Entfernung umkreisen, die Leben möglich macht. Den neuen Wert multipliziert man mit dem Anteil der Planeten, auf denen wirklich Leben entsteht (ƒl) und den wiederum mit dem Anteil der Planeten, auf denen sich Intelligenz entwickelt (ƒi). Im vorletzten Schritt multipliziert man das Zwischenergebnis mit dem Anteil von Planeten, auf denen eine Technologie entstanden ist, die das Versenden von Funksignalen ermöglicht, die wir entdecken könnten (ƒc).

Jetzt fehlt noch ein Faktor: die Lebensdauer einer solchen funkfähigen Zivilisation (L). Denn es gibt ja viele Gefahren, die das Leben auf einem Planeten bedrohen – angefangen bei katastrophalen Vulkanausbrüchen über Asteroideneinschläge bis hin zu einem Atomkrieg. Könnte ja sein, dass wir das Zeitfenster knapp verpasst haben, in dem außerirdische Intelligenzen Funksignale ins All sandten.

Die Gleichung war völlig plausibel. Sie hatte nur einen Haken: Niemand wusste, wie groß die jeweiligen Zahlen in den einzelnen Teilen der Formel waren. Man kannte nur die allererste Variable: die Häufigkeit, mit der sich sonnenähnliche Sterne bilden. Alles Weitere war Spekulation. Nun waren die Experten der verschiedenen Fachgebiete gefragt, die Positionen der Drake-Gleichung mit begründbaren Zahlen auszufüllen – etwa über den Anteil sonnenähnlicher Sterne mit einem Planetensystem und den Anteil solcher Planeten, auf denen Leben entstanden sein könnte.

Eine Forschergeneration lang konnten nicht einmal grobe Schätzwerte in die Gleichung eintragen werden. Der erste Planet, der außerhalb unseres Sonnensystems einen sonnenähnlichen Stern umkreist, wurde 1995 entdeckt: „51 Pegasi b“ ist rund 50 Lichtjahre von der Erde entfernt, eine riesige Gaskugel, halb so groß wie der Jupiter. Wegen seiner engen Umlaufbahn dauert sein „Jahr“ nur vier Tage, dort ist es über 1000 Grad heiß.

An Leben unter solch höllischen Bedingungen glaubte niemand. Doch die Entdeckung dieses Planeten war der Durchbruch. Nachdem man kurz darauf einen zweiten und einen dritten extrasolaren Planeten nachgewiesen hatte, waren die Schleusen geöffnet. Heute kennen die Astronomen fast 2000 Exoplaneten. Die kleinsten sind kleiner als die Erde, die größten größer als der Jupiter. Für weitere Tausende gibt es Hinweise, sie müssen aber noch bestätigt werden.

Keiner dieser Planeten ist genau wie die Erde, aber die Astronomen sind zuversichtlich, über kurz oder lang so einen zu finden. Nach neuesten Schätzungen könnte jeder fünfte sonnenähnliche Stern von Planeten umkreist werden, die lebensfreundliche Bedingungen aufweisen.

Für die Astrobiologen ist das eine gute Nachricht. Hinzu kommt: In den vergangenen Jahren ist den Planetenjägern klar geworden, dass kein Anlass besteht, die Suche auf Sterne zu beschränken, die unserer Sonne ähneln. «Zu meiner Schulzeit haben wir gelernt, dass die Erde einen ganz durchschnittlichen Stern umkreist», sagt der Astronom David Charbonneau von der Harvard-Universität. «Das stimmt aber gar nicht.» Tatsächlich sind 80 Prozent der Sterne in der Milchstraße sogenannte M-Zwerge: kleine, kühle, schwach leuchtende, rötliche Himmelskörper. Umkreist ein erdähnlicher Planet einen M-Zwerg in der richtigen Entfernung – sie müsste kleiner sein als der Abstand zwischen Erde und Sonne, sonst wäre es zu kalt –, könnte Leben dort ebenso leicht entstehen wie auf einem erdähnlichen Planeten eines Sterns, der unserer Sonne gleicht.

Ein Planet muss nicht einmal ähnlich groß wie die Erde sein, um Leben hervorbringen zu können. «Alles zwischen einer und fünf – vielleicht sogar zehn – Erdmassen kommt dafür infrage», sagt etwa der Harvard-Astronom Dimitar Sasselov. Kurz gesagt: Die Anzahl der Sterne mit möglicherweise lebensfreundlichen Planeten ist wohl viel größer, als Frank Drake 1961 eher vorsichtig geschätzt hatte.

