Erklärt: Die Hasssymbole der Kapitolstürmer

Vom Thorshammer bis zu Flaggen imaginärer Länder war unter den Aufständischen eine Vielzahl bekannter und weniger Symbole zu sehen.

Von Kristin Romey
Veröffentlicht am 14. Jan. 2021, 14:28 MEZ
US-Kapitol

Ein Galgen mit einer Schlinge, errichtet von Trump-Anhängern, steht am 6. Januar vor dem US-Kapitol. Während einige dort gezeigte Symbole der Gewalt und der Weißen Vorherrschaft unmissverständlich waren, gaben andere dem außenstehenden Betrachter eher Rätsel auf.

Foto von Shay Horse, NurPhoto/Getty Images

Als die Aufständischen zum Kapitol kamen, kamen sie mit Symbolen.

Einige davon waren den meisten US-Amerikanern, die das Chaos auf ihren Bildschirmen verfolgten, sofort bekannt: die Flagge der Konföderierten, die zuerst von jenen Kämpfern des amerikanischen Bürgerkriegs geschwenkt wurde, die ihre Zukunft in der Versklavung anderer sahen; der Galgen und die Schlinge, die in den USA für die Terrorisierung von Afroamerikanern unter den Jim-Crow-Gesetzen standen, aber auch für schnelle und kaum um Aufklärung bemühte Selbstjustiz.

Aber es gab auch andere Symbole. Sie dienten als Identifizierungsmerkmal und Botschaft unter dem bunten Haufen von Trump-Anhängern, Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen, die am 6. Januar Zerstörung und Tod über die Hauptstadt brachten.

Ob sie nun auf Fahnenstangen umhergetragen wurden oder auf der Haut von Aufrührern prangten, diese Symbole hatten eine gemeinsame Botschaft: Sie riefen dazu auf, eine idealisierte Geschichte zurückzubringen, in deren Zentrum und an deren Spitze Weiße, christliche Männer standen.

Jake Angeli, der selbsternannte „QAnon-Schamane“, ist mit nordischen und Wikingersymbolen tätowiert, die in einem rechtsextremen Kontext an die vermeintlich Weiße Vorherrschaft der Wikinger erinnern.

Foto von Selcuk Acar, NurPhoto/Getty Images

Der selbsternannte „QAnon-Schamane“ war mit seinem Fellgewand und dem gehörnten Helm vielleicht der meistfotografierte Aufrührer des Tages. Er stellte seine Gesinnung auf seiner nackten Brust zur Schau: Ein schlampiges Tattoo von Yggdrasil, dem Baum des Lebens, bedeckt seine linke Brust. Mjölnir, Thors Hammer, ragt aus seinem Hosenbund hervor. Der Valknut oder Wotanknoten, der „Knoten der Erschlagenen“, ist über seinem Herzen tätowiert. Das alles sind alte skandinavische Symbole, die von europäischen Nationalisten des 19. Jahrhunderts und den Nazis des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt und verzerrt wurden. Ihre Aneignung ist heutigen Heiden ein Dorn im Auge.

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    Für Matthew Gabriele, den Vorsitzenden des Instituts für Religion und Kultur an der Virginia Tech, ist der rechtsextreme Gebrauch von Wikinger- und Kreuzfahrer-Ikonographie eine Form von „doppelter Nostalgie“.

    „Sie überspringen um die tausend Jahre Geschichte und gehen zurück ins Mittelalter“, sagt er. „Aber gleichzeitig greifen sie auch auf die Assoziationen zurück, die sich in der Neuzeit um diese Bilder gebildet haben.“

    In der randalierenden Menge, die das Kapitol stürmte – und die überwiegend Weiß und männlich war –, hat die „militante Männlichkeit“ der Wikinger Anklang gefunden, sagt Gabriele. „Es ist sehr bezeichnend, dass das Symbole von Kriegern sind, zumindest in ihren Köpfen.“

    Mitglieder der regierungsfeindlichen Three Percenters hissen während des Sturms auf das Kapitol eine abgewandelte Betsy-Ross-Flagge.

