Museumsbesucher aufgepasst: Dieser Kunstgegenstand ist vielleicht Diebesgut

Ein forensischer Archäologe bringt Licht in das mitunter zwielichtige Geschäft hinter Museumssammlungen.

Von Nick Romeo
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:32 MEZ
Das konfiszierte Foto eines Antiquitätenhändlers zeigt eine griechische Vase, die auf 350 v. Chr. datiert wurde und noch eine Kruste aus Salz und Erde hat. Das Motiv zeigt Dionysos, den griechischen Gott des Weins, und einen Flöte spielenden Gefährten auf einem Liegesofa auf Rädern.
Foto von Christos Tsirogiannis

Vor ein paar Jahren sah sich Christos Tsirogiannis die Onlinesammlung des Metropolitan Museum of Art an, als er plötzlich etwas erkannte. Als er sich einen antiken griechischen Krater – eine Tonvase, die zum Anmischen von Wein verwendet wurde – besah, „klickte plötzlich“ etwas, wie er es ausdrückte. Die Vase war mit einem Bildnis des Dionysos verziert, dem griechischen Gott des Weins. „Ich wusste, dass ich das Motiv auf dem Krater schon mal gesehen hatte“, sagt er.

Der forensische Archäologe arbeitet mit dem Scottish Centre for Crime and Justice der Universität von Glasgow zusammen. Dadurch hat Tsirogiannis Zugang zu eingeschränkten Datenbanken mit Zehntausenden Fotografien und Dokumenten, die bei Razzien beschlagnahmt wurden. Als er die Onlinearchive durchsuchte, fand er fünf Bilder des Kraters vom Met bei den Gegenständen, die bei Giacomo Medici konfisziert wurden. Der italienische Antiquitätenhändler wurde 2005 verurteilt, gestohlene Güter erhalten zu haben und illegal mit geraubten Antiquitäten zu handeln.

Warum also befand sich ein Gegenstand, der von Räubern ausgegraben und verkauft worden sein könnte, als Ausstellungsstück in einem berühmten amerikanischen Museum? Und wie ist es dort hingelangt?

Unbequeme Fragen wie diese nehmen im digitalen Zeitalter zu, da Museen, Universitäten und private Sammler Onlinekataloge ihrer Sammlungen veröffentlichen. Diese dienen Leuten wie Tsirogiannis, die detektivisch gegen Plünderer vorgehen, als wertvolle Ressourcen bei ihrer Arbeit.

Der in Griechenland geborene Archäologe Christos Tsirogiannis hat Hunderte von gestohlenen Artefakten identifiziert, indem er die Onlinekataloge von Museen und Galerien durchsucht hat.
Foto von Christos Tsirogiannis

Auch wenn sein Einfluss nur selten gewürdigt wird, hat Tsirogiannis‘ Detektivarbeit große Museen und Auktionshäuser in den USA, Europa und Asien dazu gebracht, Dutzende wertvoller Objekte ihren rechtmäßigen Eigentümern in Griechenland, Italien und anderen Ländern zu überstellen.

„Ich mochte als Kind schon immer Puzzlespiele“, erzählt der in Griechenland geborene Wissenschaftler. „Meine Arbeit ist wie ein riesiges Puzzlespiel, das aus Tausenden kleineren Puzzeln besteht.“

Nachdem er an der Universität von Athen Archäologie und Kunstgeschichte studiert hatte, arbeitete Tsirogiannis für die griechischen Kultur- und Justizministerien, wo er gestohlene Artefakte datierte und katalogisierte. 2013 machte er seinen Doktor an der Cambridge Universität. Er schrieb seine Dissertation über internationale Netzwerke illegaler Antiquitätenhändler.

