Hessen: Weltweit erstes Fossil einer schwangeren Schlange gefunden
Bislang gab es lediglich zwei fossile Nachweise für lebendgebärende Reptilien. Nun haben Archäologen in der Grube Messel in Hessen das Millionen Jahre alte Fossil einer derartigen Schlange entdeckt – inklusive ungeborenem Nachwuchs.
Die Messelboa Messelophis variatus aus der hessischen UNESCO-Welterbestätte ist der weltweit erste fossile Beleg für lebendgebärende Schlangen.
Die Grube Messel im hessischen Landkreis Darmstadt-Dieburg ist eine wahre archäologische Schatzgrube. Die Fossilien, die in ihrem Ölschiefer konserviert wurden, sind für ihre herausragende Qualität bekannt und zeugen in ihrer Vielzahl von der diversen Flora und Fauna der Region während des Eozäns. Etliche Arten konnten dank der in dem ehemaligen Tagebau entdeckten Funde erstmals beschrieben werden.
Nun ist die UNESCO-Welterbestätte um eine Sensation reicher: Ein Team aus Forschenden des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums in Frankfurt und der argentinischen Fundación de Historia Natural Buenos Aires hat in der Grube Messel den ersten fossilen und damit gleichzeitig frühesten Nachweis einer lebendgebärenden Schlange entdeckt. Ihren Fund beschreiben die Wissenschaftler in einer Studie, die im Fachjournal The Science of Nature erschienen ist.
Versteinerte Messelboas: Muttertier mit Embryonen
An sich hat der Fund eines Fossils der Spezies Messelophis variatus – zu Deutsch Messelboa – keinen besonderen Seltenheitswert. Die mit den heutigen mittelamerikanischen Zwergboas verwandte Art zählt zu den häufigsten in der Grube Messel gefundenen Reptilien. „Dennoch hat uns dieses etwa 47 Millionen Jahre alte Exemplar überrascht: Es handelt sich um ein trächtiges Weibchen mit mindestens zwei Embryonen, die sich im hinteren Drittel ihrer Rumpfregion finden“, sagt die Herpetologin Mariana Chuliver, Erstautorin der Studie.
Entdeckt wurde der ungeborene Nachwuchs bei genaueren Untersuchungen der versteinerten, rund 50 Zentimeter langen Boa. Dabei fielen den Forschenden weitere Schädelknochen auf, die von Tieren mit einer Körperlänge von knapp 20 Zentimeter stammen. Dass es sich dabei um Beutetiere handelt, wurde aufgrund des Fundorts hinter dem Magen der großen Schlange schnell ausgeschlossen. Wären die Tiere gefressen worden, hätten sie Magen und Darm durchwandern müssen, um an diese Stelle zu gelangen. Das heißt, sie wären durch die Verdauung bis zur Unkenntlichkeit zersetzt worden.
„Es muss sich also um Embryonen der Boa handeln”, sagt Studienautor Agustín Scanferla, Geowissenschaftler bei der Fundación de Historia Natural. „Die Tatsache, dass die Knochen von sehr jungen – aber dennoch weiter als in einem ungelegten Ei entwickelten – Schlangen stammen, unterstreicht, dass es sich um ein trächtiges, lebendgebärendes Weibchen handelt.“Mit dem Fund sei es nun erstmals gelungen, das Fossil einer viviparen Schlange zu beschreiben.
Im hinteren Abschnitt des Fossils des Muttertieres sind Knochen von mindestens zwei etwa 20 Zentimenter langen Embryonen zu erkennen.
Oviparie, Viviparie und ihre evolutionären Rätsel
Rund 99 Prozent aller Tierarten weltweit pflanzen sich ovipar fort: Bei ihnen findet die frühe Entwicklung des Nachwuchs nach der Eiablage außerhalb des Körpers der Mutter statt. Im Gegensatz dazu steht die Viviparie, bei der sich Embryo und Fötus im Mutterleib entwickeln. Rund 70 Prozent aller bekannten Schlangenarten sind ovipar. Es gibt aber auch Schlangenspezies wie die Sandboa oder Diamant-Klapperschlange, die ihren Nachwuchs lebend zur Welt bringen.
Herauszufinden, wie genau die evolutionäre Entwicklung der Lebendgeburt bei Schlangen vonstattenging, gestaltet sich schwierig. Bisher fehlten die nötigen Erkenntnisse aus fossilen Funden. „Die fossile Erhaltung von Fortpflanzungsereignissen ist generell sehr selten. Insgesamt wurden bislang nur zwei fossile Belege zu viviparen landlebenden Reptilien entdeckt”, so Krister Smith, stellvertretender Leiter der Abteilung für Messelforschung am Senckenberg Institut.
Zwar liefert das 47 Millionen Jahre alte Fossil nun einen neuen Einblick in den Zeitstrahl der viviparen Fortpflanzungsstrategie, es gibt aber auch Rätsel auf. Weil vivipare Muttertiere ihren Nachwuchs bis zur Lebensfähigkeit im eigenen Körper tragen, kommt diese Fortpflanzungsform vorrangig in kalten Klimazonen vor. „Zur Zeit des eozänen Messelsees herrschte auf der Erde aber ein anhaltendes Treibhausklima mit warmen Temperaturen”, erklärt Smith. Der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre war hoch und die Pole waren vollständig frei von Eis.
In der Region, in der sich heute die Grube Messel befindet, herrschten damals Durchschnittstemperaturen von 20 Grad. Selbst im Winter fielen sie kaum unter Null. „Warum die Boas vor 47 Millionen Jahren dennoch ihren Nachwuchs lebend zur Welt brachten, ist noch ungeklärt. Vielleicht können uns weitere Fossilien aus dieser einzigartigen Fundstelle dabei helfen, dieses Rätsel zu lösen“, sagt Smith.