Einblicke in fünf traditionelle Drogenkulturen aus der ganzen Welt

Die Drogenpraktiken an diesen Orten sind nicht weniger als eine Kunstform und tief verwurzelt in Traditionen.

Von Hannah Lott-Schwartz
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:32 MEZ
Gabun, Zentralafrika
Iboga aus Gabun in Zentralafrika.
Foto von Mike Dutton

Das starke westliche Stigma beeinflusst unsere Haltung zu Drogenkulturen und wird durch unsere Vorstellungen von bewusstseinsverändernden Substanzen, künstlich hergestellten, chemischen Verbindungen und zerstörten Gemeinden befeuert. Aber auf der ganzen Welt gibt es spirituelle Anhänger, deren Einnahme von Entheogenen – psychoaktiven Substanzen, die in religiösen oder schamanistischen Kontexten verwendet werden – nicht weniger als eine erlernte Kunstform darstellt. Sie ist ein einzigartiges Merkmal jener Menschen und Regionen, die diese Wirkstoffe seit Jahrhunderten ergründen.

Das Ziel ist es dabei nicht, das ultimative High zu erreichen, sondern die höchste Einsicht – ein Individuum nimmt eine Pflanze mit psychoaktiven Eigenschaften zu sich, um sich mit ihr zu unterhalten oder ihr zuzuhören. Es ist eine fesselnde Vorstellung, auf diese Art eins mit der Natur zu werden. Sie wird von dem Bedürfnis angetrieben, eine Verbindung zu einer uralten Stimme einzugehen und deren Wissen in sich aufzunehmen.

Nebenwirkungen wie Korruption und Gewalt zeugen von dem hohen Tribut, den dieses Bedürfnis fordert. Aber der Reiz dieser Substanzen ist so mächtig, dass er auch interessierte Außenseiter anzieht. Das hat mittlerweile zu einem Strudel an gut dokumentiertem Drogentourismus und infolgedessen zur Kommerzialisierung von Religionen geführt. Diese Entwicklung bedroht nicht nur die Praktiken selbst, sondern in manchen Fällen auch die Pflanzen, die in deren Zentrum stehen.

Es ist nicht immer einfach, beim Reisen die richtige Balance zu halten – wie kann man einen Ort hautnah erleben, ohne ihn sich anzueignen und ihn mit Haut und Haar zu verschlingen? Wir haben die Tendenz, lieber in privat vermieteten Wohnungen als in Hotels zu übernachten, lieber Street Food zu kosten als in teure Restaurants zu gehen, und uns den Gepflogenheiten der Einheimischen anzupassen – was auch immer diese denn sein mögen. Irgendwo dort verwischen die Grenzen des verantwortungsvollen Tourismus. Manche würden sagen, dass das der Unterschied zwischen einem Gläschen Pisco sours in Cusco und einem Ayahuasca-Tee in Iquitos ist: Beide vermitteln einem einen Geschmack der Tradition des Landes, aber nur einer davon hat das Potenzial, ein empfindliches, kulturelles Ökosystem zu stören.

Im Folgenden stellen wir fünf solcher Ökosysteme aus der ganzen Welt vor. Jedes davon hat seine eigene Tradition entheogener Praktiken, die bereits neugierige Blicke von jenseits des Mainstream-Schleiers auf sich gezogen haben. Auch wenn wir keinen Drogentrip nach Mexiko gutheißen können, um Mescalito in einer Wolke aus Peyote zu treffen, können wir doch behaupten, dass die glitzernden Illusionen der Wüste unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.

GABUN, ZENTRALAFRIKA

In Gabun, einem Land an der Westküste Zentralafrikas, durch das der Äquator verläuft, wächst ein Kraut, das weiße und rosafarbene Blüten aufweist und geschmacklose, orangefarbene Früchte trägt. Es ist nicht besonders hübsch und seine Früchte sind vom Nährwert her eher zu vernachlässigen. Trotzdem ist die Iboga heilig und wird (unter anderem) vom Stamm der Babongo verehrt, der ihre einzigartigen Eigenschaften vor etwa tausend Jahren entdeckte, als sich eine Religion namens Bwiti um die Rinde der Pflanze formierte.