BELIEBT

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    Tsirogiannis entdeckte diese gestohlene etruskische Amphore, die von einer Galerie in Manhattan zum Verkauf angeboten wurde, und gab den Behörden Bescheid. Die Galerie gab das Artefakt bereitwillig her. Es wurde kürzlich nach Italien zurückgebracht.
    Foto von Manhattan District Attorney Cyrus R. Vance, Jr

    Mit einem gewaltigen visuellen Gedächtnis, das sich an Tausende Bilder gestohlener Artefakte erinnern kann ­– und dem Willen, Dutzende von E-Mails zu schreiben, die nie beantwortet werden – sucht Tsirogiannis aktiv nach Hunderten von Objekten in Museen auf der ganzen Welt. Vor Kurzem wies er die Behörden darauf hin, dass ein etruskisches Gefäß in einer Midtown-Galerie in Manhattan gestohlen war. Seine Bemühungen führten letztendlich zur offiziellen Rückführung des Objekts nach Italien.

    „BIS ES JEMAND RAUSFINDET“

    Im Falle des Dionysos-Kraters am Metropolitan Museum of Art in New York zeigen die Fotos von Giacomo Medici, dem verurteilten Kunsthändler, die Vase noch mit einer Kruste aus Erde und Salz, quasi frisch aus dem Boden geholt. Da Medici Polaroid-Aufnahmen gemacht hatte – eine Technologie, die in Europa erst 1972 verfügbar war –, wusste Tsirogiannis, dass der Krater nach 1970 ausgegraben wurde: dem Jahr, in dem ein großes UNESCO-Abkommen es illegal gemacht hatte, Kulturgüter aus den Ländern, die unterzeichnet haben, auszuführen.

    1989 tauchte der Krater bei Sotheby‘s auf, wo er für 90.000 Dollar verkauft wurden. Wie auch andere große Auktionshäuser gibt Sotheby‘s keine Informationen zu Namen von Käufern und Zulieferern bekannt und lehnte eine offizielle Stellungnahme zu diesem Gegenstand ab. Kurz nach dem Verkauf bei Sotheby‘s fügte das Metropolitan Museum den Krater allerdings seiner Sammlung hinzu.

    Laut der Website der Met wurde der Krater vom Bothmer Purchase Fund erworben. Dietrich von Bothmer, der 2009 gestorben ist, war lange Zeit der Kurator des Met. Befragungen von verurteilten Antiquitätenhändlern und Beweise aus deren konfiszierten Archiven haben ergeben, dass Bothmer einer ihrer Stammkunden war. Seit 2005 wurden 40 Artefakte aus Bothmers Sammlung am Met nach Italien zurückgeführt.

    Als Tsirogiannis die Herkunft des Dionysos-Kraters identifiziert hatte, verschickte er prompt diverse E-Mails an gültige Adressen des Met. Er erhielt keine Antwort und die Vase ist nach wie vor in der Galerie 161 des Museums ausgestellt.

    Der einzige Kommentar der Met zu der Angelegenheit war: „Das Museum hat das italienische Kulturministerium betreffs des Terrakotta-Glockenkraters (1989.11.4) kontaktiert.“

    Laut der Beschaffungspolitik des Museums wird ein Objekt vor dem Kauf von Kuratoren daraufhin untersucht, „ob das Kunstwerk in relevanten Datenbanken für gestohlene Kunstwerke auftaucht und unter welchen Umständen das Kunstwerk dem Museum angeboten wird.“

    Tsirogiannis ist skeptisch, was die verkündeten Absichten des Met und anderer Museen angeht. „Sie halten so lange wie möglich an illegalen Objekten fest, bis es jemand rausfindet“, sagt er. „Es geht nur um Geld, Ruhm und Eigentum.“

    Es gibt schätzungsweise noch 10.000 weitere Fragmente aus Bothmers Sammlung, die noch nicht online veröffentlicht worden sind. Das Met hat keinerlei Aussagen dazu getroffen, wann diese denn veröffentlicht werden könnten.

    Es ist nicht bekannt, wie viele der Fragmente vielleicht zu Stücken in den Sammlungen anderer Museen passen oder in kriminellen Datenbanken auftauchen. Aber wenn sie online gehen, werden Tsirogiannis und andere Detektive wie er ein Auge darauf haben.

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    Der Artikel wurde ursprünglich am 01.05.2017 in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht

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