Und das ist noch nicht alles: Extremophile Lebewesen können in einem viel breiteren Spektrum von Temperaturen und chemischen Umweltbedingungen gedeihen, als die Forscher es sich bei Drakes Tagung vorgestellt hatten. Schon vor 50 Jahren entdeckten Meeresforscher, dar- unter der von National Geographic geförderte Robert Ballard, die „Schwarzen Raucher“. Das sind Schlote am Meeresboden, aus denen mineralienreiches heißes Wasser austritt: Lebensgrundlage für ein reichhaltiges Ökosystem aus Bakterien. Die Mikroben ernähren sich von Schwefelwasserstoff und anderen im Wasser gelösten Verbindungen und dienen ihrerseits größeren Tieren als Nahrung.

Andere Organismen gedeihen in heißen Quellen, in eisigen Seen unter der antarktischen Eiskappe, in extrem säure-, basen- oder salzhaltigen Umgebungen, bei starker Radioaktivität oder in mikroskopischen Gesteinsrissen, mehr als tausend Meter unter der Erdoberfläche. «Bei uns auf der Erde sind das kleine ökologische Nischen», sagt Lisa Kaltenegger vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, «auf einem anderen Planeten könnte das aber der Normalzustand sein.»

Unverzichtbar für Leben, wie wir es kennen, ist nach Ansicht von Biologen nur eines: Wasser in flüssiger Form, das innerhalb eines Organismus Nährstoffe überall dorthin transportieren kann, wo sie gebraucht werden.

Auf dem Mars floss früher Wasser. Das wissen wir seit 1971, als die Raumsonde „Mariner 9“ den Roten Planeten kartierte. Es könnte dort also Leben gegeben haben. Denkbar ist sogar, dass unter der Marsoberfläche, wo es vielleicht noch flüssiges Wasser oder Eis gibt, Lebensspuren zu finden sein werden. Risse in der eisbedeckten Oberfläche des Jupitermondes Europa sind ein Indiz, dass dort unter dem Eis ein Ozean aus flüssigem Wasser liegt. Weil Europa ungefähr 800 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt ist – mehr als dreimal so weit wie die Erde –, sollte das Wasser dort eigentlich dauerhaft gefroren sein. Aber der Mond verformt sich ständig durch das Ziehen und Drücken der vom Jupiter und seinen anderen Monden verursachten Gezeiten. Dabei entsteht Wärme, die das Wasser unter dem Eismantel flüssig hält. Theoretisch könnte es also dort Leben geben.

NG-Video: Kevin Hand - Exploring Alien Oceans:

Nach optimistischen Schätzungen könnte jeder fünfte sonnenähnliche Stern von Planeten mit lebensfreundlichen Bedingungen umkreist werden.

Ein unterirdisches Wasserreservoir ist seit diesem Frühjahr auch auf dem Saturnmond Enceladus bestätigt. Offen ist noch, wieviel Wasser es ist und ob es lange genug flüssig war, um die Entwicklung von Leben zu ermöglichen. Auf der Oberfläche des größten Saturnmondes, Titan, gibt es sogar Flüsse, Seen und Regen – allerdings nicht aus Wasser, sondern aus flüssigen Kohlenwasserstoffen wie Methan und Ethan. Welche Art Leben darin existieren könnte, darüber können wir nur spekulieren – zumal wir bis heute nicht wissen, wie Leben prinzipiell entsteht und was dafür notwendig ist.

Der Mars immerhin ist uns in mehrfacher Hinsicht näher als diese weit entfernten Monde. Derzeit erkundet das Roboterfahrzeug „Curiosity“ den Krater „Gale“. Vor Jahrmilliarden gab es dort einen See. Dass das chemische Umfeld für Mikroorganismen günstig war, wissen wir aufgrund neuer Untersuchungen auf der Erde.

Natürlich ist eine Höhle in Mexiko – in der sich Penelope Boston über zähflüssige Schleimfäden freut – nicht der Mars. Und ein See im Norden Alaskas – in dem John Leichty eine ferngesteuerte Sonde unter dem Eis testet – ist nicht der Jupitermond Europa. Doch an beiden Orten erproben die Wissenschaftler neue Methoden für die Suche nach Leben unter Bedingungen, die zumindest entfernt dem ähneln, was Raumsonden finden könnten. Ihr Augenmerk gilt „Biosignaturen“. Das sind sichtbare oder chemisch nachweisbare Indizien, die auf Leben hindeuten – auf früheres oder bestehendes.

