Antiker Müll offenbart Grund für den Untergang Elusas
Archäologen hatten die Verbreitung des Islam für Elusas Niedergang verantwortlich gemacht – aber der Müll der Stadt weist auf einen deutlich beunruhigenderen Grund hin.

Vor etwa 1.500 Jahren befand sich die Stadt Elusa am südlichen Rand des Byzantinischen Reichs, in der heutigen israelischen Wüste Negev, in ihrer Blütezeit. Die bis zu 20.000 Einwohner der Stadt erfreuten sich an einem Theater, öffentlichen Bädern, Kirchen, Werkstätten für Kunsthandwerk und einem innovativen Wasserbewirtschaftungssystem, dem die Bürger Elusas ihr berühmtestes Exportgut zu verdanken hatten: den Gazawein, einen beliebten Weißwein, der über die Häfen des Mittelmeers sogar bis nach Frankreich verschifft wurde.
Binnen zwei Jahrhunderten kam es jedoch zur Aufgabe der Stadt. Zurück blieben steinerne Gebäude, die von späteren Generationen für Baumaterial zerlegt oder unter den Sanddünen der Wüste begraben wurden.

Die meisten Historiker hatten angenommen, dass die sozialen und wirtschaftlichen Systeme des Byzantinischen Reichs in der Negev-Region ihren Niedergang durch den Aufstieg des Islam Mitte des 7. Jahrhunderts erlebten. Neben anderen Herausforderungen stellten auch die Beschränkungen für die Weinproduktion ein Problem dar – ein Gut, das Elusa eine Menge Geld einbrachte und den Handel förderte.
Dann aber warfen Archäologen einen Blick auf die städtischen Müllhalden Elusas. Das Ergebnis: Der Niedergang der Stadt ereignete sich fast ein Jahrhundert, bevor sich islamische Einflüsse in der Region ausbreiteten – also zu einer Zeit, die eigentlich als Höhepunkt von Byzanz galt. Die Ursache war ein rapider und tödlicher Klimaumschwung, der durch eine Reihe von Vulkanausbrüchen ausgelöst wurde.
Ein Schatz aus Müll
Im Rahmen einer Studie, die in „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) erschien, beschrieben der Professor für Zooarchäologie Guy Bar-Oz von der Universität Haifa und sein Team die Ergebnisse der Ausgrabung der städtischen Müllberge, die am Rande Elusas noch heute sichtbar sind.
Das Grabungsprojekt kam durch Bar-Oz’ Interesse am Niedergang der byzantinischen Gesellschaft in Negev zustande – eine Geschichte, die in den meisten bekannten Werken zu dieser Thematik bislang fehlte. Auf der Suche nach Hinweisen wandten sich die Forscher den Müllbergen Elusas zu. Sie vermuteten, dass das Ende der Müllsammlung auch das Ende einer funktionierenden sozialen Infrastruktur kennzeichnen würde.
Nachdem sie sich durch eine Menge Unrat gewühlt hatten, darunter Asche aus Kaminen, Tierknochen und Gräten, Kerne von Oliven und Grapefruits sowie entsorgtes Baumaterial und zerbrochene Weinkrüge, entdeckten die Forscher, dass den Hauptgruben etwa ab dem Jahr 550 kein Müll mehr zugeführt wurde.
„Wir waren ziemlich überrascht, weil wir erwartet hatten, dass die Müllgruben erst viel später aufgegeben wurden“, sagt Bar-Oz.

