Wer war Simone de Beauvoir?

Die Schriftstellerin und Philosophin setzte sich bis zu ihrem Tod für Frauenrechte ein: Ihre bahnbrechenden Beiträge zum feministischen Diskurs sind bis heute relevant. Doch wie wurde de Beauvoir zur Feministin? Und was ist „das andere Geschlecht“?

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 25. Mai 2023, 09:29 MESZ
Schwarzweißfoto von Simone de Beauvoir.

Bekannt ist Simone de Beauvoir bis heute für ihre bahnbrechende feministische Schrift aus dem Jahr 1949. Neben Philosophen wie Jean-Paul Sartre und Albert Camus gilt sie außerdem als Begründerin des Existenzialismus.

Foto von Wikimedia / CC BY-SA 4.0

Dass Frauen für ihre Gleichberechtigung seit jeher kämpfen müssen, ist kein Geheimnis – und bis heute Realität. Dabei ist eine der bedeutsamsten feministischen Schriften zu diesem Thema schon Jahrzehnte alt: Simone de Beauvoirs Abhandlung Das andere Geschlecht aus dem Jahr 1949. Damals hilft das Buch dabei, den Kampf für mehr Unabhängigkeit und Gleichberechtigung wieder zu entfachen – fünf Jahre, nachdem das Wahlrecht in Frankreich auf Frauen ausgeweitet wurde. Und es machte de Beauvoir als revolutionäre Denkerin weltbekannt. 

Als Simone de Beauvoir geboren wird, spricht zunächst nicht viel dafür, dass sie einmal als Philosophin in die Geschichte eingehen wird: Sie kommt im Jahr 1908 in Paris als Tochter wohlhabender Eltern der Bourgeoisie auf die Welt, wird konservativ erzogen und auf eine katholische Mädchenschule geschickt. Die Idee der Familie: Sie soll eine gute Bildung erhalten – dann aber ihr Leben der Gründung einer eigenen Familie widmen.

Doch schon früh zeichnet sich ab, dass Simone de Beauvoirs Werdegang anders verlaufen wird: Ihre Familie verliert nach dem Ersten Weltkrieg einen Großteil ihres Geldes und Ansehens. Simone de Beauvoir lehnt ihre religiöse Erziehung ab und entwickelt nach und nach liberale und sozialistische Ideale, die sie von ihrer Familie entfremden.

Der große Saal der Bibliothek der Sorbonne Université. An der Pariser Universität machte de Beauvoir 1929 als Zweitbeste ihres Jahrgangs ihren Abschluss – obwohl es Berichte darüber gibt, dass sie und Sartre im Rennen um den besten Abschluss eigentlich gleichauf lagen.

Foto von Bibliothèque de la Sorbonne / CC BY-SA 4.0

Sozialismus und Feminismus: Entwicklung persönlicher Ideale

Einblick in de Beauvoirs Jugendjahre bietet neben ihrer Autobiographie Memoiren einer Tochter aus gutem Hause aus dem Jahr 1958 vor allem ein Romanmanuskript, das zu ihren Lebzeiten in der Schublade bleibt: Les Inseparables, eine Art fiktionalisierte Erzählung von Beauvoirs Kindheit und Jugend sowie ihrer Beziehung zu ihrer Jugendfreundin Élisabeth „Zaza“ Lacoin. Erst im Jahr 2022, fast 70 Jahre nachdem Simone de Beauvoir Les Inseparables schrieb, wurde das Buch veröffentlicht.

Darin wird anhand der Romanfigur Sylvie, dem fiktiven Pendant zu de Beauvoir, deutlich, wie aus der „Tochter aus gutem Hause“ eine politisch engagierte Schriftstellerin werden konnte: Der Verlust des Reichtums ihrer Familie führt dazu, dass sie nicht früh verheiratet wird und so nicht an einen Mann gebunden ist. Ihr Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit spornt sie bei ihrem Studium an. Und als sie beobachten muss, wie ihre Freundin Zaza von ihrer Familie immer mehr in die Rolle einer gehorsamen Tochter und Ehefrau gedrängt wird, wendet sie sich von konservativen Idealen endgültig ab. 