Die Höhle in Mexiko könnte ein Modell für den Mars sein. Raumsonden haben festgestellt, dass es auch auf dem Roten Planeten Höhlen gibt. In ihnen könnten Mikroorganismen überlebt haben, als der Planet vor drei Milliarden Jahren seine Atmosphäre und sein Oberflächenwasser verlor. Solche Marsbewohner würden ihre Energie nicht aus dem Sonnenlicht beziehen. Aber vielleicht aus dem tropfenden Schlamm, von dem Boston so begeistert ist. Die Wissenschaftler bezeichnen solche unschönen Tropfen in Anlehnung an die bekannten Stalagmiten und Stalaktiten als „Snottiten“ – Rotz
fäden. In der Höhle gibt es sie zu Tausenden, manche sind wenige Millimeter, andere mehr als einen halben Meter lang. Der Schleim wimmelt von Mikroben. «Sie sind chemotroph», erklärt Boston, «sie beziehen ihre Energie aus der Umwandlung von Schwefelwasserstoff.»

Dabei sind die Snottiten nur eine von vielen Formen der hier lebenden Mikrobengemeinschaften. Rund ein Dutzend hat Boston in der Höhle schon gefunden. «Jede Form ist anders.
Und jede zapft andere Nährstoffsysteme an.»

Eine fällt besonders auf. Sie bildet keine Tropfen oder Klumpen aus Schleim, sie erzeugt Muster auf den Höhlenwänden: Punkte, Linien und sogar Netze aus Linien, die fast wie Schriftzei
chen aussehen. Astrobiologen nennen solche Spuren „Biovermikulationen“ – wurmförmige
 Muster –, kurz Bioverms.

«Sie kommen in verschiedenen Größen vor,
meist dort, wo irgendeine Ressource knapp
ist», sagt der Ingenieur Keith Schubert von der Baylor­Universität in Texas. Er ist Spezialist für bildgebende Systeme und installiert in der Cueva de Villa Luz Kameras für die Langzeitüberwachung des Höhleninneren. Ähnliche Bioverms findet man in Krusten, die in Wüsten den Boden bedecken, sagt er. Sie enthalten Lebensgemeinschaften aus Bakterien, Moosen und Flechten. Zwar ist es bislang nur eine Hypothese, aber vielleicht sind solche Bioverms eine Art Biosignatur, die primitives Leben auch anderswo hinterlässt. Weil die Muster möglicherweise auf einfachen Gesetzmäßigkeiten für Wachstum und Konkurrenz um Ressourcen basieren. Auf der Erde ist immer Sauerstoff beteiligt. Auf anderen Planeten könnten Organismen solche Signaturen aber durch die Umsetzung anderer energieliefernder Stoffe hinterlassen. «Wir haben Bioverms in verschiedensten Größen und in ganz unterschiedlichen Umgebungen gesehen», sagt Boston. «In ihrer Art sind sich die Muster aber immer sehr ähnlich.»

In Höhlen bleiben solche Strukturen selbst dann erhalten, wenn die verursachenden Mikroorganismen längst tot sind. Würde ein Marsroboter so etwas an einer Höhlenwand entdecken, sagt Schubert, «dann wüssten wir, wo wir etwas genauer hinschauen sollten».

Am oberen Ende Nordamerikas haben sich die Forscher am Sukok­See in Alaska ähnliche Ziele gesetzt. Ihr Augenmerk richtet sich hier auf das Methan, das vom Seeboden aufsteigt. Dieser gasförmige Kohlenwasserstoff wird von Mikroorganismen produziert, die Fachleute in der Gruppe der Methanogene zusammenfassen.

Sie zersetzen organisches Material und schaffen damit eine weitere Biosignatur, nach der Astrobiologen auf fremden Welten suchen könnten.

Methan kann allerdings auch aus Vulkanen und anderen nichtbiologischen Quellen stammen. Es bildet sich zudem ständig in der Atmosphäre von Riesenplaneten wie dem Jupiter und auch auf dem Saturnmond Titan. Entscheidend ist also, dass die Wissenschaftler biologisch erzeugtes Methan von dem nichtbiologisch entstandenen Gas unterscheiden können. Wenn man sich wie der Astrobiologe Kevin Hand vom Jet Propulsion Laboratory in Kalifornien für den eisbedeckten Jupitermond Europa interessiert, ist der eisbedeckte, methanreiche Sukok­See kein schlechter Ort, um das zu üben.

