Zahnpflege für Pferde veränderte den Lauf unserer Geschichte

Damit aus dem Herdentier ein Transportmittel und eine Kriegswaffe werden konnte, musste es Zähne lassen.

Von Megan Gannon
Veröffentlicht am 3. Juli 2018, 15:08 MESZ
Ein Hirte entfernt einem jungen Pferd einen Wolfszahn, wie es in der Mongolei schon seit mindestens ...
Ein Hirte entfernt einem jungen Pferd einen Wolfszahn, wie es in der Mongolei schon seit mindestens 2500 Jahren üblich ist.

Genau wie Menschen können auch Pferde Zahnprobleme haben. Aufgrund der Schmerzen werden sie dann entsprechend störrisch, worunter ihre Produktivität leidet. Um ihre Pferde in Topform zu halten, begannen mongolische Hirten daher vor über 3.000 Jahren mit ersten Experimenten im Bereich der Pferdezahnpflege, wie eine neue Studie in „ Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichtet.

Durch eine teils von der National Geographic Society geförderte Analyse von Pferdeschädeln aus alten Tierbegräbnissen in der mongolischen Steppe gewannen Archäologen zwei wichtige neue Erkenntnisse: Die Nomaden feilten die widerspenstigen Zähne ihrer Pferde zunächst mit Steinwerkzeugen ab und zogen später auch ganze Zähne, die den Metallmundstücken ihres Zaumzeugs im Weg waren.

Diese “unglaublichen Innovationen” in der Pflege der Pferde „entwickelte sich augenscheinlich mit dem Beginn des Reitens“, erzählt der Archäologe William Taylor vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. Seine Erkenntnisse lassen vermuten, dass die Pferdezahnpflege den Nomaden dabei geholfen hat, größere Strecken auf gesünderen Tieren zurückzulegen und ihre Pferde schlussendlich effektiv als Kriegswaffen einzusetzen.

EINEM GESCHENKTEN GAUL …

Die Nomaden der mongolischen Steppe zähmten Pferde schon Jahrtausende vor den berüchtigten Eroberungsfeldzügen von Dschingis Khan im Mittelalter. Neue genetische Untersuchungen haben das bisherige Verständnis für die Domestikation von Pferden zwar verkompliziert, aber generell wird angenommen, dass es vor mehr als 5.000 Jahren in Eurasien zur Zähmung der Tiere kam.

Pferde in der Mongolei. Wissenschaftler nehmen an, dass die Art erstmals vor etwa 5.000 Jahren in Eurasien domestiziert wurde.
Foto von William Taylor

Die ersten physischen Belege für die Domestikation von Pferden tauchen jedoch erst Tausende Jahre später auf. Eine bronzezeitliche Kultur, die für ihre sogenannten Hirschsteine bekannt ist und von etwa 1300 – 700 v. Chr. in der Mongolei existierte, hinterließ Friedhöfe mit Dutzenden und manchmal Hunderten Begräbnissen geopferter Pferde.

BELIEBT

    mehr anzeigen

    Taylor und seine Kollegen begannen 2015 mit der Arbeit an den Hirschstein-Begräbnissen. „Wir wollten verstehen, was wir anhand der Zähne über Pferde als Transportmittel lernen können“, sagt er. 2016 berichteten die Forscher dann, dass Abnutzungsspuren an den Knochen und Zähnen bewiesen, dass die Pferde aus den Hirschstein-Begräbnissen tatsächlich aufgezäumt und geritten wurden. Allerdings fiel Taylor und seinen Kollegen auch auf, dass einige der Skelettüberreste Spuren direkter menschlicher Eingriffe aufwiesen.

    Laut der aktuellen Studie fanden die Forscher zwei junger Pferde aus der Bronzezeit, deren seitlich gewachsene Schneidezähne teilweise abgebrochen wurden. Das ältere Beispiel von etwa 1150 v. Chr. aus der archäologischen Stätte von Uguumur ist damit der derzeit älteste Nachweis tierischer Zahnpflege.

     „Dieses Tier hätte ziemliche Probleme damit gehabt, richtig zu fressen, und daher auch Verhaltensprobleme“, sagt Taylor. „Es scheint so, als hätten die Menschen ein Werkzeug benutzt, um die typische glatte Front des Mauls wiederherzustellen, indem sie [den falsch gewachsenen Schneidezahn] absägten.“

    Spuren von Silikaten an dem entsprechenden Zahn lassen vermuten, dass man ein Steinwerkzeug für diese Aufgabe genutzt hatte, die nicht nur gefährlich war, sondern auch eine logistische Herausforderung darstellte.

    „Wir interpretieren das als experimentell“, so Taylor. „Die Menschen hatten eindeutig noch nicht den einfachsten Weg gefunden und optimiert, um das zu machen.“

    ZAHNPFLEGE FÜR DEN KRIEG

    Basierend auf den Skelettfunden aus der Stätte Bor Shoroonii Am entdeckten die Forscher auch, dass die mongolischen Hirten im ersten Jahrtausend v. Chr. eine Neuerung einführten, die auch heute noch praktiziert wird: Den jungen Pferden wurden die Wolfszähne gezogen, um ihnen später Schmerzen durch den Einsatz eines Zaumzeugs mit Mundstück zu ersparen. Diese Rudimente wachsen, wenn überhaupt, im vorderen Wangenbereich, also dort, wo üblicherweise das Mundstück sitzt. Daher ist es auch nicht überraschend, dass man ungefähr zeitgleich mit der Entfernung dieser Zähne auch mit der Verwendung metallener Mundstücke begann. Zuvor kamen schon Mundstücke aus weicheren Materialien wie Leder zum Einsatz.

    „Die Erfindung von Metallmundstücken könnte einer der Faktoren gewesen sein, die es ermöglichten, das Reiten von einer Hütetaktik zu einer Militärtechnik zu weiterzuentwickeln“, sagt Taylor. Er erklärt, dass sich Pferde besonders in stressigen Situationen mit Metallmundstücke besser kontrollieren lassen. „Es scheint, dass die Zahnpflege der Tiere eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des Reitens zu einer Militärtechnik gespielt haben könnte.“

    Wissenschaftler analysierten Belege für Abnutzungsspuren und menschliche Eingriffe an den Schädeln rituell geopferter Pferde in der Mongolei.
    Foto von William Taylor

     

    Robin Bendrey, ein Archäologe der University of Edinburgh, der an der Studie nicht beteiligt war, findet, dass die Forschungsergebnisse „einen großen Beitrag zu unserem Verständnis für die Ursprünge der Pferdezahnpflege leisten“.

    „Was auch wichtig ist: Die Arbeit zeigt auch, dass diese dynamischen Innovationen in nomadischen Hirtengesellschaften entstanden, also in Gruppen, die sowohl in vergangenen als auch zeitgenössischen Narrativen oft marginalisiert wurden“, so Bendrey.

    Die Nutzung von Pferden als Transportmittel war “das Glasfaserkabel jener Zeit”, weil sie die Kommunikationsgeschwindigkeit verbesserte, sagt Melinda Zeder. Die Archäologin des Smithsonian’s National Museum of Natural History war an der Forschung nicht beteiligt, überprüfte Taylors Studie aber und gab sie zur Veröffentlichung frei.

    „Als jemand, der mit Knochen zu tun hat, gefällt mir die Vorstellung, dass etwas so Nüchternes wie gezogene Zähne von einer tiefgreifenden Veränderung im Lauf der Geschichte zeugen kann“, sagt Zeder.

     

    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie
    • Video

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved