Archäologen entdecken Massengrab von berüchtigtem Schiffsunglück

Nach dem Schiffsbruch der Batavia erlitten viele Überlebende auf Beacon Island ein grausames Schicksal – die Opfer im jüngst entdeckten Grab verdursteten allerdings „nur“.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 5. Jan. 2018, 17:44 MEZ

Auf einer Insel vor der Westküste Australiens haben Archäologen ein Massengrab entdeckt, welches mit einem alptraumhaften Schiffsbruch in Verbindung steht, der den „Herrn der Fliegen“ zahm erscheinen lässt.

In dem Grab fanden sich die Überreste von fünf Passagieren der Batavia. Das Flaggschiff der Niederländischen Ostindien-Kompanie lief 1629 auf seiner Jungfernfahrt von den Niederlanden nach Java auf Grund. Die Leichen wurden sorgsam in einer Reihe begraben und zeigen keine Anzeichen von Gewalteinwirkung. Wahrscheinlich verdursteten sie kurze Zeit nach dem Schiffbruch – bevor das Chaos unter den Überlebenden ausbrach.

Viele der Passagiere der Batavia wurden von Meuterern ermordet, nachdem das Schiff im Morning Reef in der Nähe von Beacon Island auf Grund gelaufen war. In den anderen Gräbern, die von Archäologen ausgegraben wurden, finden sich zahlreiche Anzeichen dieser Brutalität. Eines der Skelette gehört einem Mann, dem der obere Teil seines Schädels fehlt – er wurde durch einen Schwerthieb abgetrennt. Sein Leichnam wurde kurzerhand in seine letzte Ruhestätte gezerrt.

Im Gegensatz zu anderen Gräbern mit Passagieren der Batavia wurden die Toten im jüngst entdeckten Grab sorgsam bestattet und zeigten keine Anzeichen von Gewalteinwirkung.
Foto von Alistair Paterson, The University of Western Australia.

Die Batavia versank im Chaos, als der Kommandant des Schiffs, Francisco Pelsaert, auf der Suche nach Wasser ungefähr 282 Überlebende auf Beacon Island zurückließ. Die Insel gehört zum Houtman-Abrolhos-Archipel, das sich etwa 60 Kilometer von der Küste von Western Australia entfernt befindet. Aufgrund seines unglaublichen Pechs benötigte er drei Monate, um mit Hilfe zurückzukehren. Während seiner Abwesenheit hatte ein hedonistischer Händler namens Jeronimus Cornelisz die Führung übernommen und ein halbes Dutzend Morde eingefädelt. Sogar Frauen und Kinder ließ er töten. Seine Terrorherrschaft endete, als einige Männer, die er zur Erkundung anderer Inseln losgeschickt hatte, ihn übermannten. Als Pelsaert zurückkehrte, hatte man Cornelisz und viele der anderen Meuterer bereits hingerichtet.

Insgesamt starben um die 115 Menschen infolge des Schiffbruchs, von denen viele von ihren Mitmenschen ermordet wurden. Beacon Island trägt daher mittlerweile den Spitznamen „Batavias Friedhof“ und wurde von einigen Zeitungen auch einfach als „Mordinsel“ bezeichnet. (Lesenswert: Wie „sprechende“ Leichen genutzt wurden, um Morde aufzuklären)

„Das ist eine ziemlich groteske Geschichte, oder?“, sagt Jeremy Green. Der Leiter der Meeresarchäologie am Museum von Western Australia hat das Wrack der Batavia mehr als 40 Jahre lang untersucht. „Ich habe noch nichts derart Schlimmes gelesen.“

EINE TRAGÖDIE IM LICHT DER FORSCHUNG

Der Fund der Massengräber auf Beacon Island ist – obwohl tragisch – ein seltener wissenschaftlicher Luxus. Da Pelsaert seine Aufzeichnungen nach dem Vorfall veröffentlicht hat, können die Archäologen ihre Befunde mit einem detaillierten historischen Bericht abgleichen. (Hier kann man die Aufzeichnungen in ihrer englischen Übersetzung lesen.)

Es ist eine Untersuchung, welche bereits seit Jahrzehnten läuft. Laut Green war die Entdeckung der Batavia 1963 gar der Anlass dafür, dass Western Australia Gesetze zum Schutz des archäologischen Unterwassererbes der Provinz erlassen hat – die ersten ihrer Art.

Obwohl schon damals einige menschliche Überreste auf Beacon Island gefunden wurden, dauerte es zwei Jahrzehnte, bis man weitere Opfer der Batavia entdeckte. In den späten 1980ern gruben Fischer auf Beacon Island eine Abflussrinne für ihre Toilette, als sie auf menschliche Knochen stießen. 1994 begannen Archäologen mit der Ausgrabung und fanden drei Erwachsene, einen Jugendlichen, ein Kind und ein Kleinkind.

Seither sind die Archäologen auf der Jagd nach weiteren Gräbern. „Insgesamt wurden in den letzten drei Jahren während unseres Forschungsprojekts zehn Individuen in einem zentralen Teil von Beacon Island entdeckt und lieferten uns wertvolle Informationen“, sagte Daniel Franklin in einem Statement. Der Professor unterrichtet an der Universität von Western Australia.

BELIEBT

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    Archäologen hoffen, dass weitere Untersuchungen des circa 400 Jahre alten Schiffswracks der Batavia und der Meuterei ein neues Licht auf die Passagiere werfen können.
    Foto von Alistair Paterson, The University of Western Australia.

    Liesbeth Smits, eine Anthropologin an der Universität von Amsterdam, möchte die Elementzusammensetzung der gefundenen Knochen genau untersuchen, um Hinweise auf die Nahrungsgewohnheiten und Heimatländer der Opfer zu erhalten. „Du bist, was du isst“, sagt sie.

    Mit diesen Techniken hatte sie zuvor bereits herausgefunden, dass viele Passagiere der Batavia trotz des niederländischen Heimathafens aus Skandinavien, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Deutschland stammten.

    Laut Green war diese internationale Besatzung ein Resultat der damaligen Situation. In den 1620ern tobte in Europa der Dreißigjährige Krieg und die Niederlande befanden sich noch in ihrem Jahrzehnte währenden Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien.

    Es brachte durchaus ein Risiko mit sich, der Niederländischen Ostindien-Kompanie beizutreten – nur einer von drei Europäern kehrte je von seiner Reise zurück. Aber da die Konflikte dieses Zeitalters viele Menschen ohne Hab und Gut zurückließen, betrachteten einige die Batavia als ihren Ausweg.

    „Die Leute gingen dorthin, wo es Möglichkeiten gab. [Sie konnten dort] ernährt und einigermaßen vernünftig bezahlt werden und hatten die Aussicht darauf, mit etwas Glück ein kleines Vermögen zu machen“, sagt Green.

    Die Untersuchungen dieser besonders glücklosen Passagiere gehen weiter. Green zufolge wird das Team in diesem Jahr weitere Artikel veröffentlichen und ein wissenschaftliches Licht auf die Gräueltaten werfen, die sich vor fast 400 Jahren ereigneten.

    „Ich mache diese Arbeit schon sehr lange, ich bin also an gewaltsame Tode gewöhnt“, sagt Smits. Im Falle der Batavia „weiß man genau, was ihnen widerfahren ist und wie grauenvoll es war, das geht einem [also] nahe, aber man bleibt immer objektiv.“

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