Medizingeschichte: Hebammen und ihr jahrhundertelanger Kampf um Anerkennung
Hebammen leisten einen unverzichtbaren Beitrag in unserem Gesundheitssystem. Dennoch zieht sich ihr Kampf um einen festen Platz im Medizinsektor durch die Jahrhunderte – und hält bis heute an.
Dieses Relief aus dem Alten Rom entstand um das 2. Jahrhundert n. Chr. und zeigt eine Hebamme bei der Geburtshilfe. Historische Belege zur Hebammenarbeit wie dieser reichen bis ins 3. Jahrhundert v. Chr., die Tätigkeit selbst gibt es aber schon seit vielen Tausend Jahren.
Wie wichtig Hebammen sind, weiß jeder Mensch, der schon mal ein Kind erwartet hat: Ob Sprachnachrichten von Schwangeren, bei denen der Bauch plötzlich zieht, WhatsApp-Bilder von vollen Windeln oder beunruhigte Anrufe spät am Abend – Hebammen haben immer eine Antwort parat. Sie sind die erste Anlaufstelle für (werdende) Eltern. Doch ihr Stand in unserem Gesundheitssystem ist schwierig.
Zuletzt stand ihr Einsatz in Kliniken aufgrund einer im Oktober verabschiedeten Finanzreform auf der Kippe. Hebammen sollten laut dieser ab 2025 aus dem Pflegebudget der Krankenhäuser gestrichen werden. Die Reform, die verheerende Folgen für entbindende Personen mit sich bringen würde, wurde stark kritisiert. Über 1,5 Millionen Unterschriften wurden innerhalb kürzester Zeit in einer Petition gegen das Gesetz gesammelt. Es ist wohl auch ihr zu verdanken, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach nun zurückruderte: Die Hebammen sollen im Pflegebudget bleiben.
Dass die Berufsgruppe um Anerkennung kämpfen muss, zieht sich durch die Jahrhunderte bis heute. Geringer Verdienst, schlechte Arbeitsbedingungen und wenig politische Unterstützung sind schon lange Alltag der Hebammen. Verbände wie der Deutsche Hebammenverband (DHV) oder das Bündnis Gute Geburt schlagen Alarm. „Wir erleben in Deutschland derzeit einen Überlebenskampf der Geburtshilfe, wie wir ihn bis vor Kurzem für undenkbar gehalten hätten“, sagt DHV-Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer.
Ursprünge des Hebammendienstes in der Antike
Das war nicht immer so: Jahrtausende alte Berichte zeugen vom hohen Ansehen und beschreiben die Tätigkeiten der Hebammen von Babylonien bis China. Aus dem Alten Ägypten kennt man heute zum Beispiel Kunstwerke, die sogenannte „weise Frauen“ bei der Geburtshilfe zeigen. Auch Berichte darüber, dass sie besondere Positionen und Tränke kannten, die die Geburt erleichtern sollten, gibt es aus dieser Zeit.
Aus dem Alten Griechenland sind ebenfalls Schriften bekannt, in denen das besondere Können der Hebammen beschrieben wird. Darunter der Bericht des griechischen Arztes Soranos von Ephesos, der mit seinem Lehrbuch Gynaecology eines der wohl ersten Handbücher der Welt über die sogenannte Frauenmedizin verfasste. Darin beschreibt er die Hebamme als „eine Frau, die sich mit allen Ursachen von Frauenkrankheiten auskennt und auch in der allgemeinen medizinischen Praxis bewandert ist“.
Diese Illustration aus dem Jahr 1515 stammt aus einem frühen Handbuch zur Geburtshilfe. Der schwangeren Frauen und Hebammen Rosengarten von Eucharius Rößlin. Das Buch des deutschen Arztes besteht aus einer Sammlung verschiedenster Schriften und erschien fast 100 Jahre vor Louise Bourgeois Buch. Im 16. Jahrhundert stammen schriftliche Formularisierungen der Tätigkeit noch ausschließlich von Männern.
