13 skurrile Schönheitsideale aus dem Mittelalter

Blasse Haut, hohe Stirn und muskulöse Schenkel – was im europäischen Mittelalter als schön galt, scheint aus heutiger Sicht oft überraschend. Ein Überblick.

Von Heidrun Patzak
Veröffentlicht am 16. Apr. 2024, 16:01 MESZ
Badehausszene im Mittelalter

Der ideale Körper im Mittelalter: Männer wie Frauen sollten schlank und schmal sein, ein kleiner Bauch war jedoch erlaubt und sogar erwünscht, wie hier gut erkennbar in der Darstellung einer Badehausszene des flämischen Miniaturmalers Anton von Burgund aus dem Jahr 1470.

Foto von Master of Anthony of Burgundy creator QS:P170,Q3843004, Scene of a bathhouse, c. 1470, gemeinfrei, Details auf Wikimedia Commons

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Schon immer taten Menschen einiges dafür, attraktiv zu wirken. Heute halten wir strenge Diäten, nehmen regelmäßig Sonnenbäder, bemühen uns um tägliche Fitness-Workouts – all das wäre bei unseren mittelalterlichen Vorfahren wohl auf sehr viel Unverständnis gestoßen. Zwar hatte man schon damals ganz genaue Vorstellungen, was man als schön empfand und was nicht, doch Schönheit unterliegt seit Jahrtausenden dem Wandel der Zeit und das mittelalterliche Verständnis von Schönheit unterscheidet sich deutlich von unserem heutigen Geschmack. 

Helle Haut und rote Lippen – bei Männern wie Frauen

Wer im Mittelalter „in“ sein wollte, war blass. Je blasser, desto besser. Mit Pülverchen und Cremes wurde kräftig nachgeholfen. Ungesund waren die mittelalterlichen Versuche, die Haut künstlich aufzuhellen definitiv, denn nicht selten wurden dafür hochgiftige Bleiweiß- und Quecksilberverbindungen genutzt. Für glatte, haarlose Haut kamen sogar gefährliche Enthaarungscremes zum Einsatz, die teils mit Karbolsäure versetzt wurden, wie die Mittelalterforscherin Eleanor Janega in einem Interview zu ihrem Buch „The Once and Future Sex“ verrät. 

BELIEBT

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    Im Porträt einer Lady von Rogier van der Weyden (1399/1400–1464) sind viele der mittelalterlichen Schönheitsideale vereint: Eine schlanke, androgyne Körperform, rote, volle Lippen und eine betont hohe Stirn.

    Foto von Rogier van der Weyden artist QS:P170,Q68631 Details on Google Art Project, Rogier van der Weyden - Portrait of a Lady - Google Art ProjectFXD, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

    Man tat also viel für das „perfekte“ Aussehen, denn davon hatte man im Mittelalter recht genaue Vorstellungen. Das belegen die Aufzeichnungen mittelalterlicher Literaten wie etwa die von Matthäus von Vendôme oder Galfredus de Vino Salvo. In ihren Werken beschreiben sie überraschend detailliert spezifische Schönheitscodes. Meist wird die Schönheit der idealen Frau dargestellt, seltener auch die der Männer. Matthäus von Vendômes „Ars versificatoria”, eine Abhandlung über die mittelalterliche Poetik aus dem späten 12. Jahrhundert, liefert etwa eine berühmte Beschreibung von Helena von Troja, welche die damaligen Vorstellungen widerspiegelt: Helena besäße eine hohe, „milchig-weiße“ Stirn, gebogene, schwarze Augenbrauen, rosige Wangen, ein schmales Kinn, ein Schwanengenick „weißer als Schnee“ und Zähne „weißer als Elfenbein“. 

    Außerdem sollten Männer wie Frauen große Augen und rote Lippen haben, denn schon damals stand Jugendlichkeit und das viel gerühmte Kindchenschema hoch im Kurs. Lippenstift und Rouge, das zum Beispiel aus dem roten Farbstoff der Schildlaus gewonnen wurde, nutzten im Mittelalter übrigens Damen wie Herren.

