Verzicht für den Glauben: 3 Weltreligionen im Vergleich

Wie fasten Gläubige während der Passionszeit, Ramadan oder Jom Kippur?

Von Melissa Holland-Moritz
Veröffentlicht am 8. Apr. 2020, 15:46 MESZ
Die Symbole dreier Weltreligionen: Islam, Judentum und Christentum.

Die Symbole dreier Weltreligionen: Islam, Judentum und Christentum. 

Foto von Vladimir Melnik, Shutterstock

„Bis Ostern keinen Zucker mehr!“ – Vorsätze wie diesen hat wohl jeder schon in seinem Umfeld gehört. Immerhin halten laut einer Forsa-Studie im Auftrag der DAK rund zwei Drittel unserer Bevölkerung den bewussten Verzicht auf bestimmte Genussmittel oder Konsumgüter für gesundheitlich sinnvoll. Die beliebtesten Opfer der Deutschen: Süßigkeiten (67 %), Alkohol (65 %) und Fleisch (47 %). Heilfasten liegt seit Jahren im Trend, es gibt heute diverse Hotels, die Fastenurlaube anbieten. Aktuell auch bei vielen angesagt ist das Intervallfasten, bei dem man bestimmte Zeiten am Tag oder in der Woche auf Essen verzichtet.

Was für die einen lediglich eine Challenge zur Entgiftung von Körper und Seele ist, ist für andere ein fester Bestandteil ihres Glaubens. „Das Fasten spielt in allen Weltreligionen eine Rolle“, sagt Dr. Hans-Michael Haußig, Religionswissenschaftler an der Universität Potsdam. „Es gibt im Wesentlichen drei Gründe zu fasten: Fasten aus Buße oder Reue, Fasten, um auf die Begegnung mit Gott vorbereitet zu sein und Fasten als Bitte, bei der ein Wunsch an die Gottheit gerichtet wird.“

So auch im Christentum, Judentum und Islam. Die drei Konfessionen werden auch als abrahamitische Weltreligionen bezeichnet. Grund dafür ist die Vaterrolle, die Abraham in allen drei Glaubensrichtungen annimmt. Der Begriff ist allerdings umstritten: „Manche lehnen den Begriff ab, vor allem, weil alle drei Religionen ein anderes Gottesverständnis haben“, erklärt Haußig. Dennoch sieht er die Vaterfigur Abrahams als Gemeinsamkeit. Fragen müsse man allerdings nach der Art von Vater: „Die Juden sehen in Abraham den Stammvater des eigenen Volkes, für Christen hat Abraham den christlichen Gedanken in sich verwirklicht und Muslime sehen in ihm den ersten Moslem.“

Ähnlich „verschiedene Gemeinsamkeiten“ bestimmt das Thema Fasten: Der Verzicht für den Glauben spielt in allen drei Religionen eine Rolle. Doch die Praktiken und Rituale sind so divers, wie die Mitglieder der einzelnen Glaubensgemeinschaften. Wir haben uns die wichtigsten Fastenzeiten des Christentums, Islams und Judentums genauer angeschaut.

Fasten im Christentum

Etwa 55,41 % der Deutschen gehören, zumindest formal gesehen, entweder der katholischen oder evangelischen Kirche an. Letztere bezeichnen die christliche Hauptfastenzeit als Passionszeit, Katholiken bezeichnen sie Österliche Bußzeit. Die zentralen Aspekte dabei: Einkehr, Umkehr & Besinnung. 40 Tage lang – von Aschermittwoch bis einschließlich Karsamstag – üben sich Gläubige im Verzicht. Die Sonntage gelten nicht als Fastentage und werden nicht mitgerechnet. Die Zahl 40 erinnert unter anderem an die Tage, die Jesus nach seiner Taufe in der Wüste verbracht und gefastet haben soll. „Diese Zahl taucht auch in anderen Kontexten in der Bibel auf“, sagt Haußig. So sollen die Israeliten 40 Jahre durch die Wüste gewandert sein oder Moses 40 Tage und Nächte auf dem Berg Sinai verbracht haben. Von einer vorgeschriebenen Fastendauer stünde in der Bibel allerdings nichts. Demnach ließe sich kein einheitlicher Grund dafür bestimmen: „Das ist das grundsätzliche Problem bei Ritualen: Wir fragen nach Gründen, aber diese Rituale entspringen aus Zeiten, in denen das Warum keine Rolle spielte“, so Haußig.

