Ritualmorde aus der Steinzeit aufgedeckt

Ein französisches Forschungsteam hat nachgewiesen, dass in der Steinzeit in ganz Europa ähnliche Morde stattgefunden haben. Die Methode war besonders grausam – und ist heute noch bei der italienischen Mafia bekannt.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 16. Apr. 2024, 09:39 MESZ
Ein illustriertes Skelett liegt auf dem Bauch mit hinter dem Rücken zusammengebundenen Händen.

Illustration einer der grausamen Mordmethoden, die in der Jungsteinzeit angewandt wurden: die Praxis des incaprettamento.

Foto von Nicolas Senegas

In der italienischen Mafia wird bis heute eine extrem schmerzvolle Methode zur Tötung von Menschen angewendet: incaprettamento, zu Deutsch „Fesslung, die zur Selbsterdrosselung führt“. Bei der Methode werden die Personen bäuchlings mit den Händen hinter dem Rücken fixiert, wobei die Knöchel mit einem Seil mit dem Hals verbunden werden. Durch die angewinkelte Position der Beine ist die Selbststrangulation unvermeidlich – und tritt verhältnismäßig schnell ein.

Neu ist diese Methode jedoch nicht. Ein französisches Forschungsteam konnte nun nachweisen, dass diese Art der Fesselung schon in der Steinzeit verbreitet, war. Die Studie der Forschenden erschien im Fachmagazin Science Advances und zeigt: Vor Tausenden von Jahren wurden in verschiedenen Orten Europas Menschen Opfer des grausamen Ritualmords.

Ritualmord in ganz Europa verbreitet

Einer der ersten Fälle von incaprettamento, auf den das Team stieß, hat sich um etwa 3500 v. Chr. in Saint-Paul-Trois-Châteaux im Rhonetal in Frankreich ereignet. An der Fundstätte wurden bereits vor über 20 Jahren mehrere steinzeitliche Gruben entdeckt, in denen teilweise auch menschliche Überreste begraben waren. In einer dieser Gruben fanden die Forschenden die Überreste dreier Frauen, von denen zwei in der Position des incaprettamento starben. 

Die Überreste der drei Frauen im Grab.

Foto von A. Beeching

Um zu testen, ob diese Art der Tötung weiter verbreitet war, untersuchte das Team nach seiner Entdeckung bereits ausgegrabene Fundorte, an denen Menschen in auffälligen Positionen beerdigt wurden. Laut der Studie identifizierten sie dabei „20 Fälle aus einem Zeitraum von fast 2.000 Jahren, von Osteuropa bis Katalonien“, bei denen Menschen auf diese Art und Weise gestorben sind. Die Frauen aus dem Rhonetal sind also kein Einzelfall.

Die älteste Fundstelle stammt aus der Zeit zwischen 5400 bis 4800 v. Chr. und liegt in der Tschechischen Republik. Dort wurde damals ein etwa 50 Jahre alter Mann in die tödliche Position gebracht, bevor er begraben wurde. Ein weiteres Opfer stammt aus einer nahegelegenen Fundstätte, die nur wenige Jahre jünger ist: Dort lag eine Frau begraben, die bei ihrem Tod etwa 20 bis 29 Jahre alt war und ebenfalls eindeutig durch die incaprettamento-Methode starb.

Auch in Deutschland starben in der Steinzeit laut der Studie mehrere Menschen auf diese Weise. In mindestens drei Fällen – zwei in Bayern, einem in Sachsen-Anhalt – wurden Personen nachweislich in der Position des incaprettamento begraben.

BELIEBT

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    Ritueller Hintergrund?

    Welche Motivation hinter den Morden steckt, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Forschenden vermuten allerdings, dass zumindest einige der Morde als Opfergabe gedacht waren. Die Grube, in der die Frauen aus dem Rhonetal begraben wurden, ist beispielsweise Teil eines Komplexes, der baulich nach der Winter- und Sonnenwende ausgerichtet ist. Die Forschenden gehen von einem spirituellen Ort aus, an dem die Frauen aus Hoffnung auf eine gute Ernte geopfert wurden. Ritualmorde aus diesem Grund sind aus der Steinzeit bereits bekannt, was ebenfalls für die Theorie spricht.

    Eric Crubézy, Anthropologe und Mitautor der Studie, erklärt, dass die Opferung von Menschen mithilfe der incaprettamento-Methode in jedem Fall einen besonderen Stellenwert gehabt haben muss. „Das Ritual ist sehr speziell. Es ist nicht blutig und im Endeffekt bringen die Menschen sich dabei selbst um“, sagt er. Welche Signifikanz die Opfer und die Mordmethode konkret in den einzelnen Situation hatten, müsse aber noch untersucht werden. Das, so der Anthropologe, sei aber nur mit einem größeren Pool an Daten möglich.

    Diesen wird es vermutlich bald geben: „Ich bin mir sicher, dass in den nächsten Jahren weitere Fälle dieser Art gefunden werden“, sagt Crubézy.

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