Hand, der ebenfalls von National Geographic gefördert wird, hat gute Gründe dafür, bei seinen Forschungen nicht den Mars, sondern Europa zu favorisieren. «Mal angenommen», sagt er, «wir finden auf dem Mars Lebewesen. Und mal angenommen, es basiert, wie auf der Erde, auf dem DNA­Molekül, in dem bei uns alle Lebensfunktionen codiert sind. Das könnte bedeuten, dass DNA ein universelles Lebensmolekül ist. Das wäre möglich.»

Es könnte aber auch bedeuten, dass das Leben auf der Erde und auf dem Mars einen gemeinsamen Ursprung hat. Wir wissen, dass Gesteinsbrocken, die durch Asteroiden aus dem Mars herausgeschlagen wurden, auf die Erde gelang­ ten. Umgekehrt ist das wohl genauso vorgekommen. Wenn in solchen Brocken Mikroorganismen eingeschlossen waren, könnten sie den Flug überlebt haben. Und dort, wo sie herunterfielen, als lebensspendende Keime gewirkt haben.

«Sollte sich herausstellen, dass Leben auf dem Mars auch auf DNA basiert», sagt Hand, «müssten wir darüber nachdenken, ob die Planeten sich gegenseitig befruchtet haben.» Der Jupitermond Europa dagegen ist viel weiter entfernt. Würde dort Leben gefunden, wäre das ein Hin­ weis auf einen unabhängigen Ursprung – selbst wenn es auch dort auf DNA basierte.

Die Grundbausteine sind auf Europa anscheinend vorhanden. Flüssiges Wasser gibt es in Hülle und Fülle, am Ozeanboden könnten, wie auf der Erde, „Schwarze Raucher“ existieren, die Nährstoffe liefern. Auf der Oberfläche von Europa schlagen regelmäßig Asteroiden ein und lagern organische Verbindungen ab, die ebenfalls als Bausteine für Lebewesen dienen könnten. Elektrisch geladene Teilchen aus dem Strahlungsgürtel des Jupiter spalten im Eis den Sauerstoff vom Wasserstoff ab. Dabei entsteht ein Spektrum verschiedener Moleküle, mit deren Hilfe Lebewesen die chemischen Nährstoffe aus den Schloten verarbeiten könnten.

Frank Drake hofft immer noch auf Signale außer­ irdischer Intelligenzen: «Wer weiß, auf welche Art sie Kontakt suchen?»

Die große Unbekannte ist: Wie gelangen solche Verbindungen durch Europas Eismantel in das Wasser darunter? Immerhin ist das Eis 15 bis 25 Kilometer dick. Die Aufnahmen diverser Raumsonden haben allerdings gezeigt, dass es von Rissen durchzogen ist. Durch die Analyse von Teleskopaufnahmen weiß man seit dem vorigen Jahr, dass Salze aus Europas Ozean den Weg an die Oberfläche finden, wahrscheinlich durch derartige Spalten. Aufnahmen des „Hubble“­Weltraumteleskops zeigten Ende 2013 auch Fontänen aus flüssigem Wasser, die am Südpol von Europa aufsteigen. Undurchdringlich ist das Eis demnach nicht.

Was also läge näher, als eine Sonde in eine Umlaufbahn zu schicken, um mehr zu erfahren. Staatliche Forschungskommissionen in den USA bewerteten so ein Projekt zwar als aussichtsreich, bei Kosten von 4,7 Milliarden Dollar aber als zu teuer. Doch die Wissenschaftler am JPL ließen nicht locker. Sie setzen sich unter Leitung des Astrophysikers Robert Pappalardo zusammen und konzipierten das Vorhaben von Grund auf neu. Ihr Ergebnis: Die Sonde „Europa Clipper“ soll nicht den Jupitermond, sondern den Jupiter selbst umkreisen. Das würde viel Treibstoff und Geld sparen. 45­mal müsste die Sonde dabei an Europa vorbeifliegen, um genug Daten über die Atmosphäre, die Oberfläche und den Ozean unter dem Eis zu sammeln.

