Deutschlands erste Ärztin: Wer war Dorothea Christiana Erxleben?

Vor rund 270 Jahren promovierte Dorothea Christiana Erxleben in Medizin. Mit einer Sondergenehmigung des Königs wurde sie Deutschlands erste „Frau Doktor”. Sie war Pionierin ihres Fachs und Hoffnungsträgerin für ihr Geschlecht.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 8. März 2022, 09:39 MEZ
Die Malerei von Johannes Wagner zeigt Dorothea Christiana Erxleben am 6. Mai 1754 in der Universität ...

Die Malerei von Johannes Wagner zeigt Dorothea Christiane Erxleben am 6. Mai 1754 in der Universität Halle. Dort legte sie als erste Frau in Deutschland ihr medizinisches Examen ab. Mit Bestnote – zum Erstaunen ihrer durchweg männlichen Kollegen.

Foto von Johannes Wagner / Foto: Falk Wenzel

Einen Doktortitel in Medizin zu erlangen, war für eine Frau im frühen 18. Jahrhundert mehr als schwer, um nicht zu sagen: eigentlich unmöglich. Der weibliche Verstand sei schlichtweg zu klein für das Studium der Medizin, so der allgemeine Tenor in der Gesellschaft. Frauen studierten ohnehin nicht, sondern sollten heiraten und den Haushalt führen. So blieben akademische Berufe der Männerwelt vorbehalten.

In dieser Zeit und Welt war Dorothea Christiana Erxleben eine enorme Ausnahme: Sie praktizierte nicht nur als Ärztin, sondern promovierte – mit Erlaubnis des preußischen Königs – sogar in dem Fach. 

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Wissbegieriges Mädchen, fortschrittlicher Vater

Dorothea Erxleben wurde am 13. November 1715 als Dorothea Christiana Leporin in Quedlinburg im Harz geboren. Sie war ein zartes, kränkliches Kind, das einen Großteil der frühen Lebensjahre im Bett verbrachte, dabei jedoch eine große Wissbegierde an den Tag legte: So soll sie sich bereits im Alter von vier Jahren das Lesen angeeignet haben. Außerdem interessierte sie sich schon früh für die Arbeit ihres Vaters, dem Arzt und Gymnasiallehrer Christian Polykarp Leporin senior. Als Anhänger der frühen Aufklärung unterrichtete er seine Tochter genau wie ihre jüngeren Brüder, und dachte nicht daran, sie aufgrund ihres Geschlechts zu benachteiligen. 

Die Bettlägerigkeit eröffnete ihr die Möglichkeit, am Unterricht, den ihr Vater ihren Brüdern erteilte, teilzunehmen”, sagt Eva Brinkschulte, Professorin und Leiterin des Instituts für Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin an der Universität Magdeburg und Mitherausgeberin der Biographie Dorothea Christiana Erxleben: Weibliche Gelehrsamkeit und medizinische Profession seit dem 18. Jahrhundert”.

Für Frauen war das Studium an einer deutschen Universität nicht möglich. „Sie besaßen keine Zugangsberechtigung, denn sie konnten an einem deutschen Gymnasium kein Abitur ablegen", so Brinkschulte. Trotzdem gab es viele Frauen, mit medizinischem Know-how: Hebammen und Kräuterfrauen besaßen ein großes Wissen in Gesundheits- und Krankheitsfragen.

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    Eine Musterschülerin

    In akademischer Hinsicht hatte Dorothea ihren Bruder Christian Polykarp Leporin junior schon bald überflügelt. Nicht nur, weil sie älter war als er, sondern auch sehr lerneifrig:  Einen großen Teil ihres Wissens brachte sie sich autodidaktisch bei und war ihren Geschwistern vor allem in Latein weit voraus – ebenfalls eine Seltenheit. Der Privatunterricht für Mädchen beschränkte sich auf den Sprachunterricht wie Französisch. Das Erlernen von naturwissenschaftlichen Kenntnissen oder auch der lateinischen Sprache gehörten nicht dazu”, erklärt Brinkschulte. Für das Studium der Medizin waren Lateinkenntnisse jedoch unumgänglich. 

    Nachdem Dorothea mit ihrer schnellen Auffassungsgabe und ihrem Wissensdurst irgendwann sogar ihren Vater an seine Grenzen brachte, suchte dieser Hilfe bei Tobias Eckhard, dem Rektor des Quedlinburger Gymnasiums. Dieser schrieb in einem Brief an den Vater über die damals Fünfzehnjährige: „Hier drinnen, lieber Freund, steckt etwas, das hoch hinaus will ... vielleicht höher, als wir beide ahnen … höher jedenfalls, als wir in unserem begrenzten Denken einem Frauenzimmer zugestehen…“. Er prophezeite Dorothea einen ähnlichen wissenschaftlichen Werdegang wie den von Laura Bassi, die in Italien mit lediglich zwanzig Jahren den Doktortitel erlangte und als die erste neuzeitliche Universitätsprofessorin Europas gilt. 

    Erxlebens Mutter hatte unterdessen nur wenig Verständnis für den ungewöhnlichen Wissensdurst ihrer Tochter und machte sich Sorgen, ihre hausfraulichen Fähigkeiten würden nicht ausreichend gefördert. Ihr zuliebe widmete sich Dorothea, die mit den Jahren gesundheitlich immer robuster wurde, auch den Aufgaben, die im Haushalt übernommen werden mussten. Ihrem Vater versprach sie jedoch, ihre Leidenschaft für die Wissenschaft nicht aus den Augen zu verlieren.

