Einbalsamierung und Medizin im 17. Jahrhundert

Die getrockneten Innereien einer Großherzogin deuten auf eine medizinische Behandlung mit Gewürzwein hin.

Von Maya Wei-Haas
Veröffentlicht am 24. Sept. 2018, 16:49 MESZ
Die sterblichen Überreste der Medici wurden in der Sagrestia Vecchia beigelegt, der Alten Sakristei in der ...
Die sterblichen Überreste der Medici wurden in der Sagrestia Vecchia beigelegt, der Alten Sakristei in der Basilica di San Lorenzo.
Foto von B.O'Kane, Alamy

Welchen Drink würde man sich auf dem Totenbett noch mal gönnen? Im Falle der Vittoria della Rovere wurde diese Frage nun beantwortet. Analysen der getrockneten Überreste ihrer Innereien, die in einem Einbalsamierungsgefäß aus Keramik aufbewahrt wurden, offenbarten, dass sie in den Tagen vor ihrem Dahinscheiden raue Mengen an Nelken-Gewürzwein zu sich nahm. 

Die Adelige aus der Familie de’ Medici führte sich den Wein wohl aber nicht nur aus purem Genuss zu. Die mit Nelken versetzte Flüssigkeit sollte wahrscheinlich ihren Gesundheitszustand verbessern, wie Wissenschaftler in einer Studie schrieben, die im „Journal of Archaeological Science: Reports“ erschien. Die Analyse gewährte den Forschern einen unerwarteten Einblick in die Momente vor Vittorias Tod – und ihre Versuche, ihre zahlreichen Gebrechen zu behandeln, die sie 1694 schließlich das Leben kosteten. 

„Die Untersuchung von Innereien, die getrennt vom Leichnam in Behältnissen aufbewahrt werden, ist nicht üblich, da solche Überreste nur selten gefunden werden“, erklärte Rémi Corbineau von der Universität Aix-Marseille, der an der Studie nicht beteiligt war, in einer E-Mail. „Die vorgestellten Daten bieten uns einen neuen Einblick in die Geschichte der Medizin, dank der Palynologie“, also der wissenschaftlichen Pollenanalyse. 

Leben und Tod der Elite 

Vittoria della Rovere war ein Mitglied der Familie de’ Medici, die sich dank erfolgreicher Handels- und Bankengeschäfte im 14. Jahrhundert eine machtvolle Stellung erarbeitete. Drei Jahrhunderte lang regierten sie über Florenz und später auch über die Toskana.  

Ein Porträt der Großherzogin Vittoria della Rovere von Justus Sustermans.
Foto von Sergio Anelli, Electa, Mondadori Portfolio, Getty

Wenn ein Adeliger starb, wurde sein Leichnam konserviert, um den Geruch der Verwesung bis zur Beerdigung zu bekämpfen, die oft erst Monate nach dem Versterben stattfand, schrieb Donatella Lippi in einer E-Mail. Die Wissenschaftlerin an der Universität Florenz ist die Autorin der entsprechenden Studie. Die Innereien wurden entfernt und der Leichnam wurde gereinigt und mit antiseptischen Harzen, Kautschuk, Balsam und Duftstoffen ausgekleidet. Dann wurde der Leichnam wieder eingekleidet, damit Besucher ihm seinen Respekt zollen konnten. 

Im Falle der Medici wurden die inneren Organe – zusammen mit Lappen und Schwämmen, die vermutlich zur Reinigung des Leichnams genutzt wurden – sorgsam in große Terrakottagefäße gelegt, die mit einem Deckel verschlossen wurden. 

Solche Behältnisse waren alles andere als ein Novum. Schon die alten Ägypter nutzten ähnliche Gefäße namens Kanopen, in denen sie die inneren Organe für das Nachleben aufbewahrten. Als die Praktik des Einbalsamierens um das 12. Jahrhundert herum wiederaufkam, diente die Konservierung von Adligen und ihren Innereien als eine Demonstration der Macht und Tugend des Monarchen. Sie zeigte, dass der Adel „den Tod und die Zersetzung des physischen Körpers überleben konnte“, wie es in einer Studie im Fachmagazin „Nuncius“ heißt. 

Die Stimmen der Medici 

Nachdem die Einbalsamierung eines Medici abgeschlossen war, wurden die Gefäße zusammen mit dem Sarg in einem kleinen Loch im Boden unter einem Altar verstaut, mitten in der Alten Sakristei von San Lorenzo, wie Lippi erzählt. Dort lagen sie jahrhundertelang. 

Erst 2010 exhumierten Forscher die Gefäße im Rahmen eines größeren Projekts, bei dem das Leben und der Tod der Medici untersucht werden sollten. Das Team hofft, die historischen Berichte über frühere medizinische Praktiken durch wissenschaftliche Beweise untermauern zu können.  

