Lebte dieser mysteriöse Affenmensch an unserer Seite?

Nachdem Homo naledi zum menschlichen Stammbaum hinzugefügt wurde, haben Wissenschaftler entdeckt, dass diese Art deutlich jünger ist als zunächst vermutet.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:32 MEZ
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Der Paläokünstler John Gurche hat dieses Bildnis des Homo naledi aus Ton, Gips und Silikon gefertigt. Als Basis dienten die Schädelreste aus beiden Kammern des Rising-Star-Höhlensystems – Dinaledi und Lesedi. H. naledi hatte primitive Skelettmerkmale, aber das Gesicht, der Schädel und die Zähne weisen genügend moderne Züge auf, um seinen Platz in der Gattung Homo zu rechtfertigen.
Foto von Mark Thiessen, National Geographic

Anderthalb Jahre, nachdem ein rätselhaftes neues Familienmitglied seinen Weg in den Stammbaum des Menschen gefunden hat, hat ein Team aus Wissenschaftlern in Südafrika eine weitere Entdeckung gemacht: Die Art ist deutlich jünger, als ihr seltsam urtümlicher Körperbau vermuten lässt. Sie könnte sich die Landschaft Afrikas mit dem frühen Homo sapiens geteilt haben.

2013 machten zwei Höhlenkletterer einen spektakulären Fund homininer Überreste im Rising-Star-Höhlensystem in Südafrika: eine Art mit einem kleinen Gehirn sowie Schultern und einem Torso, der dem von Affen ähnelt. Sie wies jedoch auch einige unbestreitbar menschenähnliche Merkmale auf. Die neue Art wurde auf den Namen Homo naledi getauft, nach dem Sesotho-Wort für „Stern“.

Mittlerweile leuchtet der Stern dieser Art noch heller. Das Team, das vom Paläoanthropologen Lee Berger von der Witwatersrand-Universität (Wits) geleitet wird, veröffentlichte am Dienstag eine Studie in „eLife“. Darin gibt das Team einen Zeitraum für das Alter der Fossilien an: zwischen 236.000 und 335.000 Jahren. Es beschreibt auch eine zweite Kammer in der Rising-Star-Höhle, die bisher noch nicht datierte Überreste von H. naledi enthält.

Wenn sich diese Daten behaupten können, wären unsere großhirnigen Vorfahren wohl nicht allein gewesen. Eine kleinhirnige Art anderer Hominini hätte in ihrem Schatten weiter existiert. Die Angaben zum Alter der Fossilien überlappen mit der Mittleren Steinzeit und eröffnen eine provokante, wenn bisher auch nicht bewiesene Möglichkeit: Die Funde der Steinwerkzeuge in Südafrika aus dieser Zeit könnten nicht ausschließlich aus der Hand des anatomisch modernen Menschen stammen.

DAS FEHLENDE PUZZLETEIL

Als Homo naledi 2015 sein öffentliches Debüt hatte, waren einige Schlüsselfaktoren über die Art noch unbekannt. Auf welche Weise war H. naledi mit den anderen Hominini-Arten verwandt? War er die Wurzel an der Basis unserer Homo-Gattung, wie Teile seines Körperbaus vermuten ließen?

Einige Folgestudien versuchten, diese Lücken zu füllen, indem sie das Alter von H. naledi anhand seiner Schädelform und seiner Zähne im Vergleich zu anderen Hominini statistisch zu schätzen versuchten. Eine davon legte das Alter der Art auf etwa zwei Millionen Jahre fest. Eine andere Studie von Mana Dembo von der Simon Fraser Universität vermutete, das Alter läge bei etwa 912.000 Jahren ... plus/minus eine Million Jahre.

Währenddessen hatte Bergers Team stets die vage Vermutung, dass H. naledi jünger sei.

Paul Dirks, ein Geologe an der Wits und der James Cook Universität, sagte, das Team hätte absichtlich mit der Publikation seiner Daten gewartet. Wenn die ursprünglichen Zahlen falsch gewesen wären, hätten Skeptiker das als Leichtfertigkeit von Seiten des Teams angesehen – ein Vorwurf, den einige Personen dem Team wegen seines halsbrecherischen Veröffentlichungstempos bereits gemacht haben. Da in der Kammer der Höhle untypischerweise keine tierischen Überreste gefunden werden konnten, mussten Proben der unsagbar wertvollen Fossilien entnommen und für den Prozess der Datierung zerstört werden.

Nach der Beschreibung der Fossilien beschlossen Dirks und 19 andere Wissenschaftler, methodologisch die schweren Geschütze aufzufahren und sechs unterschiedliche Datierungsmethoden zu verwenden, um H. naledis Alter einzuschränken.

Zu Beginn datierten die einige Sinterüberzüge – Kalzitschichten, die sich durch fließendes Wasser abgelagert hatten –, die einen Teil der Überreste von H. naledi bedeckt hatten. Zwei Labore kamen unabhängig voneinander zu dem Befund, dass die Sinterüberzüge etwa 236.000 Jahre alt sein mussten. Das bedeutete, dass die darunterliegenden Überreste älter sein mussten.

