Als die Wikinger in Hamburg einfielen

Zwei Tage und zwei Nächte dauerte der Überfall dänischer Krieger auf die Hammaburg im Jahr 845. Warum die Nordmänner ausgerechnet die Siedlung angriffen, die als Ursprung der heutigen Stadt Hamburg gilt – und warum sie nie wiederkamen.

Von Nina Piatscheck
Veröffentlicht am 12. Juli 2023, 09:47 MESZ
Illustration einer Gruppe Wikinger auf einem Schiff auf dem Meer.

Die Wikinger kamen 845 über die Elbe nach Hamburg – vermutlich in einem Boot ähnlich dieser Illustration. Nach Angaben alter Quellen blieben sie zwei Tage und zwei Nächte – und kamen nie wieder. 

Foto von Archivist / Adobe Stock

In der Hamburger Innenstadt, unweit der Shoppingmeile Mönckebergstraße, gibt es eine große Wiese mit Dutzenden weißen Sitzgelegenheiten aus Plastik. Im Dunklen leuchten sie, bei Sonnenschein verweilen auf ihnen Menschen, um Kaffee- oder Mittagspause zu machen und zu plaudern. Die wenigsten wissen: Hier, auf dem Domplatz, liegen die Wurzeln der heute zweitgrößten Stadt Deutschlands. Vor über 1.000 Jahren stand hier die Hammaburg. Ein weiterer kaum bekannter Fakt: Hier landeten im Jahr 845 die Wikinger, um zu plündern.

Die Wikinger und die Vita Anskarii 

So jedenfalls erzählt es Erzbischof Rimbert in der Vita Anskarii, in der er in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts die Lebensgeschichte seines Vorgängers Anskar niederschrieb: „Gegen Abend kamen sie an, verweilten die Nacht, den folgenden Tag und die darauf folgende Nacht daselbst, und verließen alsdann die, durch Raub und Brand gänzlich zerstörte Stadt.“ 

600 Drachenboote mit rund 12.000 dänischen Kriegern seien damals gekommen, liest man in manchen Artikeln. Vermutlich eine Übertreibung der Geschichtsschreibung, denn so viele Krieger wären wohl gar nicht nötig gewesen: Nach Angaben des Archäologischen Museums Hamburg lebten zu jener Zeit gerade einmal 200 bis 500 Menschen in der Siedlung.

Galerie: Wikinger in Amerika

Kaum archäologische Beweise

Dass die Wikinger in Hamburg waren, gilt bei Historikern als gesichert. Auch, weil der Überfall neben der Vita Anskarii auch in den Fränkischen Reichsannalen und damit in einer zweiten Quelle erwähnt wird. Doch wie genau er sich zugetragen hat, bleibt, wie so oft in der Geschichte, unklar. 

Kay-Peter Suchowa vom Archäologischen Museum Hamburg hat bei Grabungen in der Stadt Vieles entdeckt – Hinweise auf Wikingerangriffe waren jedoch nicht dabei: „Archäologisch lässt sich der Überfall kaum belegen“, sagt er. „Es wurden keine Brandschichten gefunden, die durch tagelange Plünderung und Brandschatzung hätten entstehen müssen.“ Einzig, dass der Graben rund um die Hammaburg um das Jahr 850 zugeschüttet wurde – und danach der Bau einer neuen Burg begann – sei ein Indiz, dass die Siedlung zerstört wurde. 

Lange suchte man bei Grabungen vergeblich „die herrliche Kirche, wie auch das wunderschöne Mönchs-Kloster“, die in der Vita Anskarii erwähnt werden. „Sie wurden den Flammen preisgegeben“, heißt es dort. Doch im Boden fand man keine Beweise für solche Gebäude. Suchowa und sein Team vermuten, dass die Kirche außerhalb des Walls gebaut worden sein könnte. 

BELIEBT

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    Propaganda für den Glaubenskrieg der Kirche

    Der Ort, auf dem die Hammaburg einst stand, ist seit Jahrhunderten Zentrum Hamburgs, wurde oft umgegraben und neu bebaut. Nachdem die letzte Hammaburg (Hammaburg III) niedergelegt wurde, errichtete man an dieser Stelle unter anderem den Heidenwall und die Neue Burg. „Dass man wenig findet, ist wahrscheinlich auch dieser Tatsache geschuldet“, sagt Matthias Toplak, Archäologe und Leiter des Wikinger Museum Haithabu bei Schleswig. 

