Mittelalterlicher Feminist? Der römische Kaiser Justinian und die Frauenrechte

Während seiner 40-jährigen Amtszeit erließ Kaiser Justinian ganze 200 Gesetze, die sich mit Frauenrechten beschäftigen. Doch wie fortschrittlich waren sie? Ein neues Forschungsprojekt will Justinians Gesetze aus feministischer Sicht neu untersuchen.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 21. Apr. 2022, 11:08 MESZ
Mosaik von Kaiser Justinian I. und Bischof Maximianus von Ravenna. Der Kaiser regierte von 527 bis ...

Mosaik von Kaiser Justinian I. und Bischof Maximianus von Ravenna. Der Kaiser regierte von 527 bis 565 n. Chr. und erließ in dieser Zeit über 200 Gesetze, die sich mit Frauenrechten auseinandersetzten.

Foto von Meister von San Vitale in Ravenna, Wikimedia Commons

Lange Zeit wurden Schriften, die uns heute als historische Quellen dienen, fast ausschließlich von Männern verfasst – das überlieferte Bild der Frauen vergangener Epochen beruht demnach darauf, wie sie von Männern gesehen wurden. Auch im Römischen Reich wurden die Lebensumstände, Wünsche und Bedürfnisse von Frauen hauptsächlich aus einer Perspektive erfasst, die durch männliche Vorstellungen und Einschätzungen geprägt war. Rechtskräftige Gesetze nehmen in dieser Hinsicht eine besondere Stellung ein: Sie wurden zwar von Männern erlassen, allerdings als Reaktion auf konkrete Anliegen der Vertreter – und der Vertreterinnen – des Volkes.

So war es auch bei Kaiser Justinian der Fall, der während seiner langen Amtszeit von 527 bis 565 n. Chr. über 200 Gesetze erließ, die sich mit den Problemen und der Stellung von Frauen befassten. Die Althistorikerin Katharina Wojciech von der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg untersucht diese Gesetzestexte nun in ihrem aktuellen Forschungsprojekt Justinian und die Frauen – Kaiserrecht in Genderperspektive

In ihrem Projekt will Wojciech vor allem analysieren, welche Auswirkungen Justinians Gesetze auf die Frauen der damaligen Zeit hatten und wie Geschlechterrollen in Wechselwirkung mit den kaiserlichen Vorschriften ausgehandelt wurden. „Wie Frauen dargestellt werden und was sie tun ­­­– da kann es eine Diskrepanz geben“, sagt sie. Gerade deshalb sei ihr wichtig, die realen Frauen, die sich hinter den Gesetzen verbergen, kennenzulernen. „Ich will ihnen heute eine Stimme geben und die männlichen Diskurse, Erwartungen und Werturteile von damals hinterfragen“, so Wojciech.

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Gesetzgebung in der Antike

Justinian I. gilt bis heute als einer der bedeutendsten Herrscher der Spätantike. An die Macht kommt der ehemalige Bauernsohn im Jahr 527 n. Chr. – in einer Zeit, die stark durch Kriege, Naturkatastrophen und Glaubenskontroversen beeinflusst wird. Heute ist er vor allem für das Corpus Iuris Civilis bekannt, die große Kompilation des römischen Rechts, die er in Auftrag gab. Darüber hinaus war er auch als Gesetzgeber sehr aktiv. „Justinian hat sich anscheinend für viele Aspekte interessiert, die nicht unbedingt typisch für einen Herrscher der damaligen Zeit waren“, sagt Wojciech. Dazu zähle auch die Tatsache, dass er sich – zumindest in seiner Gesetzgebung – besonders mit den Belangen der Frauen seiner Zeit beschäftigte.

Doch was steckte hinter diesem Interesse? Diese Frage will Wojciech in ihrem Projekt genauer untersuchen. Denn in den Gesetzen lassen sich teilweise idealtypische Erwartungen an Frauen ablesen, teilweise aber auch widersprüchliche Überzeugungen, die zeigen, dass das Frauenbild jener Zeit komplexer war als gedacht. So hat Justinian zwar beispielsweise Frauen eine bessere vermögensrechtliche Stellung verschafft, andererseits aber dafür gesorgt, dass solche, die körperliche Gewalt von ihrem Partner erfuhren, keine Möglichkeit hatten, sich scheiden zu lassen. 

Laut Wojciech erkennt man in diesen verschiedenen Gesetzen ein Spannungsverhältnis zwischen Antworten des Kaisers auf reale, individuelle Frauenprobleme und seiner Selbstdarstellung als Herrscher. „Es ist eine Mischung aus Notwendigkeit und Überzeugung, die hier zur Entfaltung kommt“, sagt sie.

BELIEBT

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    Frau ist nicht gleich Frau

    Pauschale Aussagen über die Auswirkung der Gesetze und der Motivationen Justinians sind schwierig. „Ich bezweifle stark, dass wir von einer grundsätzlichen Verbesserung oder Verschlechterung sprechen können, weil Frau nicht gleich Frau ist“, erklärt Wojciech. Man müsse immer auch Faktoren wie die soziale Stellung, die finanzielle Situation oder den Wohnort berücksichtigen und viel stärker differenzieren.

    Die verschiedenen Frauenwelten und die Sicht auf Frauen innerhalb der Gesellschaftsordnung der Zeit gilt es nun im Laufe des Projektes zu erschließen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Entwicklung der Frauenrechte sowie der verschiedenen Einflüsse auf Justinians Gesetzgebungen. „Da der Kaiser sehr lange regierte, lässt sich hier eine Evolution beobachten – die Art und Weise, wie das Recht zwischen Kaiser und Gesellschaft ausgehandelt wird“, so Wojciech.

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