Minneapolis brennt.

Der Tod von George Floyd löste Massenproteste in den ganzen USA aus. In seiner Heimatstadt Minneapolis entzündete der Vorfall einen Konflikt, der die Gemeinde seit Langem zu zerreißen droht.

Von Nina Strochlic
bilder von David Guttenfelder
Veröffentlicht am 2. Juni 2020, 14:00 MESZ
Am 29. Mai versammelten sich Demonstranten vor einem Polizeirevier in Minneapolis, um Gerechtigkeit für George Floyd ...

Am 29. Mai versammelten sich Demonstranten vor einem Polizeirevier in Minneapolis, um Gerechtigkeit für George Floyd zu fordern. Der Afroamerikaner starb, als ein Polizist während einer Festnahme minutenlang auf seinem Hals kniete.

Foto von David Guttenfelder, National Geographic

Während in Minneapolis am vergangenen Donnerstagabend Fahrzeuge umgeworfen worden, Gummigeschosse und Tränengas der Polizei durch die Luft flogen und ein ganzes Polizeirevier in Flammen aufging, hörte der Fotograf David Guttenfelder laute Rufe: „Es tut weh! Es tut weh!”

Die Worte schienen das Chaos zu durchschneiden.

Seit dem 26. Mai machen die Proteste in der US-amerikanischen Stadt weltweit Schlagzeilen. Am Tag zuvor war der Afroamerikaner George Floyd gestorben, weil ihm ein Polizist fast neun Minuten lang sein Knie auf den Hals drückte. Die Demonstranten sind keine homogene Masse: Jung und Alt, Reich und Arm und Menschen unterschiedlichster ethnischer Herkunft versammelten sich vor dem Polizeirevier, in dem die vier Polizisten, die an Floyds Verhaftung beteiligt waren, festgenommen und wegen ihrer Beteiligung an dem Vorfall entlassen wurden. Einige Demonstranten waren friedlich. Andere nicht. Sie waren wütend, traurig und vor allem: verletzt.

An einem Wandgemälde von George Floyd legten die trauernden Einwohner von Minneapolis Kerzen und Blumen nieder.

Foto von David Guttenfelder

Die Straße, auf der George Floyd starb, wurde mit Kreidebotschaften bemalt. Blumen, Kerzen und Bilder zieren den Ort des Geschehens, der zu einem Platz der friedlichen, traurigen Besinnung wurde, wie Guttenfelder sagt.

Foto von David Guttenfelder, National Geographic

Familie und Freunde trauern an dem Ort, an dem der 46 Jahre alte Vater in Polizeigewahrsam getötet wurde.

Foto von David Guttenfelder, National Geographic

 „Sowas wie den Demonstranten oder die Einstellung gibt es da nicht – alles rührt von der Trauer her“, sagt Guttenfelder. „Trauer über diesen Mann, aber auch Trauer über ein ganzes Leben mit diesem Schmerz.“

Über das Wochenende zogen Demonstranten aus dem ganzen Land durch die Straßen, um gegen systematischen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. Der Ärger auf den Straßen in Minneapolis sei ein Ausdruck der tiefen Gräben, die sich durch die Stadt ziehen, sagt Guttenfelder. „Das ist alles andere als das erste Mal, dass farbige Menschen von Seiten der Polizei Gewalt erleben“, erzählt er. Aber die aktuellen Proteste haben mittlerweile historische Ausmaße erreicht. Der Gouverneur von Minnesota hat die gesamte Nationalgarde einberufen, bislang aber zumindest Unterstützung durch das Militär abgelehnt.

Guttenfelder hatte für National Geographic die Auswirkungen der Corona-Pandemie im Mittleren Westen fotografiert, als die Proteste in seiner Heimatstadt Minneapolis begannen. Am Donnerstag fuhr er nach Hause und steckte neben seinem N-95-Mundschutz noch eine Gasmaske in seine Ausrüstungstasche. 20 Jahre lang war er als Fotograf in Konfliktzonen auf der ganzen Welt unterwegs gewesen. Nun berichtet er über Proteste vor seiner eigenen Haustür.

Am Freitag war Derek Chauvin – der Beamte der Polizei von Minneapolis, der auf Floyds Hals kniete – festgenommen und wegen billigender Inkaufnahme einer Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt worden. Ihm könnte eine 20-jährige Haftstrafe bevorstehen.

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    Demonstranten stehen auf dem Dach des Polizeireviers, das während der Demonstrationen am vergangenen Donnerstag angezündet wurde. Vier Polizisten des Reviers wurden aufgrund ihrer Verwicklung in George Floyds Tod entlassen.