Iboga aus Gabun, Zentralafrika
Foto von Mike Dutton

Grob übersetzt bedeutet Bwiti einfach nur „andersweltliche Baummedizin“ oder „das Wesen, das ruft“. Die Bwiti-Anhänger essen die psychedelische Rinde sowohl für ihr individuelles, spirituelles Wachstum als auch zur Festigung der Gemeinschaft. In erster Linie ist es aber ein Initiationsritus, eine Einführung in die Weisheit der Pflanze und eine Verbindung zum Wissen der Vorfahren.

So geheiligt und intensiv sie auch ist – bei geschlossenen Augen löst sie Visionen und Wachträume aus, manche Wirkungen halten bis zu 48 Stunden an –, der Einnahme geht ein komplexer Ritus voraus. Nachdem die Wurzelrinde abgeschabt und zu kleinen Stücken oder feinem Puder verarbeitet wurde, entfaltet sich eine Zeremonie unter der Aufsicht eines N‘ganga, oder Schamanen, die von Klatschen, Gesang und komplexer, perkussionslastiger Musik begleitet wird. Es ist ein Ereignis für die ganze Gemeinschaft: Alte, Heiler und sogar Kinder sitzen am Rand und lauschen der Nachricht, die da kommen mag, wenn sich die Iboga offenbart. Der Eingeweihte gibt sich ihrer Führung hin und berichtet in Echtzeit von seinen Visionen, damit der N‘ganga sie in Echtzeit interpretieren und das Geschehen lenken kann.

ANDEN UND AMAZONASREGIONEN, SÜDAMERIKA

BELIEBT

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    Ayahuasca aus den Anden und Amazonasregionen, Südamerika
    Foto von Mike Dutton

    Man sitzt auf einer überdachten Plattform tief im Amazonasregenwald, die Haut ist von einem klebrigen Film aus heißem Schweiß überzogen. Ein Schamane singt Icaros, zeremonielle Lieder, als einem Pachamama – die Mutter Erde – in die Eingeweide greift und kräftig zudrückt. Und so beginnt eine Periode heftigen Erbrechens (mit Durchfallkrämpfen), die Teil der meisten Ayahuasca-Zeremonien ist. Darin wird die körperliche und emotionale Galle ausgeschieden, um den rätselhaften Schleier transzendenter Heilung herbeizuführen. Dieser zeichnet sich durch wilde visuelle und aurale Halluzinationen aus, welche die Grenzen der Liebe und der Angst vor den nächsten vier bis sechs Stunden infrage stellen werden.

    Der Pflanzensud ist trübe und schmeckt auch nicht besonders. Er besteht aus gestampften Ayahuasca-Lianen und Blättern des Baums Psychotria viridis. Oft wird noch Gemeiner Stechapfel und reiner Dschungeltabak, den man Mapacho nennt, hinzugemischt, um die Darmentleerung anzukurbeln. Das Gemisch wird zwölf Stunden lang gekocht und dann von einem Schamanen gesegnet, der heiligen Tabakrauch über und in den Kessel bläst. Das Kompositum Ayahuasca besteht aus zwei Quecha-Worten (wenn auch in spanischer Schreibweise) und bedeutet „Liane der Seele“ oder „Seil der Toten“, je nach Interpretation. Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich um eine mächtige Entität, die Pachamama anruft. Sie ist zentrale Figur der Mestizen und Ureinwohner, die sie – in all ihren Formen – schon seit Jahrhunderten in ihre Körper einladen.

    NORDOSTEN MEXIKOS, SÜDTEXAS

    In den sengenden Wüsten des nordöstlichen Mexikos und des südlichen Texas graben die Menschen auf der Suche nach einem kleinen, stachellosen Kaktus im Boden. Diesem wohnen angeblich seherische Kräfte inne, die er mit jenen teilt, die mutig und stark genug sind, sie zu empfangen. Du nimmst nicht Peyote – Peyote nimmt dich.

