Wie die Pest bis heute unser Immunsystem beeinflusst

Wer die Pest überlebte und wer nicht, hing laut einer neuen Studie stark von bestimmten Genvariationen im Immunsystem ab. Dadurch fand während der Pestepidemie eine Gen-Selektion statt, die bis heute Einfluss auf unsere Krankheitsanfälligkeit hat.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 21. Okt. 2022, 12:16 MESZ
Radierung einer Szene auf den Stroén von Florenz: Menschen, die mit der Pest infiziert sind, stapeln ...

Die Pest in Florenz im Jahr 1348, wie sie in Boccaccios Dekameron – einer Novellensammlung – beschrieben wird. Radierung von Luigi Sabatelli.

Foto von CC BY 4.0

Zwischen 30 und 50 Prozent der gesamten europäischen Bevölkerung starben im 14. Jahrhundert an der Pest. Bis heute gilt sie als eine der tödlichsten Krankheiten aller Zeiten. Doch ähnlich wie bei der aktuellen Coronapandemie reagierte auch damals jeder Mensch anders auf die von dem Erreger y. pestis ausgelöste Infektion, deren Sterberate jedoch insgesamt deutlich höher ausfiel als die der durch SARS-CoV-2 ausgelösten Covid-Erkrankung.

Eine neue Studie hat nun herausgefunden, dass bestimmte genetische Gegebenheiten dafür verantwortlich waren, wie schwer eine Person damals an der Pest erkrankte – und ob sie die Infektion überlebte. Die Genvarianten, die eine Infektion milderten oder davor schützten, setzten sich daraufhin vermehrt bei den Nachfahren durch. Sie beeinflussen bis heute unser Immunsystem. „Wir liefern damit empirische Belege für die Rolle, die vergangene Pandemien bei der Gestaltung der heutigen Krankheitsanfälligkeit spielen“, schreiben die Forschenden.

Ihre Studie veröffentlichte das Team aus Genforschern und Biologen der McMaster University, der University of Chicago und dem Pasteur-Institut im Fachmagazin Nature.

Genselektion und das Immunsystem

Für ihre Studie untersuchten die Forschenden mehr als 500 alte DNA-Proben von Personen, die kurz vor, während oder kurz nach dem Schwarzen Tod in London und Dänemark gestorben waren. Darunter beispielsweise die DNA von Individuen, die in den Jahren 1348 und 1349 in den Pestgruben von East Smithfield in London begraben wurden. Dabei identifizierten sie 245 Genvarianten, die in den Londoner Proben mit der Zeit häufiger vorkamen. Vier davon fanden sie ebenfalls in Proben aus Dänemark. Bei weiteren Untersuchungen stellte das Forschungsteam fest: Diese Gene unterlagen während der Pestjahre einer Selektion.

Für ihre Studie benötigten die Forschenden alte DNA-Daten von Pest-Opfern. Einen Teil davon entnahmen sie Individuen, die in der Mitte des 14. Jahrhunderts in den Pestgruben des East Smithfield Friedhofs bestattet wurden.

Foto von MATT CLARKE / MCMASTER UNIVERSITY

Alle vier der identifizierten Gene sind generell an der Produktion von Proteinen beteiligt, die unser System vor eindringenden Krankheitserregern schützen. Von ihnen können Menschen dann verschiedene Variationen in sich tragen. Bei Untersuchungen der alten DNA-Proben stellten sich die bestimmten Genvarianten heraus, die Menschen in sich trugen, die eine Pestinfektion überlebten. Besonders eine Genvariante, genannt ERAP2, fiel dabei auf: Menschen mit dieser Variante überlebten den Schwarzen Tod mit einer 40 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit als Menschen mit einer anderen Variante. 

Im Laufe der Zeit setzten sich diese Varianten dann immer mehr durch – eine Gen-Selektion fand statt. „Wenn eine Pandemie dieser Art auftritt, gibt es zwangsläufig eine Selektion für schützende Genvarianten beim Menschen. Das bedeutet, dass Menschen, die für den zirkulierenden Erreger empfänglich sind, ihm erliegen“, sagt der Evolutionsgenetiker Hendrik Poinar, der an der Studie mitgearbeitet hat. „Natürlich werden die Überlebenden im fortpflanzungsfähigen Alter ihre Gene dann weitergeben.”

Auswirkungen bis heute

Laut Poinar war eines der Ziele der Studie, einen größeren Einblick in die Dynamiken, die das menschliche Immunsystem geformt haben, zu bekommen. „Das ist der Schlüssel zum Verständnis, wie vergangene Pandemien wie die Pest zu unserer heutigen Krankheitsanfälligkeit beitragen", sagt er. 

BELIEBT

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    Und das sei gerade bei den im Zusammenhang mit der Pest identifizierten Varianten besonders spannend. Denn die Genvariante, die damals dafür verantwortlich war, die Pest lebendig zu überstehen, kann zusätzlich Autoimmunkrankheiten auslösen, die heute vermutlich um einiges deutlicher spürbar sind als damals. Beispielsweise steht ERAP2 im Zusammenhang mit der chronisch-entzündlichen Darmkrankheit, Morbus Crohn. Eine der anderen identifizierten Genvarianten wird mit rheumatoider Arthritis, ebenfalls einer Autoimmunerkrankung, in Verbindung gebracht. „Die positiven Aspekte der Selektion hin zur Erregerabwehr von Krankheitserregern wie Y. pestis wird heute durch die Immunstörungen aufgewogen“, so die Forschenden. 

    Und so spüren wir die Folgen der Pestpandemie in unserem Immunsystem bis heute. Vor allem diejenigen von uns, die vielleicht durch die vor über 500 Jahren stattgefundenen Gen-Selektion heute mit einer Autoimmunkrankheit zu kämpfen haben.

    Video: Wissen kompakt – Grippevirus

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