Isotopen-Untersuchungen: Was Zähne und Knochen über Leben und Tod verraten

Dinosaurier wanderten durch Flusstäler, Neandertaler genossen Nashörner, König Richard III. aß Schwäne. All das lässt sich mit Hilfe von winzigen chemischen Bausteinen, sogenannten Isotopen, ermitteln.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 7. März 2024, 08:24 MEZ
Die Gebeine von König Richard III. bei der Ausgrabung im September 2012 in Leicester

Die Gebeine von König Richard III. bei der Ausgrabung im September 2012 in Leicester

Foto von Richard Buckley, Mathew Morris, Jo Appleby, Turi King, Deirdre O'Sullivan, Lin Foxhall, ‘The king in the car park’, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons

Unser Lebenslauf steckt in den Zähnen. Sie verraten, wo wir aufwuchsen und wohin es uns später verschlug. Sie geben Aufschluss über unsere Ernährungsweise und unseren Lebensstil. Stillkind oder Flaschenbaby? Biertrinkerin oder Weinliebhaber? Fleischesserin oder Vegetarier? All das lässt sich anhand von winzigen Zahn- und auch Knochenproben ablesen. 

Möglich machen das die sogenannten Isotope. Dabei handelt es sich um Atome desselben Elements, die sich in der Anzahl ihrer Neutronen unterscheiden. Oder vereinfacht gesagt: in ihrer Masse, also dem Gewicht. Menschen und Tiere nehmen sie von Geburt an über Nahrung, Luft und Wasser auf. Sie lagern sich dauerhaft in Knochen und Zähnen ein.

Die Zusammensetzung der Isotope unterscheidet sich je nach Nahrungsangebot und Klimasituation. Dadurch gibt sie Auskunft über Lebensraum, Ernährungsweise und Umweltbedingungen. Die Häufigkeit von schweren und leichten Varianten von Kohlenstoff und Sauerstoff liefert zum Beispiel Hinweise auf das Klima. Mit einem Massenspektrometer lässt sich all das bestimmen.

Isotopenanalysen kommen oft in der Umweltwissenschaft, Geologie, Biologie und Lebensmittelchemie zum Einsatz. Auch die moderne Kriminalistik nutzt sie, um beispielsweise die Herkunft unbekannter Toter zu ermitteln.

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Blick in die Urzeit: Was der Zahnschmelz über Dinosaurier verrät

Verblüffende Erkenntnisse liefert die Methode auch in der Paläontologie. Zum Beispiel, wenn Forschende auf fossilen Zahnschmelz von Dinosauriern stoßen. Der Grund: Die sogenannten Isotopensignaturen sind darin bis heute gespeichert. Auf diese Weise kann die Wissenschaft direkt in die Urzeit blicken.

Einem Team des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt gelang es beispielsweise, die Wanderungen von Dinosauriern mithilfe von Isotopenuntersuchungen zu rekonstruieren. Als Beweisstück diente das fossile Kieferfragment eines Edmontosaurus, eines großen Pflanzenfressers, der vor rund 66 Millionen Jahren im heutigen US-Staat Wyoming lebte.

„Hartsubstanzen wie Zähne haben auch über sehr lange Zeiträume einen hohen Erhaltungsgrad“, erklärt Senckenberg-Direktor Andreas Mulch. „Ihre Zusammensetzung speichert Informationen darüber, was der Organismus an Wasser und Nahrung aufgenommen hat – sogar, ob dies an einem Tümpel, einem Fluss oder im Brackwasser geschah.“ So fanden die Frankfurter Paläontologen heraus, dass Edmontosaurus-Herden auf der Suche nach Futter an Flusstälern entlangwanderten.

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    Neandertaler: Fleischesser oder Vegetarier?

    Ein Senckenberg-Team aus Tübingen machte eine andere überraschende Entdeckung. Mit Hilfe von Isotopenanalysen konnte die Crew um den Biogeologen Hervé Bocherens ein neues Licht auf die Ernährungsgewohnheiten von Neandertalern werfen.

    An zwei Fundorten in Belgien hatten die Forschenden frühmenschliche Knochen aufgespürt. In unmittelbarer Nähe lagen die Überreste von Mammuts, Wollnashörnern, Wildpferden, Wisenten, Höhlenhyänen, Bären, Löwen und anderen Tieren.

    Die Isotopenuntersuchungen von menschlichen und tierischen Knochen zeigten: Die Neandertaler am Fundort hatten sich überwiegend von großen Pflanzenfressern wie Mammuts und Nashörnern ernährt. Etwa 20 Prozent ihrer Nahrung bestand aus pflanzlicher Kost.

    Die tierischen Fleischfresser, darunter Bären und Löwen, hatten hingegen vergleichsweise kleinere Säugetiere wie Rentiere oder Wildpferde erbeutet. „Früher ist man davon ausgegangen, dass die Neandertaler dieselben Nahrungsquellen wie ihre tierischen Nachbarn nutzten“, erklärt Bocherens. 

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    König Richard III. genoss Schwäne und Wein

    Nicht weniger spektakulär waren die Erkenntnisse, die eine Isotopenuntersuchung der Gebeine von König Richard III. von England brachte, der immerhin schon 1485 verstorben war. Dabei offenbarte sich: Mit zunehmendem Alter entwickelte der Monarch eine Vorliebe für gutes Essen und Trinken. Nicht zuletzt Wein und Schwäne waren ihm eine Wonne.

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