    Studium: Ein männliches Privileg

    Als Dorothea 16 Jahre alt war, begleitete sie ihren Vater bei Patientenbesuchen und wünschte sich, Medizin zu studieren. Doch während ihr Bruder Christian im Jahr 1736 sein Medizinstudium an der Universität Halle an der Saale beginnen konnte, blieb Dorothea dieser Weg versperrt. „Die erste Frauenbewegung propagierte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts den Aufbau von Bildungseinrichtungen für Frauen”, sagt Brinkschulte. Ihrem Vater war egal, ob Dorothea studiert hatte, oder nicht: Als sie 21 Jahre alt wurde, durfte sie ihm bei der Patientenversorgung in seiner Praxis assistieren. 

    Die Diskriminierung gegen das Frauenstudium ließ Dorothea unterdessen keine Ruhe. Sie begann ihre Gedanken in Worte zu fassen. Im Jahr 1742 erschienen ihr erstes Werk mit dem Titel Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten, Darin deren Unerheblichkeit gezeiget, und wie möglich, nöthig und nützlich es sey, Daß dieses Geschlecht der Gelahrtheit sich befleiße, umständlich dargeleget wird.

    Mit königlichem Segen an die Universität

    Als  im Jahr 1740 der junge Friedrich II. an die Macht kam und unter anderem die Folter abschaffte, wehte das Versprechen von Veränderung durch Preußen. Die fünfundzwanzigjährige Dorothea beschloss, ihr Glück zu versuchen, und bat den neuen König um Erlaubnis, endlich zusammen mit einem ihrer Brüder an einer Universität studieren zu dürfen. Ein halbes Jahr später wurde ihrer Bitte tatsächlich stattgegeben. Sie wurde an der Universität in Halle zugelassen.

    "Seine Majestät verfügt, daß die ihm zu Gnaden empfohlene Leporin der medizinischen Fakultät in Halle bezüglich vorzulegender Promotion rekommandiert sein solle, sobald sie sich dieserhalb weiterhin melden würde." - Königlicher Erlass vom 15. April 1741 an die Universität Halle

    Doch zum Studium kam es nie. Zum einen, weil ihr Bruder in den Krieg ziehen musste, ohne den Dorothea keinen Zugang zu den Vorlesungen erhielt. Zum anderen aufgrund ihrer Vermählung mit dem Witwer, fünffachen Vater und Diakon Johann Christian Erxleben. Sie bekamen vier gemeinsame Kinder, sodass auf Dorothea neben ihrem autodidaktischen Studium und der Behandlung von Patienten auch in ihrem Zuhause eine Vielzahl an Pflichten und Aufgaben warteten. Dies hielt sie jedoch nicht davon ab, weiterhin als Ärztin in der väterlichen Praxis zu arbeiten. 

    Pfuscherei, Protest und Promotion

    Im Jahr 1747 verstarb Erxlebens Vater und sie übernahm die Praxis, obwohl sie noch immer kein Medizinstudium vorweisen konnte – die Ärzteschaft in Quedlinburg sah das mit Missgunst. Während ihrer vierten Schwangerschaft im Jahr 1753 starb eine von ihr behandelte Patientin. Drei männliche Kollegen erstatteten daraufhin Anzeige wegen medizinischer Pfuscherei. Mit Erfolg: Obwohl kein eindeutiger Beweis für den Vorwurf erbracht werden konnte, wurde Erxleben der Betrieb der Praxis vorerst verboten.

    Sie verfasste eine ausführliche schriftliche Erklärung, in der sie gegen das Verbot protestierte und auf die königliche Erlaubnis zur Promotion verwies. Der darauffolgenden Aufforderung, diese nachzuholen, kam sie mit dem Einreichen ihrer Doktorarbeit nach.

    Im Juni 1754 erlangte Dorothea Christiana Erxleben als erste Frau in Deutschland die medizinische Doktorwürde – mit Bestnote. In ihrer Doktorarbeit plädierte sie für sanfte Medizin mit Wickeln, Kräutern und die Unterstützung der körpereigenen Abwehr. Außerdem kritisierte sie teure „Modemedikamente”, die viele ihrer Kritiker einsetzten. Sie war somit nicht nur die erste und einzige Frau in der Ärzteschaft, sondern vertrat auch einen konträren Ansatz zu dem damaligen allgemeinen Trend in der Medizin.

    Bis zu ihrem frühen Tod im Alter von gerade einmal 46 Jahren praktizierte Dorothea Erxleben offiziell als Ärztin und genoss dabei hohes Ansehen. Bis es Frauen in Deutschland offiziell erlaubt war, an einer Universität zu studieren, vergingen noch über hundert Jahre: Erst 1893 wurden erstmals – unter anderem dank des Einsatzes der Pädagogin und Frauenrechtlerin Helene Lange  – Gymnasialkurse für Frauen angeboten. „Der Werdegang von Dorothea Erxleben war für eine Frau die absolute Ausnahme - zumindest im deutschen Raum”, sagt Eva Brinkschulte. Die Möglichkeit des Zugangs für Frauen zu deutschen Universität eröffnete sich erst durch den Bundesratbeschluss 1899. Baden war das erste Bundesland, das 1900 mit seinen Universitäten Freiburg und Heidelberg Frauen zum Medizinstudium zuließ. 

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