Mittelalter: Hexenverbrennung und „männliche Hebammen“ in Europa
Im Mittelalter wurde es für Hebammen dann brenzlig. Durch den in Europa um sich greifenden Hexenwahn und die strenge Religiosität entstand eine Angst vor dem jahrtausendealten Wissen der Frauen. Ihnen schlug Argwohn entgegen. Teilweise wurden sie sogar als Hexen verfolgt und verbrannt. Ab dem 16. Jahrhundert bekamen Hebammen noch mehr Gegenwind – und zwar durch die sich immer weiter etablierenden, männlich dominierten Medizinwissenschaften.
Problematisch wurde dies vor allem während des Wandels des Hebammendienstes: von einer quasi ehrenamtlichen Tätigkeit zur Lohnarbeit. Um ihrer Arbeit legitimiert nachgehen zu dürfen, mussten Hebammen von Autoritäten wie studierten Medizinern oder Priestern offiziell anerkannt werden. Gleichzeitig stießen männliche Ärzte immer weiter in die Domäne der Geburtshilfe vor – während Frauen der Zugang zu den Universitäten und der Forschung verwehrt blieb.
„Die Rolle der Hebamme als erste Instanz änderte sich zumindest in den Städten im 17. und 18. Jahrhundert, als sogenannte männliche Hebammen – also Chirurgen, die speziell in der Kunst der Entbindung ausgebildet waren – von einigen wohlhabenderen Frauen auch für normale Entbindungen gewählt wurden“, sagt Valerie Worth, Geschichts- und Kulturwissenschaftlerin von der Oxford University. Sie forscht schon lange zur Geschichte der Hebammen und ihren Rollen im Laufe der Jahrtausende. Laut Worth sahen sich studierte Chirurgen in der medizinischen Hierarchie nach und nach den Hebammen überlegen – und wurden immer häufiger auch von außen so betrachtet.
Eine Frau wird bei der Geburt von drei Hebammen unterstützt, während zwei Männer im Hintergrund das Horoskop des Kindes errechnen. Im 16. Jahrhundert durften Männer, auch männliche Mediziner, oftmals nicht direkt bei der Geburt mithelfen, weil sie den Schambereich der gebärenden Frauen nicht sehen durften. Das änderte sich spätestens im 18. Jahrhundert als Männer auch als direkte Geburtshelfer bei der Geburt anwesend waren.
Während vor dem 17. Jahrhundert studierte Ärzte nur dann hinzugezogen wurden, wenn es bei der Geburt Komplikationen gab, verlor die Hebamme in den folgenden Jahrhunderten nach und nach ihren Stellenwert in der Geburtshilfe.
Der Kampf um Anerkennung
Wohl auch deshalb begannen Hebammen in dieser Zeit damit, sich zu organisieren. Mit Beginn des 17. Jahrhunderts gab es immer mehr Bemühungen, die Professionalität ihrer Tätigkeit und ihr eigenes gesammeltes Wissen festzuhalten – ähnlich wie es ihre männlichen Kollegen bereits seit Jahrhunderten taten.
Allen voran sorgte Louise Bourgeois, eine am französischen Königshof praktizierende Hebamme, 1609 mit ihren sogenannten Observationen für einen Wendepunkt in der Geschichte der Hebammen. In ihrem Buch sammelte sie ihr Wissen rund um Geburtshilfe, Fruchtbarkeit und Frauengesundheit. Es war das erste Buch, das von einer Frau geschrieben wurde – und der Beginn eines Kampfes für mehr Anerkennung in der Medizin.
Laut Andrea Sturm, der ersten Vorsitzenden des Deutschen Hebammenverbands Hamburg, sind Bourgeois Bemühungen bis heute relevant. „Sie musste ihr Wissen gegen alles verteidigen, was männlich und ärztlich war. Und das ist bis heute oft so: Wir müssen unser Handwerk und unser medizinisches Wissen immer rechtfertigen“, sagt sie.
Bourgeois folgten bereits wenige Jahre später zwei weitere Frauen, die Schriften zur Hebammentätigkeit verfassten. Justine Siegemund, Hebamme am brandenburgischen Hof, veröffentlichte 1690 das erste deutsche Lehrbuch zur Hebammenkunst. Rund 60 Jahre später, als männliche Ärzte das Feld der Geburtshilfe immer mehr dominierten, legte die englische Hebamme Sarah Stone mit A Complete Practise of Midwifery nach. Sie sprach sich bestimmt gegen die Übernahme der Geburtshilfe durch männliche Ärzte aus.
