Uralte Seuche: Neue Erkenntnisse zur Verbreitung der Pest

Die Pest war im bronzezeitlichen Europa offenbar früher und weiter verbreitet als bisher gedacht. Das zeigen aktuelle Untersuchungen an 4.000 Jahre alten Skeletten aus England.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 1. Juni 2023, 09:38 MESZ
Gemälde, auf dem ein Pestdoktor und mehrere kranke Menschen zu sehen sind.

Gemälde von Rita Greer aus dem Jahr 2009. Die Große Pest von London in den Jahren 1665 und 1666 war der letzte große Ausbruch der Beulenpest in Europa. Pesterreger sind allerdings bereits Tausende Jahre älter.

Foto von Rita Greer/ FAL 1.3. / Wikimedia

Bevor die Pest zwischen 1346 und 1353 in Europa und Asien als Schwarzer Tod wütete und in dieser Zeit fast 25 Millionen Menschen das Leben kostete, gab es im 6. Jahrhundert n. Chr. bereits einen weiteren schweren Pestausbruch. Die Justinianische Pest, die um 541 n. Chr. begann, ist der erste dokumentierte Ausbruch der Krankheit. Schon damals starben unzählige Menschen an ihr im gesamten Mittelmeerraum.

Doch Yersinia Pestis, der Erreger, der diese schweren Formen der Pest auslöst, ist noch viel älter. Ein Forschungsteam hat bei der Untersuchung 4.000 Jahre alter Skelette aus den englischen Grafschaften Somerset und Cumbria DNA-Fragmente von Y. pestis ausmachen können – und liefert somit den bislang ältesten Nachweis der Pest in England. 

In Ihrer Studie, die im Fachmagazin Nature Communications erschien, zeigen die Forschenden an diesem Beispiel, dass die Pest in der Bronzezeit bereits große Teile Europas erreicht hatte – und somit schon zu dieser Zeit weiter verbreitet war als bislang gedacht.

Der älteste Pestnachweis aus England

“Dass wir alte Krankheitserreger aus degradierten Proben, die Tausende von Jahren alt sind, nachweisen können, ist unglaublich.”

von Pooja Swali
Francis Crick Institute

Für ihre Studie untersuchte das Team, das hauptsächlich aus Forschenden des Francis Crick Institute in London bestand, Skelettüberreste von 34 Menschen aus zwei verschiedenen Fundorten in England. Bei drei von ihnen konnten die Forschenden DNA-Fragmente des Pesterregers Y. pestis nachweisen. Darunter zwei Kinder im Alter zwischen 10 und 15 Jahren, deren Überreste in einem Massengrab in dem Fundort Charterhouse Warren in Somerset gefunden wurden, und eine erwachsene Frau, die nach ihrem Tod in einem Ringgrab in dem Ort Leven in Cumbria bestattet wurde.

Mithilfe der Radiokohlenstoffdatierung konnte das Team alle drei Skelette auf ein Alter von etwa 4.000 Jahren datieren. Darüber hinaus konnten die Forschenden die DNA-Fragmente einer bestimmten Linie von Pesterregern zuordnen, die bereits im bronzezeitlichen Mittel- und Osteuropa sowie im Baltikum nachgewiesen werden konnten: dem LNBA-Erregerstamm.

Dieser Stamm, dessen Name sich auf sein Vorkommen im Spätneolithikum und der Bronzezeit (Late Neolithic and Bronze Age) bezieht, war somit vor etwa 4.000 Jahren schon weit über die bislang bekannten Regionen hinaus verbreitet – und hatte bereits seinen Weg über das Meer nach England gefunden.

War die Pest damals weniger tödlich?

„Dass wir alte Krankheitserreger aus degradierten Proben, die Tausende von Jahren alt sind, nachweisen können, ist unglaublich“, sagt Pooja Swali vom Crick Institute, Hauptautorin der Studie. Aufgrund des Alters der Proben sei es auch möglich, dass noch weitere der untersuchten Individuen Pest-Erreger in sich trugen, die man nun aber nicht mehr nachweisen könne. 

BELIEBT

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    Allerdings glauben die Forschenden, dass der nachgewiesene Strang von Y. Pestis möglicherweise weniger tödlich war als derjenige, der später einmal die Justinianische Pest und den Schwarzen Tod auslösen sollte – denn zumindest die Individuen aus Somerset starben vermutlich nicht an der Pest, sondern an Gewalteinwirkung.

    Frühe Pestausbrüche durch den Erregerstamm LNBA

    Einer der bislang ältesten Funde, anhand derer der LNBA-Stamm in Europa nachgewiesen werden konnte, stammt aus Lettland. Dort wurde Y. Pestis in den Überresten eines Jäger-Fischer-Sammlers nachgewiesen, der nahe dem steinzeitlichen Muschelhaufen Riņņukalns ausgegraben wurde. Eine Studie, die Gen-Daten dieses Fundes und aus unzähligen weiteren Ausgrabungen ausgewertet hat, vermutet, dass Teile Europas bereits vor 6.200 Jahren von dem LNBA-Stamm befallen wurden. Die aktuelle Studie ist ein weiteres Indiz dafür, wie schnell sich der Erreger in den darauf folgenden Jahrhunderten und -tausenden innerhalb Europas verbreitete.

     

     

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