    Peyote aus der Chihuahua Wüste, Nordamerika
    Foto von Mike Dutton

    Mescalito – so wurde der halluzinogene Kaktus später personifiziert – hat sich den Azteken, den mexikanischen Indios und den amerikanischen Ureinwohnern offenbart und ist schon seit über 5.000 Jahren eine zentrale Figur in kulturellen und religiösen Praktiken. Die Zeremonien unterscheiden sich zwar voneinander, aber sie sind oft gemeinschaftlich. Ein Schamane leitet die Gruppe durch spezielle Peyote-Lieder, wenn sie zusammen die getrockneten „Knöpfe“ essen, wie die oberirdisch wachsenden Segmente genannt werden. Über einen Zeitraum von zehn bis zwölf Stunden transportieren Halluzinationen (und für Neulinge auch heftige Brechanfälle) den Konsumenten durch Raum und Zeit entlang der ganzen Bandbreite der Emotionen. In den Schatten können dabei auch fordernde oder beängstigende Situationen lauern. Die Ehrfurcht, die einem Peyote einflößt, tendiert fast mehr zur Seite der Furcht denn der Ehrerbietung. Aber seine Verheißung der Erleuchtung und der Respekt vor seiner Macht ist weder überdramatisiert noch untertrieben.

    PAZIFISCHE INSELN

    Als wohl sanftestes Entheogen ist Kava (auch bekannt als Kava-kava oder Yaqona, „Nahrung der Götter“) als einzige Substanz in diesem Artikel in den USA auch für den Gebrauch außerhalb von religiösem Kontext legal. Die Substanz, die für ihre friedensstiftende Wirkung bekannt ist, ist auf den Pazifischen Inseln von Hawaii über Vanuatu bis nach Fidschi ein wesentlicher Bestandteil des polynesischen Lebens. Sie findet in allen Bereichen Verwendung, ob nun religiös oder sozial. Sie fungiert als Vermittler oder spiritueller Bote zwischen den Menschen und der Vu, einer spirituellen Kraft. Ohne Kava, so sagt man, wird die Vu nicht erscheinen.

    Kava von den Pazifische Inseln
    Foto von Mike Dutton

    Die langen, knorrigen Wurzeln der belaubten Pflanzen können entweder frisch oder getrocknet und zerstoßen gekauft werden. Alternativ können sie auch gemahlen werden, um ein milchiges Getränk aus ihnen herzustellen. Es schnurrt quasi im Bauch und schürt eine sonderbare Mischung aus Gelassenheit und Euphorie, bei der man aber wachen Verstandes bleibt. Ein ausgedehnter Konsum versetzt den Kava-Trinker jedoch in einen Zustand mentaler Stille, eine Art freundlichen Wachschlaf. Man muss die Benommenheit, die Kava auslöst, jedoch mit der richtigen Einstellung angehen – so, als ob man nach dem Weg fragt oder über eine Frage meditiert –, um sich bewusst von seiner Wärme leiten zu lassen.

    OAXACA, SÜDMEXIKO

    In den 1950ern sickerte das Wissen um eine jahrhundertealte Mazatec-Tradition durch ihr historisches Schutzschild und in die Münder zweier Amerikaner. Sie brachten Kunde von ihrer „tiefgreifenden“ Erfahrung zurück nach Hause, in Form eines mittlerweile berühmten Fotoessays für das Magazin „Life“. Und so begann die weitreichende und stürmische Beziehung zu psilocybinhaltigen Pilzen – den Zauberpilzen, für die Timothy Leary sich in seinem berühmten Harvard Psilocybin Project aufgrund ihrer psychologischen und religiösen Eigenschaften einsetzte.

    Psilocybinhaltige Pilze aus Oaxaca, Südmexiko
    Foto von Mike Dutton

    In seiner naturreinen Form wird der Pilz im Mazatec-Brauch (der auch bei anderen präkolumbianischen, mesoamerikanischen Völkern vorkommt) verwendet, um körperliche, seelische oder moralische Leiden zu behandeln. Wie auch Ayahuasca und Peyote werden die Pilze für ihre Fähigkeit verehrt, den Konsumenten über die Grenzen seiner Realität hinauszuführen, Konventionen aufzubrechen und neue Perspektiven zu eröffnen. So schaffen sie beim Konsumenten gewissermaßen neue emotionale Leitungen für Mitgefühl und Empathie, sowohl für den Konsumenten selbst als auch für die Welt. Das heilige Ritual ist eine gemeinschaftliche Angelegenheit bei den Mazatec. Die Pilze werden in Kopal-Rauch gebadet und in Paaren zu je zwei Stück verzehrt, um die Stärke und Dualität der vereinten Geschlechter zu repräsentieren. Zusammen sitzen die Teilnehmer dann in der Dunkelheit einer Hütte mit dem Schamanen als auserkorenem Sprecher der Gruppe. Er fungiert als Kanal, durch den die Pilze sprechen – und wie es der Zufall will, haben sie eine Menge zu erzählen.

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