Auszug aus dem Hebammenbuch von Louise Bourgeois. Ihr Handbuch von 1609 war das erste Lehrwerk für Hebammen, das von einer Frau und selber praktizierenden Hebamme geschrieben wurde.
Der damals aufflammende Konflikt zwischen Hebammen, denen der Zugang zu universitärer Bildung versagt wurde, und studierten Ärzten scheint bis heute die Sicht auf Hebammen zu beeinflussen. „Oft herrscht in der Gesellschaft dieses Bild des sozialen, lieben Wesens vor, das der Familie gut zuredet. Das lässt die Professionalität des Berufes in den Hintergrund rücken“, so Sturm. Dabei handele es sich bei dem Hebammendienst um professionelles medizinisches Arbeiten – und keine Esoterik. „Wir mischen konkretes Wissen und Beratung, was die Familien unterstützt und bestärkt“, sagt sie. Gerade deshalb sei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ohne Hebamme geradezu unvorstellbar.
Vereinsbildung und politische Organisation
Um ihr Standing zu verbessern, haben sich Hebammen deshalb in den letzten 130 Jahren verstärkt in Verbänden und Vereinen organisiert – allen voran die erste offizielle Interessengemeinschaft der Hebammen im Jahr 1885. „Die politische Organisation ist ein wichtiger Entwicklungsschritt in unserer Geschichte“, sagt Sturm.
Die Vereinsgeschichte ist seither bewegt. Denn der Wunsch der Hebammen, der Profession mehr Wichtigkeit zu verleihen, wurde gerade in der NS-Zeit auf perfide Weise erfüllt. Wie viele andere Vereine wurde der Deutsche Hebammenbund in den 1930ern aufgelöst und Hebammen wurden in der Reichsfachschaft Deutscher Hebammen zwangsvereinigt. In den Jahren bis 1945 mussten Hebammen bei der Umsetzung der sogenannten Rassenideologie der Nazis mitwirken. Mittlerweile setzt sich der Hebammenverband dafür ein, diese Geschichte aufzuarbeiten und Zeichen gegen Diskriminierung und Rassismus zu setzen.
Paradigmenwechsel in der Geburtshilfe
Die Ausbildung der Hebammen hat mittlerweile ebenfalls einen Umschwung erfahren. 2019 wurde der Beruf durch das Gesetz zur Reform der Hebammenausbildung akademisiert – der duale Studiengang der Hebammenwissenschaften entstand. Für Andrea Sturm ein bedeutender Schritt. „Durch den Studiengang können wir mit Politik und Medizin endlich auf Augenhöhe diskutieren. Außerdem ist man in diesem Bereich dann nicht mehr nur auf Forschung aus dem weiteren medizinischen Bereich angewiesen, die oftmals von weißen cis Männern dominiert wird“, sagt sie.
Dennoch gibt es weiterhin Handlungsbedarf. Hebammen seien noch immer nicht in den einschlägigen Gesetzen und Verordnungen explizit genannt, würden weder ausreichend bezahlt noch als Bestandteil der kritischen Infrastruktur gesehen. „Damals ging es um die fehlende Altersversorgung und um Fortbildungen, heute geht es um unzumutbare Arbeitsbedingungen und unzureichende Finanzierung“, sagt Barbara Blomeier, erste Vorsitzende des Landesverbands der Hebammen Nordrhein-Westfalen.
So kämpft auch der Deutsche Hebammenverband aktuell unter dem Motto „Mehr Hebammen, mehr Sicherheit, mehr Respekt, mehr Menschenwürde“ weiter für das Ansehen des Berufes. „Wir sind die einzige Berufsgruppe, die dafür ausgebildet ist, Frauen vor, während und nach der Geburt qualitätsgesichert und hochwertig zu betreuen“, sagt Ulrike Geppert-Orthofer. Gerade deshalb müsse sich der Blick auf die Geburtshilfe ändern.
„Wir müssen die Hebamme wieder als erste Anlaufstelle bei einer Schwangerschaft sehen“, fügt Andrea Sturm hinzu. Nur so könne sich die Politik nicht mehr aus ihrer Verantwortung ziehen.