Politischer Konflikt aus den 90ern ließ europäische Uhren nachgehen
Seit Mitte Januar war das Zeitdefizit von Uhren, die am Stromnetz hängen, auf fast sechs Minuten angewachsen.

Von Mitte Januar bis Anfang März gingen Millionen von Uhren in 25 europäischen Ländern nach, weil ein Streit zwischen Serbien und dem Kosovo einen Dominoeffekt ausgelöst hatte. Neben ungewöhnlich schlechtem Wetter könnten also auch verspätete Wecker dafür verantwortlich gewesen sein, dass polnische, niederländische, portugiesische oder dänische Arbeitnehmer zu spät kamen oder ihr Essen zu lange kochten.
Elektrische Uhren, die am Stromnetz hingen, hinkten der tatsächlichen Uhrzeit in den letzten Wochen zunehmend hinterher. Radiowecker, Mikrowellenuhren und ähnliche Geräte gingen fast sechs Minuten nach, wie der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) berichtete. Die Britischen Inseln, Norwegen und Schweden sowie der größte Teil der osteuropäischen Länder waren nicht betroffen.
Das Problem entstand durch Schwankungen in der Netzfrequenz, die hierzulande standardmäßig bei 50 Hz liegt. Wenn die Frequenz die Grenzen von 47,6 Hz und 52,4 Hz unter- bzw. überschreitet, würden alle angeschlossenen Stromerzeuger und Geräte vom Netz getrennt werden. Jene Geräte, deren Uhren am Stromnetz hängen, gehen nach, wenn diese Frequenz abnimmt, und gehen vor, wenn sie darüber hinausgeht. Seit Mitte Januar betrug die durchschnittliche Netzfrequenz etwa 49,996 Hz.
Mittlerweile wurde das Problem behoben, wie die serbischen und kosovarischen Netzbetreiber EMS und KOSTT mitteilten. Seit Mitte Januar hatte das Stromnetz etwa 113 GWh verloren.
Die europäischen Netzbetreiber werden sich nun darauf einigen, wer die verlorene Energie wieder in das System einspeist. Einen solchen Abfall in der Frequenz hatte es im europäischen Stromnetz bisher noch nicht gegeben, wie ENTSO-E berichtete.

Die Ursache der Schwankung ist ein politischer Konflikt zwischen den serbischen und kosovarischen Behörden. Das Netz, das sich Serbien und seine ehemalige Teilregion des Kosovos teilen, ist an das europäische Hochspannungsnetz angeschlossen. Der kosovarische Stromnetzbetreiber konnte aus finanziellen Gründen nicht genug Strom einkaufen, um sein Netz auszugleichen. Laut dem Betreiberhandbuch von ENTSO-E hätte Serbien an dieser Stelle einspringen und für den Ausgleich sorgen müssen. „Aus politischen Gründen ist das nicht passiert“, erklärte die ENTSO-E-Sprecherin Claire Camus.
Der Betreiber EMS macht den Kosovo für das Problem verantwortlich und behauptet, dass die Republik im Januar und Februar unautorisiert Energie vom Europäisches Verbundsystem abgezogen hätte, wie der „Guardian“ berichtet.
Da die Frequenzabweichung nun behoben wurde, besteht der nächste Schritt darin, „mit der Europäischen Kommission und anderen Behörden eine politische Vereinbarung auszuhandeln, damit es nie wieder zu so einer Situation kommt“, sagte Camus.
1999 wurden serbische Truppen aus dem Kosovo verdrängt, nachdem von der USA koordinierte Luftschläge der NATO dabei geholfen hatten, das Vorgehen Serbiens gegen albanische Separatisten zu beenden. Der Kosovo trennte sich 2008 von Serbien und wird nun von 112 der 193 Mitglieder der Vereinten Nationen als eigener Staat anerkannt.
Der politische Konflikt zwischen den zwei Ländern, der zu der falschen Zeitanzeige auf europäischen Uhren führte, dreht sich Reuters zufolge hauptsächlich um Regularien und den Stromnetzbetrieb. Außerdem erkennt Serbien den Kosovo nicht als eigenständige Nation an. Beide Länder haben 2015 zwar ein Dokument zum gemeinsamen Betrieb ihres Stromnetzes unterzeichnet, aber aufgrund widersprüchlicher Aussagen über den Besitz der entsprechenden Infrastruktur ist die Vereinbarung kaum mehr als ein Stück Papier.
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