Vesuvausbruch: KI macht verkohlte Schriftrollen aus Herculaneum lesbar
Im Jahr 79 n. Chr. wurde die Villa dei Papiri unter meterhohem Vulkanschlamm begraben – und mit ihr etliche wertvolle Schriftrollen. Bislang konnten diese zwar geborgen, aber größtenteils weder geöffnet noch gelesen werden. Dank KI ändert sich das nun.
Eine der verkohlten Schriftrollen aus der Villa dei Papiri. Im Rahmen eines Wettbewerbs wurde nun erstmals ein Wort auf einer der ungeöffneten Rollen entziffert.
Als im Jahr 79 n. Chr. der Vesuv ausbrach, war Pompeji nicht der einzige Ort, der unter Schutt und Asche begraben wurde. Unzählige weitere Städte am Golf von Neapel wurden zerstört, darunter auch die antike Stadt Herculaneum, an deren Rand die Villa dei Papiri stand. Diese wurde bei der verheerenden Eruption unter 20 Meter vulkanischem Schlamm begraben – mitsamt über 1.800 Schriftrollen, die heute als Herculanensische Papyri bekannt sind.
Erst mehr als 1.600 Jahre später wurden die Villa und die durch den Ausbruch komplett verkohlten Schriftrollen entdeckt und ausgegraben. Versuche, sie zu lesen, scheiterten bislang allerdings größtenteils – auch, weil viele der Schriftstücke nicht geöffnet werden konnten, ohne sie zu zerstören.
Das könnte sich nun ändern. Denn mithilfe künstlicher Intelligenz gelang nun ein Durchbruch: Erstmals konnte ein Wort auf einer der ungeöffneten Rollen entziffert werden.
Vulkanausbruch macht Schriftrollen unlesbar
Die Bibliothek der Villa dei Papiri, die in den 1750er-Jahren ausgegraben wurde, gilt bislang als einzige entdeckte antike römische Bibliothek. Umso frustrierender war bislang der jahrzehntelange Kampf, die dort gelagerten Schriftrollen zu entziffern. Denn die Stücke wurden unter der Erde zwar erhalten, durch die Vulkanasche aber so sehr beschädigt, dass sie Versuche, sie zu entrollen, meist nicht überstehen. Rund 300 Rollen sind noch immer ungeöffnet, während Expert*innen nach der richtigen Technik suchen, um die Rollen unbeschadet entziffern zu können.
Bei dem Versuch, die Rollen zu öffnen, wurden bereits unzählige von ihnen beschädigt. Die erfolgreichsten Versuche wurden im 19. Jahrhundert unternommen, als etwa 300 der Schriftrollen maschinell zerlegt wurden. Dennoch ist die Schrift auf der kohlebeschichteten Oberfläche des Papyrus weitestgehend unlesbar.
Versuche, die Herculanensischen Papyri mithilfe von Röntgenaufnahmen zu lesen, sind bislang ebenso gescheitert wie die Versuche, die Schriftstücke zu entrollen. Selbst hochauflösende dreidimensionale Röntgenbilder konnten die Schrift auf den Rollen nicht für das bloße Auge sichtbar machen. Das liegt daran, dass die Tinte, die auf den Papyri genutzt wurde, eine Kohlenstoffbasis hat und deshalb keinen Röntgenkontrast zu dem darunterliegenden Papyrus bietet. Um dieses Problem zu lösen, kam nun die künstliche Intelligenz ins Spiel.
Lesen mithilfe von Röntgenaufnahmen und intelligentem KI-Modell
Ein Forschungsteam um den Computerwissenschaftler Brent Seales von der University of Kentucky, USA, fand heraus, dass einige der Papyrusfragmente unter Infrarotlicht teilweise lesbar sind. Auf Basis dieser Erkenntnis konnten die Forschenden ein KI-Programm erstellen, das die Tinte auch auf den bislang unleserlichen, ungeöffneten Schriftrollen erkennen kann. Dazu brachten sie einem neuronalen Netzwerk bei, wie die Muster in den Papyrusrollen aussehen, wenn Tinte vorhanden ist und wie die Muster aussehen, wenn keine Tinte vorhanden ist.
Dieses Programm stellte das Team Anfang 2023 im Rahmen der Vesuvius challenge dann der Öffentlichkeit zur Verfügung: Teilnehmer*innen des Wettbewerbs sollten versuchen, die Texte mithilfe des KI-Programms und bereitgestellten Röntgenaufnahmen zweier Schriftrollen und dreier Papyrusfragmente zu entziffern.
Gelungen ist das nun dem 21 Jahre alten Studenten Luke Farritor und einem weiteren Teilnehmer, Youssef Nader: Beide entdeckten auf einer Röntgenaufnahme der Schriftrollen das griechische Wort „πορφύραc“, das „lila“ bedeutet. Zu dem Ergebnis kamen sie unabhängig voneinander, nachdem sie das KI-Modell von Searles Team verbessert hatten.
Beendet ist die Vesuvius challenge damit allerdings nicht. Preisgelder winken noch immer denjenigen, die weitere Wörter oder gar ganze Satzteile oder Textstellen entziffern können. Darunter: der Höchstpreis von umgerechnet etwa 640.000 Euro.