Allerdings hängt das Ende der Abfallversorgung in Elusa mit einer neuen Erkenntnis aus der Klimaforschung zusammen. Daten zeigten nämlich, dass die Mitte des 6. Jahrhunderts für die Menschen in Europa und Asien keine sonderlich angenehme Zeit war.
2016 entdeckte eine Gruppe aus Wissenschaftlern um Ulf Büntgen, ein Professor für die Analyse von Umweltsystemen an der University of Cambridge, eine bis dato unbeachtete Periode des rapiden Klimawandels: die Spätantike Kleine Eiszeit, die ungefähr von 536 bis 660 dauerte.
Büntgen und seine Kollegen untersuchten die Jahresringe von Bäumen sowie Partikel in Eisbohrkernen. So fanden sie heraus, dass eine Reihe von Vulkanausbrüchen in den Jahren 536, 540 und 547 die Sonne verdeckt und auf der Nordhalbkugel eine Kälteperiode ausgelöst hatte. (Noch konnten Wissenschaftler den genauen Standort der Vulkane nicht ausmachen. Im letzten Jahr kam eine Forschergruppe zu dem Schluss, dass sich der Ausbruch im Jahr 536 in Island ereignet hat.) Die Folge waren Nahrungsknappheit und Hungersnöte.
Die Forscher vermuten, dass die klimatischen Ereignisse auch mit großen sozialen Umbrüchen in Zusammenhang stehen könnten, die in der Mitte des 6. Jahrhunderts begannen. Darunter fällt auch die westliche Expansion der slawischen Bevölkerungsgruppen über große Teile Europas und der Zusammenbruch des östlichen Reiches der Kök-Türken in Asien. Die Spätantike Kleine Eiszeit könnte auch den weltweit ersten pandemischen Ausbruch der Beulenpest begünstigt haben. Die Justinianische Pest, wie sie auch genannt wird, verbreitete sich ab 541 im Mittelmeerraum.
Elusa bietet nun „eine schöne Fallstudie aus der Archäologie, aus der menschlichen Perspektive, die neue Belege für unsere Vermutungen liefert“, sagt Büntgen. „Wir werden uns zunehmend der Tatsache bewusster, dass unsere Entscheidungen und unsere Systeme nicht unabhängig von der Umwelt und den Klimabedingungen funktionieren.“

Langanhaltende Umweltphänomene mit konkreten geschichtlichen Ereignissen in Verbindung zu bringen, ist nach wie vor eine Herausforderung. Noch konnten Wissenschaftler nicht exakt rekonstruieren, wie sich die Spätantike Kleine Eiszeit auf die Negev ausgewirkt hat. Eine rasche Abkühlung hätte für den Ackerbau in Irland und Skandinavien beispielsweise verheerend sein können.
Büngten zufolge könnte eine trockene Region wie die Negev, in der es mitunter zu Dürren kommt, davon aber sogar profitieren haben.
Nichtsdestotrotz war Elusa dennoch von fremden Märkten abhängig, die unter der Klimaschwankung gelitten haben könnten.
„Aus einer internationalen Perspektive heraus kann man sagen, wenn für das Produkt – vermutlich Wein – auf der anderen Seite des Mittelmeers die Nachfrage sank, gingen vermutlich auch die Preise runter“, sagt Bar-Oz.
Schon seit Jahrhunderten spekulieren Geschichtswissenschaftler und Autoren über die Gründe für den Niedergang des Römischen Reichs. Die Erkenntnisse aus Elusa sind Teil eines neuen Trends, auch das komplexe Netzwerk aus Umwelteinflüssen zu berücksichtigen, die sich auf den gesellschaftlichen Wandel des gesamtes Reiches ausgewirkt haben könnten.
Kyle Harper, ein Professor für Altertumswissenschaften an der University of Oklahoma, war an der neuen Studie nicht beteiligt. Auch er hält Müll für einen „zu wenig genutzten“ archäologischen Hinweis auf die Vergangenheit.
„Wir wissen, dass es im 6. Jahrhundert v. Chr. eine Reihe ungewöhnlich heftiger Vulkanausbrüche gab, die einen plötzlichen Klimawandel und – wichtiger noch – die erste Beulenpest-Pandemie auslösten“, so Harper. „Diese Studie ist ein weiterer Beweis dafür, dass diese Umweltschocks für jene Gesellschaften, die sie erlebt haben, enorm zerstörerisch waren.“
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