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    Die Regeln für den persönlichen Verzicht während der christlichen Fastenzeit sind nicht so klar festgelegt wie ihre Dauer. Weniger Süßigkeiten, Fleisch oder Zeit online – sowohl Protestanten als auch Katholiken gestalten ihre Fastenzeit individuell. Die Kirchen rufen schon lange zu „40 Tagen ohne“ beziehungsweise „Sieben Wochen ohne“ auf. Der Erfolg ist trotz großer Freiheit mäßig. Nach Einschätzung von Haußig fasten nur die wenigsten: „Hierzulande halten das die meisten formalen Christen nicht ein.“

    Fasten im Islam

    In Deutschland leben nach Angaben des Bundesinnenministeriums zwischen 4,4 und 4,7 Millionen Muslime. Im Islam gilt der heilige Monat Ramadan als der wichtigste Monat des Jahres und ist – nach dem Opferfest – das zweitwichtigste Fest für Muslime. In diesem Monat wird im Islam gefastet. Die Beteiligung der Gemeindemitglieder ist hier, anders als bei den Christen, deutlich höher. Das Ramadan-Fasten ist eine der fünf Grundsäulen der Religion und hat damit für viele eine große Bedeutung.

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    2023 beginnt der Ramadan am Abend des 22. März und endet am 21. April. Das ist allerdings nicht immer der Fall. Jedes Jahr wandert der Beginn in unserer Zeitrechnung um zehn oder elf Tage nach vorn, da man vom islamischen Kalender ausgeht. Um den exakten Beginn zu bestimmen, richtet man sich nach der ersten Sichtung der neuen Mondsichel am Ende des Vormonats Scha’ban. Die Methoden zur Berechnung dieses Ereignisses können jedoch für leicht abweichende Ergebnisse und damit verbundene Diskussionen sorgen.

    Die Regeln für das Fasten sind hingegen einfacher definiert als das Datum: Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang darf weder gegessen noch getrunken werden. Auch Geschlechtsverkehr und Genussmittel wie Zigaretten sind nicht gestattet. Erst, wenn ein schwarzer Faden nicht mehr von einem weißen zu unterscheiden ist, darf laut Koranüberlieferung wieder gegessen und getrunken werden. Vom Fasten ausgenommen sind Kinder, Schwangere, Kranke und Reisende. Allerdings sollen die verpassten Fastentage, wenn möglich, nachgeholt werden.

    Traditionelles Fastenbrechen: Datteln liefern nach einem langen Fastentag schnell Energie.

    Foto von Karrrtinki, Shutterstock

    Ist das nicht der Fall, sollen Gläubige Almosen oder Speisen an Bedürftige spenden. Der spirituelle Fastenmonat diene der Besinnung und solle dazu genutzt werden, Bedürftigen zu helfen, fasst Nurhan Soykan, Stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) die zentralen Gründe des Fastens zusammen. Das tägliche muslimische Fastenbrechen Iftar wird traditionell mit dem Verzehr von Datteln und einem Glas Wasser oder Milch begonnen, gefolgt von einem Gebet und der Hauptmahlzeit. Diese wird oft gemeinsam mit Freunden und Familie eingenommen. Mit dem dreitägigen Fest des Fastenbrechens Id al-Fitr, in der türkischen Kultur auch als Zuckerfest bekannt, endet der Ramadan.

    Fasten im Judentum

    Laut Angaben des Zentralrats der Juden zählen die jüdischen Gemeinden in Deutschland etwa 100.000 Mitglieder. „Im Judentum ist das Fasten komplexer: Es gibt keine lange Fastenzeit – eher einzelne Fastentage“, erklärt Haußig. Der wichtigste Tag sei Jom Kippur. „Er steht als einziger in der Bibel geschrieben, alle anderen Fastentage sind spätere Tradition.“ Jom Kippur ist somit auch der strengste Fasttag für Juden: 24 Stunden sind weder Essen noch Trinken erlaubt. Manche verzichten dabei auch auf Luxusartikel, üben sich in körperlicher Enthaltsamkeit oder verzichten auf Körperpflege. Lediglich das Benetzen der Hände und Augen mit Wasser wird dann gestattet.

    Gläubige sollen neben dem Fasten ihre Arbeit ruhen lassen und vor allem eines: Buße tun. In dieser Zeit reflektiere man über sich selbst, sagen viele Gläubige über den höchsten Feiertag des Judentums. Obwohl das „religiöse Commitment“ hierzulande im Allgemeinen nicht so groß sei, schätzt Haußig dennoch, dass viele Gläubige an diesem Tag fasten. Auch im Judentum richtet man sich nach einem eigenen Kalender, wodurch das Datum jährlich variiert. 2023 wird Jom Kippur am 24. und 25. September gefeiert. Mit dem sogenannten „Anbeißen“, der Einnahme der ersten Mahlzeit, beendet man das Fasten nach dem sogenannten Mondsegen.

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