Auch sonst behandelt dieser „neue alte” Roman viele der Thematiken, die de Beauvoir im Laufe ihres Lebens beschäftigen und die sich auch in ihren Tagebüchern und Briefen wiederfinden: Das Abwenden von der bürgerlichen Konservative und die Entdeckung des Atheismus zu Schulzeiten sowie die Entwicklung sozialistischer Ideale im Rahmen ihrer ersten Begegnungen mit Philosophen und Schriftstellern auf der Sorbonne Université, wo sie Philosophie studiert.

Ausbrechen aus der Konvention: Beziehungsvertrag mit Sartre

„Vorsicht führt zwangsläufig zur Mittelmäßigkeit“, schreibt Simone de Beauvoir in Das Andere Geschlecht. Das Motto beschreibt ihren weiteren Werdegang perfekt – denn de Beauvoir hält sich nicht an Konventionen. 1929, also mit 21 Jahren, ist sie die jüngste Person, die je die Agrégation in Philosophie an der Sorbonne Université in Paris erhält – eine Art Lehrerlaubnis für die oberen Stellen in Schulen der Sekundarstufe. Dabei schließt sie als Zweitbeste des Jahrgangs ab, knapp hinter dem jungen Jean-Paul Sartre, den de Beauvoir in dieser Zeit kennen und lieben lernt. 

Gemeinsam mit ihm trifft Simone de Beauvoir ein Abkommen, das ihren Bruch mit den Idealen der französischen Bourgeoisie besiegelt: Anstelle einer traditionellen, monogamen Beziehung setzen die beiden eine Art Vertrag auf, laut dem sie zwar Lebenspartner sind, sich aber nicht die Freiheit anderer Beziehungen nehmen wollen. Ehe, Elternschaft und eine gemeinsame Wohnung schließen sie von Anfang an aus, um ihre jeweilige Unabhängigkeit zu bewahren und ihren literarischen und philosophischen Interessen nachgehen zu können. Dadurch sind Simone de Beauvoir während ihrer 51-jährigen Beziehung zu Sartre, die erst mit seinem Tod im Jahr 1980 endet, auch mehrere Beziehungen mit Frauen und Liebschaften mit anderen Männern möglich.

Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre in jungen Jahren am Denkmal für Balzac, einer Skulptur, die an den französischen Schriftsteller Honoré de Balzac erinnert. 

Foto von Archives Gallimard at Paris / Wikimedia

Doch dabei überschreitet de Beauvoir auch Grenzen. Nach ihrem Uni-Abschluss arbeitet sie mehrere Jahre als Lehrerin an verschiedenen Schulen und verfolgt dort gleich mehrmals Beziehungen mit Schülerinnen. Im Alter von 28 trifft sie sich mit der 16-jährigen Bianca Lamblin, die auch mit Sartre eine Beziehung gehabt haben soll. Im Alter von 32 Jahren folgt dann eine Beziehung mit einer 17-jährigen Schülerin. Beide berichten später davon, dass ihre Zeit mit de Beauvoir psychische Folgen für sie hatte. Außerdem führt die zweite Beziehung im Jahr 1943 dazu, dass de Beauvoir die Lehrerlaubnis entzogen wird. 

Literarische Erfolge und politische Arbeit 

Nach dem Verlust ihrer Lehrerlaubnis widmet sich de Beauvoir zunächst verstärkt der Schriftstellerei. Essays und Kurzgeschichten schreibt sie zwar schon vorher, jedoch ohne größeren Erfolg – ihren Traum gibt sie jedoch nicht auf. „Was auch immer geschehen würde, ich würde versuchen müssen, das Beste in mir zu bewahren: meine Liebe zur persönlichen Freiheit, meine Leidenschaft für das Leben, meine Neugierde, meine Entschlossenheit, Schriftstellerin zu werden“, schreibt de Beauvoir in Memoiren einer Tochter aus gutem Hause. Echten literarischen Erfolg erzielt sie schon kurz darauf mit ihren ersten Romanen Sie kam und blieb (1943) und das Blut der Anderen (1945). 