Das maximale Alter zu ermitteln, war etwas schwieriger, da sich unterhalb der Überreste kein Sinterüberzug befand. Das Team ließ daher ein paar Sedimentkörnchen und drei Zähne von H. naledi durch eine ganze Reihe von Datierungsmethoden laufen. Einige davon untersuchten die Strahlungsdosis, welche die Materialien abbekommen hatten, nachdem sie lange Zeit der natürlichen Hintergrundstrahlung der Höhle ausgesetzt waren. So kamen sie schließlich auf das Maximalalter von 335.000 Jahren.

„Schlussendlich sind wir jetzt fest von den Ergebnissen überzeugt“, sagt John Hawks, ein Paläoanthropologe von der Universität Wisconsin-Madison, der Teil des Teams um H. naledi ist. Hawks und Berger geben detaillierte Einblicke in die Datierung und die komplette Entdeckungsgeschichte des Homo naledi in dem neuen Buch „Almost Human“, das von National Geographic veröffentlicht wurde.

BELIEBT

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    Bones that belong to at least three individuals—two adults and a child— were found in the Lesedi Chamber within the Rising Star cave system in 2014, in South Africa. This adult, nicknamed “Neo” by the research team, is represented by bones of the head and body and was likely male.
    Foto von Lee Berger

    Warren Sharp, ein Geochronologe an der Universität von Kalifornien, Berkeley, der nicht an der Studie beteiligt war, lobt das Team für dessen gründliche und sorgfältige Bemühungen. Er betont jedoch, dass die maximale Altersschätzung des Teams ein Modell der Höhlenradioaktivität und deren Entwicklung über einen langen Zeitraum voraussetzt – eine extrem schwierige Angelegenheit. Daher sei diese Schätzung naturgemäß weniger überzeugend.

    EIN WEITERES LICHT IM DUNKELN

    Berger und seine Kollegen verkündeten am Dienstag außerdem, dass es in der Rising-Star-Höhle eine zweite Kammer mit Fossilien von H. naledi gibt. Sie wurde 2013 während Feldstudien von Steven Tucker und Rick Hunter entdeckt – denselben Höhlenkletterern, die auch den ersten Fund in der Kammer namens Dinaledi gemacht hatten.

    Die zweite Kammer heißt Lesedi – das Setswana-Wort für „Licht“ – und befindet sich mehr als 90 m entfernt von der Dinaledi-Kammer, die mehr als 1.500 Fossilienteile des H. naledi beherbergte.

    Bisher wurden zusätzliche 130 Teile aus der Lesedi-Kammer geborgen, die zu zwei Erwachsenen und mindestens einem Kind gehören. Eines der Erwachsenen-Skelette, vermutlich ein Männchen, ist bemerkenswert gut erhalten. Es beinhaltet einen Schädel, bei dem ein großer Teil der Gesichtsknochen erhalten ist, und liefert somit wichtige Informationen, die beim ursprünglichen Fund fehlten. Es ist also kein Wunder, dass das Team das Individuum Neo getauft hat, nach dem Sesotho-Wort für „Geschenk“.

    „[Neo] ist von seinem Zustand her ähnlich gut erhalten wie das Lucy-Skelett“, sagt Hawks und bezieht sich auf das berühmte, komplett erhaltene und 3,2 Millionen Jahre alte Skelett eines Australopithecus afarensis aus Äthiopien. „Uns fehlen ein paar Teile, die bei Lucy erhalten sind, und wir haben ein paar Teile, die Lucy nicht hat.“

    BEWEISLAGE

    Die Entdeckung der Lesedi-Kammer stellte für Bergers Team eine gewisse Untermauerung für eine seiner am heißesten umkämpften Hypothesen dar: dass H. naledi auf irgendeine Art das Rising-Star-Höhlensystem nutzte, um seine Toten zu entsorgen.

    Diese verwegene Theorie ergab sich aus der generellen Seltsamkeit der Dinaledi-Kammer, die auch die Lesedi-Kammer aufweist. Beide Kammern enthalten fast ausschließlich Überreste von H. naledi, was höchst ungewöhnlich ist (obwohl in der Lesedi-Kammer auch einige tierische Überreste gefunden wurden). Noch dazu haben Berger und seine Kollegen bisher auch keine weiteren Eingänge in die Kammern gefunden.

    Viele Gelehrte wollen jedoch mehr Beweise sehen, bevor sie diesen Gedanken überhaupt in Erwägung ziehen. „Viele Experten (ich eingeschlossen) halten ein solch komplexes Verhalten für unwahrscheinlich bei einem Wesen, dessen Gehirn etwa so groß wie das eines Gorillas war. Umso mehr, wenn man vermutlich einen gezielten Einsatz von Feuer (zur Beleuchtung) voraussetzen muss“, sagt Chris Stringer, ein Anthropologe am Natural History Museum in London, der die neu veröffentlichten Studien überprüft hat.

    Noch dazu warnen auch andere Archäologen ebenso wie Mitglieder des Teams, dass eine Entsorgung der Toten durch H. naledi nicht unbedingt von menschenähnlichen Ritualen oder Gründen motiviert sein muss.