    Foto von David Guttenfelder, National Geographic

    An der Seite des brennenden Polizeireviews drücken Graffiti ihre Unterstützung für die Proteste aus.

    Foto von David Guttenfelder, National Geographic

    An jenem Tag versammelten sich die Menschen vor dem 5. Polizeirevier der Stadt. Was als friedlicher Protest begann, eskalierte bald, als eine Filiale von Wells Fargo, ein Postamt und ein Restaurant in der Nähe in Flammen aufgingen. An den Geschäften hingen Schilder mit der Bitte, sie nicht in Brand zu stecken, weil in den Etagen darüber Menschen wohnen. Seit Beginn der Proteste wurden weit mehr als 200 Läden in Minneapolis und der Region St. Paul bei den Protesten beschädigt.

    „Die Proteste weiten sich tagtäglich aus“, sagt Guttenfelder. „Der Bereich, der wie ein ausgebranntes Kriegsgebiet aussieht, nimmt mit jedem Tag einen größeren Teil der Stadt ein.“

    Am Freitag vertrieben Polizisten die Demonstranten, nachdem sie Tränengas und Gummigeschosse auf sie gefeuert hatten.

    Foto von David Guttenfelder, National Geographic

    Ein Mann trägt einen verletzten Freund, der bei Protesten in Minneapolis von Gummigeschossen der Polizei getroffen wurde.

    Foto von David Guttenfelder, National Geographic

    Demonstranten versammeln sich um das 5. Polizeirevier in Minneapolis, dem Zentrum der Demonstrationen vom 29. Mai.

     

    Foto von David Guttenfelder, National Geographic

    Nach 20 Jahren der Berichterstattung aus ausländischen Konfliktzonen sieht der Fotograf David Guttenfelder nun seinen Wohnort Minneapolis im Chaos versinken. „Der Bereich, der wie ein ausgebranntes Kriegsgebiet aussieht, nimmt mit jedem Tag einen größeren Teil der Stadt ein“, erzählt er.

    Foto von David Guttenfelder

    Am Wochenende schloss sich auch die Abschlussklasse 2020 den Protesten an. Am Samstag kamen Datelle Straub, Avery Lewis und Titan Harness-Reed von der Patrick Henry High School mit ihren roten Roben und Abschlusskappen zu den Demonstrationen. „Wegen COVID-19 hatten wir keine Abschlusszeremonie. Also haben wir beschlossen, unsere Roben anzuziehen, um zu zeigen, dass es in unserer Gemeinde auch Schwarze mit herausragenden akademischen Leistungen gibt. Wir haben die Straße als Bühne genutzt, um zu protestieren“, erklärte Straub. Als sich die Polizei ihnen näherte, hielt er sein Abschlusszeugnis hoch. Er erzählt, die wie Polizisten ihre Waffen auf die kleine Gruppe richteten und rote Punkte von den Zielvorrichtungen auf ihren Roben tanzten. „Es ist einfach frustrierend, dass sie kein Problem damit haben, die Zukunft zu töten.“

    Eine Demonstrantin erhält auf dem Parkplatz eines Kaufhauses Erste Hilfe, nachdem ein Gummigeschoss der Polizei die am Auge getroffen hatte.

    Foto von David Guttenfelder, National Geographic

    Der Schriftzug „Black Owned“ („Im Besitz von Schwarzen“) prangt auf den Brettern, mit denen ein Geschäft in Minneapolis verriegelt wurde.

    Foto von David Guttenfelder, National Geographic

    Demonstranten plündern während der Demonstrationen ein Kaufhaus. Mehr als 200 Geschäfte in Minneapolis und dem Gebiet um St. Paul haben im Rahmen der Demonstrationen Beschädigungen gemeldet.

    Foto von David Guttenfelder, National Geographic

    Ein Demonstrant fährt mit dem Rad an einem Gebäude vorbei, das im Rahmen der Proteste über den Tod von George Floyd angezündet wurde.

    Foto von David Guttenfelder, National Geographic

    Was wird aus all diesem Frust und Ärger werden? Während seiner zweimonatigen Reise im Rahmen der Corona-Berichterstattung hatte Guttenfelder ein T-Shirt gesehen mit der Aufschrift „Wenn wir Glück haben, wird nichts wieder wie früher“. Er hofft, dass Dasselbe auch für George Floyds Tod zutreffen wird.

    „Alle haben auf ihre Weise getrauert, als sie das Video gesehen haben“, sagt er. „Und alle trauern darum, was in unserer Stadt geschieht. Ich glaube, dass es die Menschen zusammenbringt. Aber ich bin sicher, es gibt auch viele, für die all das jene Unterschiede verdeutlicht, die sie bereits gespürt haben.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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