    Die ideale Frisur? Halblang, rotblond und gelockt

    Im Hochmittelalter lag ein besonderes Augenmerk auf den Haaren: Sie sollten lang sein, aber nicht zu lang (maximal bis zu den Schultern). Beliebt waren Locken, selbst in der Stirn. Um die Haare in Form zu bringen, griff man zu Eiweiß oder Brenneisen. Wer selber keine Haarpracht vorweisen konnte, griff zur Perücke. En vogue war übrigens eine ganz spezifische Haarfarbe: Blond mit einem Stich ins Rötliche. 

    Eine Besonderheit des Hochmittelalters: Der Gabelbart.

    Foto von : Petrus Christus artist QS:P170,Q312616, Christus carthusian, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

    Gepflegte Langhaarfrisuren waren nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern angesagt. Zudem trug der Mann des Hochmittelalters Bart. Das hatte ganz pragmatische Gründe, zumindest laut Ordericus Vitalis (ca. 1075 – 1142), einem mittelalterlichen Geschichtsschreiber: So gäbe es schließlich keine nachwachsenden Bartstoppeln, welche die Damenwelt beim Küssen stören könnten, schreibt er. Auch bei Bärten war ein zartes Rotblond erwünscht. Um diese Farbe zu erreichen, wurde gebleicht und gefärbt, getrimmt und gekräuselt. Es gab sogar eine besondere Mode: Der sogenannte „städtische Stil“ – ein mehrfach gegabelter Bart.

    So viel Mühe in den eigenen Körper steckte man nur bis zur Eheschließung, zumindest, was Frauen betraf. Schminken und Haarfärben sei nämlich unvereinbar mit dem Status einer verheirateten Frau – so steht es im Lexikon des Mittelalters, einem von einem Autorenkollektiv erstellten Nachschlagewerk zum Mittelalter. Deshalb wurden die Haare der Frauen nach der Hochzeit unter einem sogenannten „Gebende“, einer fest geschnürten Kopfbedeckung, verborgen.

    Kleine Brüste und Kugelbauch: Ein mittelalterliches Schönheitsideal für reiche Frauen

    Während im barocken Europa des 17. Jahrhunderts üppige, kurvige Frauen als schön galten, hatte die mittelalterliche Frau, ähnlich wie heute, schlank zu sein. Galfredus de Vino Salvo, ein englischer Rhetoriker aus dem 12. Jahrhundert, beschrieb den weiblichen Nacken als lang und weiß wie eine Säule. Arme und Hände sollten ebenfalls weiß, schlank und weich sein. Eine solche Hautfarbe war selbstverständlich nur für reiche und adelige Frauen möglich. Alle anderen mussten ihren Lebensunterhalt mit Feld- oder Hausarbeit verdienen, weshalb ihre Hände und Arme sonnengebräunt und weit entfernt vom damaligen Schönheitsideal waren.

    Übernahmen Ammen das Stillen der Babys und Kleinkinder, war eine knabenhafte Figur leichter zu erreichen, wie hier dargestellt auf dem Gemälde A Lady in Her Bath von François Clouet, ca. 1571.

    Foto von François Clouet, François Clouet, A Lady in Her Bath, c. 1571, NGA 46112, CC0 1.0

    Den Traumbusen der Frauen beschreibt Galfredus als klein, gerade mal eine handvoll, sowie (kaum überraschend) weiß, fest und spitz. Damit war das Ideal ein Privileg der Oberschicht, da nur wirklich reiche Frauen sich Ammen leisteten und nicht selbst stillten, und so dem Ideal der kleinen, runden Brüste leichter entsprechen konnten. Weiter sollte die Frauentaille knabenhaft schlank sein, ein kleiner Bauch war aber wünschenswert und wurde mit Wohlstand und Reichtum in Verbindung gebracht. Denn Frauen, die täglich schwerer körperlicher Arbeit nachgingen, taten sich schwer, Körperfett aufzubauen. Außerdem hatten reiche Frauen auch Zugang zu Lebensmitteln, die einem kleinen Bäuchlein zuträglich waren: weißes Brot, fettes Fleisch und Süßigkeiten.