    „Wir denken von Menschen, dass sie sehr schlau sind und Gründe für Dinge haben“, sagt Hawks. „Ich denke da nicht an Vernunft – eine ganz einfache Maßnahme ist zum Beispiel sicherzustellen, dass die Leichen nicht von Raubtieren angefressen werden oder den Elementen ausgesetzt sind.“

    ZEIT UND ORT

    Berger und sein Team haben die Überreste aus der Lesedi-Kammer noch nicht datiert, und die Daten aus der Dinaledi-Kammer zeigen nicht, wie langlebig H. naledi als Art eigentlich war. Der kurze Zeitausschnitt, den die Datierung bietet, zählt aber zum Beginn der Mittleren Steinzeit. In dieser Ära war die Gattung Homo noch ein breit gefächerter, verworrener Busch – nicht die zurechtgestutzte Abstammungslinie einer einzigen Art, wie wir sie heute sehen.

    Vor 230.000 bis 330.000 Jahren gab es auf der Erde nicht nur Vorfahren des anatomisch modernen Menschen: In Europa und Asien gab es den Neandertaler, in Asien den Denisova-Menschen, vermutlich kleine Gebiete in Eurasien mit unserem Vorfahren Homo erectus sowie Vorgänger des H. floresiensis. Inmitten dieses Pantheons wäre H. naledi die erste bekannte Art, die zu dieser Zeit in Afrika gelebt hat, abgesehen von einigen verstreuten Hinweisen auf archaische Formen des H. sapiens.

    Es ist allerdings noch nicht klar, wie genau H. naledi in den menschlichen Stammbaum passt. Die meisten Forscher stimmen überein, dass der direkte Vorfahre des Homo sapiens Homo erectus war, der zuerst vor 1,8 Millionen Jahren auftrat. Laut einer der Analysen von Berger und seinen Kollegen könnte H. naledi aufgrund seiner Morphologie jedoch ein besserer Kandidat für den jüngsten Vorfahren der Menschen sein. Die Art könnte sich parallel zu dem Zweig der modernen Menschen entwickelt haben, nachdem dieser aus ihr hervorgegangen ist.

    Andere Wissenschaftler halten es für wahrscheinlicher, dass die Überreste aus der Rising-Star-Höhle einen Nebenzweig der menschlichen Vorfahren bilden, der in einem abgeschlossenen Bereich überlebt hat – ähnlich wie H. floresiensis auf seinem Inselrefugium.

    Bergers Team argumentiert auch, dass bei einer Koexistenz von H. naledi und modernen Menschen die Steinwerkzeuge aus dieser Zeit, die in Südafrika gefunden wurden, vielleicht nicht das Werk von Menschen sind. „Wir haben angenommen, dass [der Werkzeugbau] ein Zeichen moderner, menschlicher Komplexität ist. Tatsächlich ist das aber eine Region der Welt, in der naledi der am besten dokumentierte Hominini-Vertreter ist“, so Hawks.

    Das Rising-Star-Team folgert ebenfalls, dass H. naledi ein Zeichen dafür sein könnte, dass der südlich vom Äquator befindliche Teil Afrikas die treibende Kraft hinter der frühen Hominini-Diversität ist. Diese Annahme steht im starken Kontrast zu der Behauptung, dass Ostafrika die Wiege der frühen menschlichen Evolution sei. Diese Theorie beruht auf reichhaltigen Fossilienfundstellen in Äthiopien, Kenia und Tansania.

    Bernard Wood, ein Paläoanthropologe an der George Washington Universität, ist der Meinung, dass die Debatte um den Ursprung der Homo-Gattung so oder so unnötig hitzig werden könnte.

    „Wir müssen sichergehen, dass wir nicht in die Falle tappen anzunehmen, dass alle wichtigen Ereignisse in der Hominini-Evolution dort stattfanden, wo wir das Glück hatten, Fossilien zu finden“, sagt Wood. „Es macht wenig Sinn, die eine fehlgeleitete Garten-Eden-Hypothese durch eine andere, ebenso fehlgeleitete Garten-Eden-Hypothese zu kippen. Wir sollten uns entspannen, tief durchatmen [und] die Tatsache zelebrieren, dass das interessante Befunde sind.“

    So wie es aussieht, wird die Rising-Star-Höhle auch in den kommenden Jahren noch Grund zum Feiern bieten. Hawks vermutet, dass bisher weniger als fünf Prozent der Dinaledi-Kammer ausgegraben wurden. Auch die Lesedi-Kammer enthält vermutlich noch weitere Überreste. Das Team untersucht auch andere Höhlensysteme in der Nähe nach weiteren Spuren unserer alten Cousins.

    „Das sollte Leute auch dazu motivieren, die Hoffnung auf [neue] Entdeckungen nicht aufzugeben“, sagt Marina Elliott, die Teil des Teams ist. „Die Exploration ist nicht tot.“

    Jamie Shreeve hat zur Berichterstattung beigetragen. Dieser Artikel wurde der Übersicht halber gekürzt.

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