    Er glaube eher an eine kleine Holzkirche – und sieht die Erzählungen der alten Quellen ohnehin kritisch: „Diese alten Schriften wurden zu lange für bare Münze genommen.“ Denn viel mehr als wahre Begebenheiten hätte hier vermittelt werden sollen, dass die Wikinger schlimme Heiden und Anskar ein Heiliger war. „Es ging auch darum, einen Feind von außen zu kreieren. Ob der nun Normannen oder Wikinger hieß – Hauptsache, es waren Heiden. Es handelt sich also nicht um objektive Aufzeichnungen, sondern eher um Propaganda, um das durch Erbfolgekriege zerrüttete Frankenreich gegen einen übermächtig scheinenden Feind zu vereinen.“

    Illustration des Angriffs der Wikinger auf Hamburg aus dem Jahr 1957.

    Foto von Archäologisches Museum Hamburg

    Warum kamen die Wikinger nach Hamburg?

    Zu den Gründen für den Überfall aus dem Norden gibt es verschiedene Theorien. Die verbreitetste: Der dänische König Horik I. könnte den Überfall auf Hamburg angeordnet haben. Die Hammaburg war eine der nördlichsten Siedlungen des damals mächtigen Frankenreichs. Nach dem Tod von Karl dem Großen rieben seine Nachkommen sich in den Bruderkriegen auf. Horik I. erkannte wohl, dass er im Norden die Chance auf leichte Beute hatte. „Die sogenannten Wikinger waren am Ende Soldaten“, sagt Suchowa. 

    Eine weitere Theorie: Horik I. habe sich gegen die Christianisierung durch Missionar Anskar wehren wollen und habe deshalb angegriffen. Wikinger-Experte Matthias Toplak sieht diese Version der Geschichte kritisch: „Ich glaube nicht an diese religiöse Erklärung, dass die Wikinger als überzeugte Heiden in die Hammaburg gekommen sind, um den Bischof zu vertreiben“, sagt er. Die Hammaburg hätte verkehrstechnisch günstig direkt zwischen Elbe, Bille und der damals nicht gestauten Alster gelegen. Man habe schlicht Beute machen wollen, so Toplak. „Ich wage sogar zu bezweifeln, dass jemand überhaupt von einem Bischof wusste – es war wohl eher reiner Zufall.“

    Sich auf die Schnelle zu bereichern war damals das Hauptanliegen der Angriffe gewesen – die im Jahr 845 auch Paris und Köln trafen. 

    Die Hammaburg im Jahr 1845

    Ziemlich genau rekonstruieren lässt sich unterdessen heute, wie die zweite Hammaburg – und damit die Vergangenheit Hamburgs – aussah, als die Wikinger über die Elbe gefahren kamen. Sie war Sitz des Fürsten, geschützt durch einen Wall aus Erde und Holz, und hatte einen Durchmesser von 65 Metern. Hinter dem Wall standen Holzhäuser, deren Pfähle man gefunden hat. Auch außerhalb der „Mauern“ der Hammaburg gab es Häuser. 

    Die Hammaburg befand sich damals bereits in ihrer zweiten Ausbauphase, weshalb sie Hammaburg II genannt wird. Eine weitere sollte nach den Angriffen folgen. Die Hammaburg II wurde von Sachsen und Slawen bewohnt, was viele Jahrhunderte später auch anhand einer bestimmten Art Keramik nachgewiesen wurde: die sogenannte Hammaburg-Keramik. Dabei handelt es sich um sächsische Keramik mit slawischen Verzierungen, die aus dem 9. Jahrhundert stammt.

     

    Die Hammaburg, eingezeichnet in die heutige Hamburger Innenstadt. 

    Foto von Archäologisches Museum Hamburg

    In genau dieser Keramik wollen Wissenschaftler einen weiteren Beweis dafür gefunden haben, dass die Wikiniger einst die Hammaburg zerstörten. Bei Grabungen in der Dorfwüstung Schmeesen in Niedersachsen stieß das Team um Archäologen Hans-Georg Stephan von der Universität Halle-Wittenberg auf Reste von Tongefäßen mit Verzierungen. Die Art der Verzierungen kam in dieser Form in der Zeit, in der sie angefertigt wurden, ausschließlich bei Hamburg vor. Das Material der Gefäße stammte jedoch aus der Region Schmeesen. „Daraus schließt das Team, dass die Töpfe lokal von geflohenen Menschen aus der Hammaburg gefertigt wurden”, sagt Kay-Peter Suchowa.  Dass Bewohner der Hammaburg über 200 Kilometer in den Süden geflohen sind, hält Suchowa jedoch für nicht wahrscheinlich. 

    Es könnte also stimmen – oder auch nicht. Laut Matthias Toplak sei dies das ewige Los dieses Forschungsfeldes: „Wir Archäologen leben leider im Konjunktiv." Eines jedoch sei sicher: „Der Überfall auf Hamburg dürfte sich nicht sonderlich gelohnt haben – denn sonst wären die Wikinger wiedergekommen", sagt Toplak. Paris hätten sie viermal heimgesucht und auch nach Köln kamen sie mehrfach. Doch in Hamburg „gab es offensichtlich nicht viel zu holen.”

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