    Der ideale Mann: Schmale Schultern, grade Beine und kräftige Schenkel 

    Etwas spärlicher fallen hingegen die literarischen Beschreibungen für Männer aus. Hier galten schmale Schultern, wohlgeformte Beine und kräftige Waden und Oberschenkel als attraktiv. Außerdem hatte man schlank zu sein, zumindest wenn man den handschriftlichen Abhandlungen von Trota von Salerno (12. Jh.) Glauben schenkt. Als praktizierende Ärztin in der italienischen Stadt Salerno beschreibt sie detailliert, wie sie „dicken Männern“ mithilfe von heißem Sand zu einer schlankeren Figur verhelfen könne. Zeitgenössische Beschreibungen von Männern erwähnen zudem folgende Eigenschaften: helle Haut und blaue Augen, eine breite Stirn, blondes, lockiges Haar, lange Finger und Zehen und gerade Beine.

    Besonders hervorgehoben auf dem Porträt von Henry VIII von Lucas Horenbout: Die Schamkapsel des Herrschers.

    Foto von Attributed to Lucas Horenbout artist QS:P170,Q957847,P5102,Q230768 Workshop of Hans Holbein the Younger artist QS:P170,Q4233718,P1774,Q48319, Holbein Henry VIII of England, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

    Anders als bei Frauen war Jugendlichkeit und Jungfräulichkeit für Männer keine Voraussetzung für Attraktivität. Der ideale Ehemann war in seinen 30ern und 40ern, jüngere Männer galten als zu wild. Besonders im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit rückte beim Mann eine gute Bestückung in den Vordergrund – und zwar so sehr, dass Schamkapseln in Mode kamen. Man glaubte, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Kraft, Kämpfertum und einer großen Bestückung bestand.

    Mittelalterliche Hygiene: Körperpflege und Sauberkeit wurden ernst genommen

    Sowohl für Männer als auch für Frauen galt: Körperpflege wurde großgeschrieben. Abseits der Schönheitsbeschreibungen in der Literatur verschriftlichten Ärzte Tipps zu Körperpflege, Hautbehandlung und ganz allgemein zur Verjüngung. Wilhelm von Saliceto wusste Mittel gegen Krampfadern und Fettsucht (13. Jh.), während sein Zeitgenosse Gilbertus Anglicus ein zwölfteiliges Werk über Kosmetik des Gesichts und der Haare verfasste. Vereinzelt gab es auch Frauen, die in der mittelalterlichen medizinischen Fachliteratur in Erscheinung traten, wie Trota von Salerno, die eine medizinische Sammelhandschrift über Frauenheilkunde schrieb und in ihrer „Liber Trotula“ unter anderem auch über die Hautpflege referierte. Damit blieb sie nicht alleine: Ihre berühmte Zeitgenossin Hildegard von Bingen beschreibt etwa ein Mittel für weichere Haut auf Basis von Gerstenwasser.

    Zudem waren bereits im 13. Jahrhundert Zahnpulver und Zähneputzen üblich und ebenso verbreitet wie Zahnstocher. Anders als häufig vermutet wurde im Mittelalter auch regelmäßig gebadet. Nicht jeder hatte Zugang zu Seife, doch man wusch sich täglich und badete circa einmal wöchentlich, wie die amerikanische Mittelalterforscherin Eleanor Janega in einem Interview erzählt. Damit nicht genug: Leibwäsche (meist aus Leinen) wurde regelmäßig gewechselt und die Reichen und der Adel nutzte sogar schon Parfum, das etwa nach Myrre, Rosenblüten oder Orange duften konnte. 

    Die Schönheitsideale des Mittelalters unterscheiden sich teils deutlich von den Vorstellungen des 21. Jahrhunderts – in einigen Aspekten sind sie unserem Geschmack aber doch erstaunlich nahe. Was sich kaum verändert hat, ist, wie viel Mühe, Geld und Zeit der Mensch von je her in sein Aussehen steckt. Ästhetik und „sich schön machen“ liegt eben in der Natur des Menschen – und das wird wohl auch immer so bleiben.

    Cover National Geographic 4/24

    Foto von National Geographic

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