Eine Frau liegt in ihrem Grab: Ihre Zähne sind gefeilt und ihr Schädel kegelförmig.

Gefeilte Zähne und Turmschädel: Wie Wikinger ihre Körper modifizierten

Archäologische Nachweise zeigen, dass Wikinger ihre Körper auf verschiedene Weise verändert haben. Dahinter steckte laut einer neuen Studie unter anderem der Wunsch, einer bestimmten Gruppe auch optisch zugehörig zu sein.

Eine Frau mit einem sogenannte Turmschädel und Grabbeigaben, mit denen sie bestattet wurde.

Foto von Current Swedish Archaeology / Mirosław Kuźma / Matthias Toplak
Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 26. Apr. 2024, 12:45 MESZ

Körpermodifikation betreiben Menschen schon seit Jahrtausenden. In vielen vergangenen und modernen Kulturen haben Tattoos, Piercings, Narben oder Lippenteller kulturelle Signifikanz und sollen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe signalisieren.

Laut einer neuen Studie könnte dieser Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit auch die Körpermodifikationen erklären, die in den letzten Jahren bei Überresten von Wikingern festgestellt wurden – darunter gefeilte Zähne und sogenannte Turmschädel, bei denen der Kopf in eine Kegelform gebracht wurde. 

Deutliche Einkerbungen in den Vorderzähnen 

In seiner Studie hat das Team zunächst die Überreste von 130 männlichen Wikingern untersucht, deren Zähne absichtlich zugefügte Veränderungen aufweisen. Die meisten von ihnen stammen von der schwedischen Insel Gotland und hatten in ihre Schneidezähne horizontale Riefen gefeilt.

Eingekerbte horizontale Rillen in den Vorderzähnen waren bei männlichen Wikingern keine Seltenheit.

Foto von Stefan Lovgren / The British Museum

Die Studienautoren vermuten, dass hinter diesen Markierungen Zeichen für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe steckten – möglicherweise zu einer Gruppe von Händlern, die im Raum Gotland und dem schwedischen Festland aktiv waren. Dafür spricht einerseits die Tatsache, dass die Zahmarkierungen bisher nur bei den Überresten von männlichen Wikingern gefunden wurden. Andererseits sind die Orte, an denen die Wikinger begraben wurden, im 11. und 12. Jahrhundert allesamt wichtige Handelszentren gewesen, darunter Kopparsvik und Slite auf Gotland und Sigtuna und Birka auf Schwedens Festland. 

„Nach dem aktuellen Forschungsstand ist anzunehmen, dass die Feilungen Schiffsgemeinschaften oder Handelsverbände, ähnlich späterer Gilden, kennzeichneten“, heißt es von Seiten des Wikingermuseums Haithabu, dessen Leiter Matthias Toplak an der Studie maßgeblich beteiligt war. 

Die Studienautoren glauben, dass die Markierungen beim Eintritt in eine solche Gruppierung als Initiationsritual in die Zähne geritzt wurden und dann als Identifikationsmerkmal dienten. Das würde dadurch deutlich, dass die Modifikation nicht sofort für alle ersichtlich war, sondern nur bei Bedarf gezeigt werden konnte. „Trotz ihrer Dauerhaftigkeit konnte die Körpermodifikation verdeckt werden, was ihr eine gewisse Exklusivität in Bezug auf ihren kommunikativen Aspekt verlieh“, heißt es in der Studie.

BELIEBT

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    Turmschädel als extremere Modifikation 

    Neben den 130 männlichen Wikingern untersuchten die Forschenden auch mehrere Überreste von Frauen aus jener Zeit, deren Körper ebenfalls Veränderungen aufwiesen. Dabei lag der Fokus auf drei Individuen, die ebenfalls aus Fundstellen auf Gotland stammen und Turmschädel hatten. Diese Art der Körpermodifikation wurde im Gegensatz zu den gefeilten Zähnen noch nicht besonders häufig nachgewiesen und ist bislang auch weniger stark untersucht worden. Sie kommt außerdem nicht nur bei Wikingern vor, sondern wurde bereits bei mehreren Individuen aus anderen, älteren Kulturen festgestellt.

    „Der Brauch der Schädelmodifikation hat seinen Ursprung wahrscheinlich in Südosteuropa“, heißt es in der Studie. Unklar ist bis heute, welchen Zweck sie konkret erfüllte. Im Falle der drei Wikingerfrauen vermuten die Forschenden, dass ihre Turmschädel jeweils während des ersten Lebensjahres auf dem Festland modifiziert wurden und die Frauen dann erst nach Gotland kamen. Möglich ist, dass die Schädel generell Schönheitsideal oder ein Zeichen des sozialen Status waren. Oder – wie im Fall der gefeilten Zähne – die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zeigen sollten.

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