    Foto von Tasos Katopodis, Getty Images

    „Keiner dieser Typen will in einem Langhaus leben oder so. Aber sie wollen diese Bildsprache.“

    Unter den Flaggen, die von den Aufständischen am Kapitol gehisst wurden, befand sich die Konföderierten-Flagge mit ihren Sternen und Balken. Auch die Gadsden-Flagge war vertreten. Die darauf abgebildete Klapperschlange und der Schriftzug „Don’t tread on me“ (dt.: Tritt nicht auf mich) sind das Motiv einer der ältesten Flaggen der USA, die in den 2000ern von der Tea Party verwendet wurde.

    Eine modifizierte Gadsden-Flagge wird von Randalierern am Kapitol geschwenkt.

    Foto von Spencer Platt, Getty Images

    Aber es gab auch andere Flaggen, die selbst den meisten Amerikanern wohl nur aus Lehrbüchern bekannt sind und von denen hierzulande die wenigstens gehört haben dürften. Da war zum Beispiel die Join or Die“-Flagge (dt.: Schließ dich an oder stirb), die eine zerteilte Schlange zeigt, deren Stücke für die ersten US-amerikanischen Bundesstaaten stehen. Das Motiv stammt ursprünglich aus der Feder von Benjamin Franklin.

    Auch eine Abwandlung der Betsy-Ross-Flagge war zu sehen – einem der frühen Entwürfe für die US-Landesflagge. In der Version der Aufständischen umringten die kreisförmig angeordneten 13 Sterne jedoch die römische Ziffer III. Die Flagge ist das Symbol der regierungsfeindlichen Three Percenters. Die paramilitärische rechte Gruppe propagiert den bewaffneten Widerstand gegen Einschränkungen des privaten Waffenbesitzes und behauptet, dass nur drei Prozent der amerikanischen Kolonisten im Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten gekämpft hätten. In einem besonders erschreckenden Video liegt ein verletzter Polizist zusammengerollt auf dem Bürgersteig neben einer vergessenen Betsy-Ross-Flagge.

    Ein Mitglied der Proud Boys (Mitte, mit der Mütze in der Hand) trägt von Wikingern inspirierte Tattoos.

    Foto von Alex Lourie, Redux

    Die Verwendung historischer Symbole fungiere sowohl als Erkennungszeichen für andere Weiße Rassisten als auch als bequemer Ausweg im Umgang mit Menschen anderer Gesinnung, erklärt Gabriele. „Sie hoffen, dass andere Beobachter die Symbolik erkennen und ihnen zustimmen. Aber wenn sie nicht zustimmen und es unangenehme Konsequenzen geben könnte, können sie einfach mit den Achseln zucken und sich rausreden mit ‚Oh, ich beziehe mich nur auf die Geschichte‘ oder so.“

    Ob es nun tausend Jahre alte Wikinger-Runen sind oder Symbole, die den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und die Konföderation feiern: Weiße Rassisten glauben, dass das historische Gewicht dieser Symbolik ihrer Sache Glaubwürdigkeit verleiht und einen Präzedenzfall darstellt.

    „Das ist nichts Neues, sie bleiben ihrer Ansicht nach ja nur der Vergangenheit treu und behaupten, dass die moderne Gesellschaft irgendwie von ihrem vorbestimmten Weg abgekommen ist“, sagt Gabriele. „Im Fall der Weißen Nationalisten und der Rechtsextremisten ist dieser Weg eine Weiße, christliche, männliche Gesellschaft, die keinen Platz für Frauen, unterrepräsentierte Gruppen und andere lässt.“

    The flag of the imaginary nation of Kekistan has white supremacist associations.

    Foto von Evelyn Hockstein, The Washington Post/Getty Images

    Einige der Symbole, die während des Aufstands zu sehen waren, sagen den meisten Betrachtern verständlicherweise gar nichts. Da war zum einen die Kekistan-Flagge, die ein imaginären Land repräsentiert, das von einer Froschkarikatur regiert wird. Auch das von den Proud Boys vereinnahmte Handzeichen für „OK“ war dabei. Aber nur, weil viele ihre Bedeutung nicht verstehen, heißt das nicht, dass diese Symbole harmlos sind, sagt Lecia Brooks, die Stabschefin des Southern Poverty Law Center.