Pappalardo sagt, so würde das Projekt weniger als zwei Milliarden Dollar kosten. «Wir stellen uns den Start Mitte des kommenden Jahrzehnts vor.» Mit einer „Atlas V“­Rakete würde der Flug zum Jupitermond Europa etwa sechs Jahre dauern. «Es ist aber auch möglich», sagt er, «dass wir mit dem neuen Space Launch Sys­ tem SLS starten können, das die Nasa derzeit entwickelt. Damit wären wir in 2,7 Jahren dort.»

Der Clipper selbst würde auf Europa wohl kein Leben entdecken, doch Argumente dafür liefern, später mit einer Sonde auf dem Mond zu landen – und gleich die besten Landeplätze ausfindig machen. Wie diese Sonde dann den dicken Eismantel durchdringen wird, um in den Ozean darunter zu gelangen, kann heute noch niemand sagen. Steuerung und Messmethoden testen die Forscher um Kevin Hand aber schon heute am Sukok­See in Alaska.

Die Sensoren der ferngesteuerten Sonde messen dort unter dem Eis Temperatur, Salzgehalt, Säuregrad und andere Eigenschaften des Wassers. Das Gerät sucht jedoch nicht direkt nach Leben, dafür sind andere Wissenschaftler in Hands Team zuständig. Einer von ihnen ist John Priscu aus Montana. Im vorigen Jahr gelang es ihm, lebende Bakterien aus dem Lake Williams zu entnehmen. Der See liegt 800 Meter unter der Eiskappe der Antarktis. Priscu untersucht, wie extrem kalte Umgebungen beschaffen sein müssen, um dennoch Leben zu ermöglichen. Und natürlich, welche Arten von Lebewesen dort tatsächlich existieren.

Die Erforschung der Extremophilen liefert allerdings nur „irdische“ Hinweise auf mögliche Eigenschaften außerirdischen Lebens. Andere Projekte werden nützlichere Daten erbringen, um fehlende Werte in die Drake­Gleichung einzutragen. Die Nasa hat soeben das Weltraumteleskop „Transiting Exoplanet Survey Satellite“ („Tess“) genehmigt. Es soll von 2017 an bei unseren Nachbarsternen nach Planeten und Biosignaturen Ausschau halten. Erleichtert wird die Suche durch das „James Webb“-Weltraumteleskop, das 2018 starten soll. 2024 schaltet sich dann „Plato“ in die Suche ein, das Weltraumteleskop, das unter der Leitung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gebaut wird.

Manche Forscher erlauben sich sogar gedankliche Ausflüge in die Science-Fiction. Warum, fragen sie, gehen wir davon aus, dass sich das Leben auf anderen Planeten wie bei uns auf der Basis von Kohlenstoff und Wasser entwickelt hat? Die gibt es zwar überall in der Milchstraße. Aber wir wissen ja gar nicht, wie die Biosignaturen von Leben aussehen könnten, das nicht auf Kohlenstoffverbindungen beruht.

«Doch wenn wir unsere Suche derart einschränken, könnten wir scheitern», mahnt der Harvard-Astronom Sasselov. «Wir sollten zumindest für einige Möglichkeiten darüber nachdenken, wie ihre Biosignaturen in der Atmosphäre aussehen könnten.» Während sich die meisten Forscher auf erdähnliche Planeten konzentrieren, sucht Sasselovs Arbeitsgruppe auch nach ganz anderen Formen von Biologie auf Planeten mit völlig anderen Bedingungen. Zum Beispiel nach Leben, das nicht auf Kohlenstoff sondern auf Schwefelverbindungen basiert.

Auch Frank Drake, mit dem die Astrobiologie vor mehr als einem halben Jahrhundert begann, mischt noch mit. Obwohl offiziell im Ruhestand, sucht er weiter nach Signalen Außerirdischer. Es ärgert ihn zwar, dass die Finanzierung für „Seti“ weitgehend eingestellt wurde. Dafür verfolgt er mit größtem Interesse ein neues Vorhaben: Statt auf Funkwellen außerirdischer Zivilisationen zu lauschen, will man sie durch das Licht finden, dass die Anlagen einer hochtechnisierten Gesellschaft ins All abstrahlen. «Wir sollten jeden denkbaren Ansatz verfolgen», sagt Drake: «Wer weiß, auf welche Weise Außerirdische gerade Kontakt suchen.»

(NG, Heft 7 / 2014, Seite(n) 34 bis 53)

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