„Ich wage mal zu sagen, dass das Ziel des Medici-Projekts darin besteht, in der Zeit zurückzureisen und den Stimmen der kranken Medici zuzuhören, den Großherzogen der Toskana“, schrieb Lippi in einer E-Mail, „um einen Dialog zwischen einem modernen Arzt und einem Arzt der Renaissance zu eröffnen.“ 

Von den zehn Gefäßen, welche die Forscher in dem Loch fanden, waren nur zwei mit berühmten Namen versehen. Einer davon war Anna Maria Luisa de’ Medici, die letzte Angehörige der Medici. Das andere war ihre Großmutter, Vittoria della Rovere. Die Forscher nahmen Proben der getrockneten Eingeweide und transportierten sie zur Analyse an die University of Nebraska-Lincoln. 

Den Nelken auf der Spur 

Mit Lichtmikroskopen entdeckten die Forscher eine hohe Konzentration von Pollen, etwa 20.574 Pollenkörner pro Gramm. Zunächst waren sie sich nicht sicher, was sie dort gefunden hatten, erklärte der Leiter der Pollenanalyse Karl Reinhard von der University of Nebraska-Lincoln. 

„Die Nelkenfamilie produziert sehr, sehr, sehr kleinen Pollen“, so Reinhard. Mit weniger als 30 Mikrometern Durchmesser passen die Pollen problemlos auf die Spitze eines menschlichen Haares und befinden sich für Standardmikroskope an der Grenze der Sichtbarkeit. Um die Pflanzen genau zu identifizieren, nutzte Reinhard ein Elektronenmikroskop, das mit Hilfe eines Elektronenstrahls atemberaubend detailreiche Bilder erzeugen kann.  

Was kam dabei heraus? Die Pollen stammten definitiv von Nelken. 

Allerdings fanden sich bis auf die Pollen keine sonstigen Rückstände der Pflanzen. Das deutet darauf hin, dass die Nelken nicht als Parfüm oder Konservierungsmittel verwendet wurden, wie es damals üblich war, sagt Corbineau, der sich mit der Einbalsamierung im Mittelalter beschäftigt hat. Zudem befand sich in ihrem Magen kaum Nahrung, was vermuten lässt, dass sie vor ihrem Tod auch keine mit Nelken gewürzten Speisen zu sich genommen hat. 

Alles in allem deuten die Beweise den Autoren zufolge darauf hin, dass Vittoria in den Tagen vor ihrem Tod ein mit Nelken versetztes Getränk konsumiert hat. Aber handelte es sich dabei um Medizin oder ging es eher um kulinarische Vorlieben? 

Vittorias letzte Tage 

Historische Berichte lassen darauf schließen, dass Vittoria della Rovere nie mit blühender Gesundheit gesegnet war. Sie sei lethargisch gewesen und „liebte es schon seit ihrer Jugend zu schlafen“, wie es in der Studie heißt. In ihren letzten Tagen litt sie an Herzproblemen und Nierenversagen, welches zu abnormalen Schwellungen oder Ödemen an ihren Beinen führte. Dadurch war Vittoria ans Bett gefesselt. 

Ihre Ärzte versuchten wahrscheinlich, ihre Symptome zu behandeln. Während jener Zeit drehte sich die Medizin um die Lehre von den vier Körpersäften: Blut, Gelbgalle, Schwarzgalle und Schleim. Der Schlüssel zu einer guten Gesundheit war ein Gleichgewicht zwischen diesen Körpersäften. Die Verdauung spielte bei diesem Gleichgewicht eine wichtige Rolle, wie Anne Stobart erklärt, die ein Buch über englische Hausmittel im 17. Jahrhundert geschrieben hat. 

„Wenn die Verdauung nicht richtig funktionierte, [...] kam es zu Fäulnis und Verwesung, wodurch potenziell giftige Substanzen im Körper verblieben“, sagt sie. 

Daher waren Gewürze in dem Fall ein verbreitetes Heilmittel. Nelken konnten eine ganze Reihe von Beschwerden lindern, darunter auch Probleme mit dem Magen, der Leber und dem Herzen, erklärte Studienautor Dario Piombino-Mascali, ein Bioarchäologe der Vilnius University und National Geographic Explorer. Allerdings waren Nelken ein kostspieliges Behandlungsmittel, wie Stobart hinzufügt. Sie wurden aus Indonesien importiert und waren daher zu exotisch und zu teuer für die meisten normalen Bürger jener Zeit – nicht aber für die wohlhabende Familie de’ Medici. 

Es lässt sich nicht genau sagen, mit welchem Getränk Vittoria die Nelkenpollen verabreicht wurden. Solche Gewürze wurden laut Stobart jedoch für gewöhnlich zu einem Puder gemahlen und beispielsweise mit Wein vermischt.  

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht. 

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