Historischer Facelift: 4.000 Jahre alter Schädel bekommt ein Gesicht

Diese in der Steinzeit vergrabene Frau durchstreifte einst die Wälder Nordschwedens. Jetzt haben Archäologen ihr Gesicht rekonstruiert.

Von Deborah Roth
Veröffentlicht am 2. März 2022, 08:41 MEZ
Diese Frau lebte vor etwa 4.000 Jahren im heutigen Nordostschweden. Oscar Nilsson, ein Pionier der rekonstruktiven ...

Diese Frau lebte vor etwa 4.000 Jahren im heutigen Nordostschweden. Oscar Nilsson, ein Pionier der rekonstruktiven Archäologie, hat ihr Äußeres zum Leben erweckt

Foto von Oscar Nilsson

Ein Jahrhundert ist es her, dass die sterblichen Überreste einer prähistorischen Frau zusammen mit denen eines kleinen Jungen entdeckt wurden. 4.000 Jahre lang lag die wohl 30-jährige Frau mit dem schätzungsweise sieben Jahre alten Kind, womöglich ihrem Sohn, in einem unangetasteten, mit Steinen ausgelegten Grab in den Wäldern Nordostschwedens.

Das Västernorrlands Museum, das im Besitz der beiden ältesten Skelette dieser Schwedischen Region ist, kontaktierte 2020 den Archäologen und Bildhauer Oscar Nilsson, eine Koryphäe hyperrealistischer musealer 2D- und 3D-Rekonstruktionen historischer Funde. Es beauftragte ihn, die Frau bildlich zum Leben erwachen zu lassen.

350 Stunden dauerte die Rekonstruktion der Frau aus der Steinzeit, mit einem Ergebnis, das sich nun sehen lässt und der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Eine Nachbildung des Schädels der Frau wurde mit einem 3-D-Drucker erstellt. Ton stellt ihre Gesichtsmuskeln dar. Die Stifte, die die Gewebetiefe anzeigen, werden mit einer Schicht aus Knetmasse bedeckt.

Foto von Oscar Nilsson

Knochen und Ton: Die Modellage historischer Funde

Dabei arbeitet Nilsson sowohl wissenschaftlich als auch kreativ: Viele Merkmale lassen sich anhand der im Knochen hinterlassenen Aufzeichnungen genau rekonstruieren. Die Arbeit von Nilsson beginnt nach seinen Angaben immer mit der Schichtung Dutzender Muskeln aus Ton auf eine 3D-gedruckte Nachbildung des geborgenen Schädels.

Als Nilsson sich daran machte, das Gesicht der Frau zu modellieren, berücksichtigte er alle Fakten, die ihm zur Verfügung standen: Sie war knapp 1,70 m groß – für ihre Zeit durchaus hoch gewachsen. Vorstehende Zähne formten ihren Mund auf eine besondere Weise und die Nase war etwas asymmetrisch. Aus ihrem Profil ließ sich erkennen, dass sie nach oben gerichtet war. Die Augen waren tief ins Gesicht gesetzt, und der Unterkieferknochen dabei ziemlich maskulin.„Eine interessante Mischung aus männlichen und weiblichen Zügen“, erklärt Nilsson.

Die sterblichen Überreste der Frau und eines kleinen Jungen wurden vor einem Jahrhundert in einem mit Steinen ausgelegten Grab in einem Weiler namens Lagmansören entdeckt.

Foto von Alamy

Zwischen DNA und Vorstellungskraft

3D-Druck und die DNA-Technologie sind heute weit entwickelt: Die aus gut erhaltenen Knochen gewonnene DNA kann inzwischen die Farbe von Haaren, Haut und Augen aufzeigen. Waren diese drei Teile der Rekonstruktion früher eher spekulativ, so gehören sie aktuell zu den zuverlässigsten Informationen. Im Fall der Frau aus Lagmansören konnte jedoch keine lesbare DNA gewonnen werden.

Stattdessen analysierte Nilsson historische Migrationsmuster. Sie lebte zu einer Zeit, als Bauern erst gerade nach Skandinavien gekommen waren und begannen, sich mit Jäger- und Sammlergruppen zu vermischen. Weiterhin konnte vor diesem Kontext festgestellt werden, dass die Frau wahrscheinlich hellhäutig und dunkelhaarig war.

Nilsson untersuchte historische Migrationsmuster, um festzustellen, dass die Frau wahrscheinlich helle Haut und dunkles Haar hatte. Sie ist mit gegerbten Tierhäuten bekleidet, die mit steinzeitlichen Techniken hergestellt wurden.

Foto von Oscar Nilsson

Nach diesem ersten analytischen Einordnungsprozess verließ Nilsson den Bereich der wissenschaftlichen Wahrscheinlichkeit und trat in Phase zwei ein: seine Vorstellungskraft.

Im Gegensatz zu Geschlecht, Hautfarbe und Zähnen lässt sich ein Gesichtsausdruck nicht in Knochen konservieren. „Ich muss aber das Gesicht zum Leben erwecken, damit man tatsächlich den Eindruck hat, dass einen jemand mit diesen Augen anschaut", sagt er über seine Arbeit.

Das fertige Werkstück trägt nun gegerbte Tierhäute, die von Nilssons Kollegin Helena Gjaerum mit steinzeitlichen Techniken hergestellt wurden. Am Hals der Rekonstruktion baumelte eine Halskette aus Vogelklauen, ein enger Dutt hält ihr das Haar aus dem Gesicht. So plastisch ist die Frühzeit bisher noch selten.

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