    „Unabhängig davon, ob der zufällige Betrachter verstehen kann, was die Symbole bedeuten, muss er wissen, dass sie etwas bedeuten“, sagt Brooks. „Denn sonst würden [die Randalierer] sie nicht zeigen.“

    Galerie: Als der Mob das Kapitol stürmte

    Auch das bizarre Aussehen einiger der Aufständischen mag für viele rätselhaft sein – zum Beispiel der „QAnon-Schamane“. Er war in seinem Aufzug optisch weit von den disziplinierten Massen entfernt, die man beispielsweise mit Hitlers Braunhemden assoziiert. Aber diese tückische Kombination aus Albernheit und Faschismus ist etwas sehr Amerikanisches und hat ihre Wurzeln im Ku-Klux-Klan. Dessen Mitglieder verkleideten sich mit weißen Kapuzen und Roben als „Geister“, um Afroamerikaner einzuschüchtern, die als ungebildet und abergläubisch galten. Klan-Mitglieder verkleideten sich auch als Schelmen und sogar als Minnesänger, um ihre Opfer zu verhöhnen, sagt Talia Lavin, Autorin von „Culture Warlords: My Journey Into the Dark Web of White Supremacy“.

    „Es bot vor allem eine Deckung für ihre politischen Verbündeten. Sie konnten die Klan-Mitglieder als unseriös abtun, obwohl sie wussten, wie ernstzunehmend die Gewalt war. Und für ihre Opfer war es ein zusätzlicher Hohn“, sagt sie.

    „Sie sagen quasi: ‚Wir machen doch nur Spaß, okay?‘. Genauso wie die Proud Boys sagen: ‚Wir trinken doch nur zusammen.‘ Als ob.“

    Auch Akronyme aus den Schatten des Internets werden verwendet. Einige Randalierer trugen Aufnäher mit der Aufschrift WWG1WGA, was für „Where we go one, we go all“ steht, im Deutschen etwa „Wohin einer von uns geht, dahin gehen wir alle“. Es ist eine Botschaft der Solidarität zwischen den Anhängern von QAnon, jener Verschwörungstheorie, in deren Zentrum der Glaube steht, dass die Weltelite Satansanbeter sind, die Kinder ermorden und ihr Blut trinken. Im Dezember lichtete ein Fotograf einen Proud Boy ab, der durch die Straßen von D.C. marschierte und dabei ein T-Shirt mit dem Schriftzug 6MWE trug: „Six million were not enough“, zu Deutsch „Sechs Millionen waren nicht genug“. Der Holocaust, so verkündet es das Hemd des Mannes, sei noch nicht zu Ende.

    Was Brooks und Lavin am deutlichsten auffiel, war das Zusammentreffen so vieler unterschiedlicher politischer Symbole: Da stand ein Mann in einem Sweatshirt, das an die Kluft eines Auschwitz-Insassen angelehnt war, neben jemandem, der eine amerikanische Flagge schwenkte. „Was wir gesehen haben, ist wie ein Crossover zwischen den rechten MAGA-Anhängern, den rechten Trump-Anhängern und den extremeren Fraktionen: die Boogaloo Boys, die sich offen bekennenden Weißen Nationalisten, die ganzen Rechtsextremen, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht besonders Mainstream waren“, so Lavin.

    Gabriele zufolge sorgte die Aneignung historischer Bildsprache durch die Rechtsextremen auch für ein Umdenken bei Historikern und Geschichtslehrern – insbesondere im Hinblick auf das Mittelalter, auf das er sich spezialisiert hat. „Ich denke, es gab einen wirklich wunderbaren Anstoß unter den Akademikern, das zu berücksichtigen und wirklich über die Auswirkungen unserer Lehre und Forschung nachzudenken, weil sie mitunter auf eine Art gelesen und konsumiert wird, die wir als abscheulich empfinden. Und ehrlich gesagt fördern einige Akademiker genau das auch. Wir als Gelehrte müssen uns mit dieser Problematik auseinandersetzen.”

    „Aber zumindest muss ich jetzt die Relevanz eines Kurses über Wikinger oder Kreuzzüge nicht mehr rechtfertigen“, fügt er hinzu. „Ich zeige einfach ein Bild von Charlottesville oder den anderen Dingen, die sich gerade abspielen.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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