Zu dieser Zeit beginnt Simone de Beauvoir, sich auch politisch mehr zu engagieren. Die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs erweitern ihre Perspektive vom Engagement für individuelle und persönliche Freiheit – veranschaulicht durch ihren Vertrag mit Sartre – hin zu größeren sozialpolitischen und philosophischen Fragen. 1945 gründet sie zusammen mit Sartre und dem Philosophen Maurice Merleau-Ponty die literarisch-politische Zeitschrift Les Temps Modernes (Moderne Zeiten), die marxistische und existenzialistische Ansichten sowie den Atheismus verfechtet. Auch in ihren eigenen politischen Essays befasst sich de Beauvoir früh mit dem Existenzialismus. Ihr Essay Pyrrhus et Cinéas erscheint gleichzeitig mit Sartres Schriften, die heute als grundlegend für die Strömung gelten.

Feminismus: Das Andere Geschlecht

Aus dieser politischen und philosophischen Arbeit heraus entsteht letztendlich auch das Werk, für das Simone de Beauvoir bis heute weltbekannt ist: Das Andere Geschlecht – eine 1.000 Seiten lange Abhandlung über die Position und Rolle der Frau in der Gesellschaft, die 1949 in zwei Bänden erscheint.

Titelbild des ersten Bandes der Originalausgabe von Das Andere Geschlecht, im französischen Original Le deuxième sexe, aus dem Jahr 1949.

Foto von Public Domain / Wikimedia

Die bis heute berühmteste Aussage des Buches „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“ wird Leitsatz für die Idee von Geschlecht als sozialem Konstrukt, das Menschen durch gesellschaftliche Ideale und Überzeugungen auferlegt wird. Dabei wird die Frau laut de Beauvoir lediglich in Relation zum Mann definiert. Kurz: Der Mann gilt als dominantes, die Welt definierendes Subjekt, während die Frau als das „Andere“ existiert, in der Hierarchie unter dem Mann stehend. „Der Mann wird als menschliches Wesen und die Frau als weibliches Wesen definiert“, schreibt de Beauvoir.

So spricht sich die Philosophin, die ihr gesamtes Leben Verfechterin individueller Freiheit war, durch Das Andere Geschlecht für die Emanzipation der Frau aus – als einziger Weg aus den Zwängen, die die Gesellschaft Frauen auferlegt. Ein Konzept, das in direktem Zusammenhang mit ihren existentialistischen Überzeugungen steht. Dabei hält sie sich nicht zurück mit Kritik an der Art und Weise, wie Frauen von Bildung und dem öffentlichen Leben ferngehalten werden – und löst mit ihrem Buch auch deshalb zunächst einen Skandal aus.

Kampf um die Freiheit der Frau

Nach ihrem Erfolg mit Das Andere Geschlecht widmet sich de Beauvoir in den 50er- und 60er-Jahren ihren Memoiren sowie weiteren literarischen Essays. Außerdem setzt sie sich über die Jahre hinweg immer wieder für konkrete feministische Anliegen ein: allen voran der Kampf um liberalere Abtreibungsgesetze.

Dabei rückt sie in den 70er-Jahren noch einmal in die breite Öffentlichkeit. 1971 setzt sie im Alter von 62 Jahren das Manifest der 343 auf, ein Schreiben, in dem sich 343 Frauen öffentlich dazu bekennen, eine Abtreibung durchgeführt zu haben und sich für eine Legalisierung von Abtreibungen aussprechen. 1975 werden Schwangerschaftsabbrüche in Frankreich schließlich legalisiert, elf Jahre bevor de Beauvoir im Alter von 78 Jahren in Paris stirbt. Ihre größte Bekanntheit hat sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht.

„Es gibt viele Leute, die Beauvoir nicht mochten, weil sie wütend war“, schreibt Natalie Haynes, eine britische Journalistin und Schriftstellerin, in der Einführung einer 2015 veröffentlichen Edition von Das Andere Geschlecht. „Denn Wut gilt natürlich nicht als Tugend, und sie ist auch nicht damenhaft. Aber Wut kann sehr mächtig sein: Wie könnte man Ungerechtigkeit bekämpfen, ohne wütend zu sein, dass es sie überhaupt gibt?“ 

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