Wie lebten die Awaren?

Forschende haben Stammbäume der Awaren über neun Generationen hinweg rekonstruiert und neue Hinweise zum Zusammenleben des Reitervolks gefunden.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 6. Mai 2024, 10:38 MESZ
Goldfigur der Awaren

Goldfigur der Awaren aus der Ausgrabung in Rákóczifalva, Ungarn.

Foto von Institute of Archaeological Sciences, Eötvös Loránd University

Im Frühmittelalter herrschten sie 250 Jahre lang über ein Steppenreich mit dem Schwerpunkt in der Pannonischen Tiefebene: Das Reitervolk der Awaren kam im 6. Jahrhundert aus Zentralasien nach Zentraleuropa. Bis heute entdeckt man Spuren ihrer Herrschaftszeit – in Form von Grabbeigaben und Überresten aus über 100.000 Gräbern.

Nun konnte ein internationales Forschungsteam die Lebensweise des Steppenvolkes rekonstruieren. Im Rahmen des EU-Forschungsprojekts HistoGenes veröffentlichten die Forschenden eine Studie in der Zeitschrift Nature, in der sie die Familienbeziehungen und das Verhältnis von Frauen und Männern bei den Awaren über neun Generationen hinweg analysieren konnten.

Männer bleiben, Frauen gehen: Wie funktionierte die Gemeinschaft der Awaren?

Um die Lebensweise der Awaren zu rekonstruieren, erstellten die Forschenden zunächst detaillierte Familienstammbäume auf Grundlage von DNA-Analysen der Überreste von 424 Individuen. Sie stammen von insgesamt vier verschiedenen Gräberfeldern der Awaren aus dem heutigen Ungarn. Die Ergebnisse ihrer Analysen verknüpften die Archäolog*innen mit archäologischen, anthropologischen und historischen Befunden. „Durch die Kombination mit Ergebnissen aus anderen Disziplinen ergibt sich ein neues, viel detailreicheres Bild vom Leben in Mitteleuropa vor über 1.000 Jahren“, sagt Pohl.

Die daraus entstandenen Stammbäume zeigen: Männer des Awarenreichs blieben nach der Hochzeit in ihren Gemeinschaften, während die Frauen ihre Familien verlassen und in eine andere Gemeinschaft einheiraten mussten. „In gewisser Weise zeigt dieses Muster, dass die Rolle der Frauen darin bestand, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken, indem sie die einzelnen Gemeinschaften miteinander verbanden“, sagt die Archäogenetikerin Zuzana Hofmanová vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, eine Hauptautorin der Studie.

Gleichzeitig gilt die Praktik, die auch Exogamie genannt wird, allerdings auch als einer der Faktoren, die die Stellung und Macht der Frau innerhalb einer Gemeinschaft schwächen. Denn: Wenn Frauen ihre Familie verlassen, verlieren sie ihre bekannte Struktur und Unterstützung, während Männer durch ihr Bleiben ihre Netzwerke vertiefen können. Damit begünstigt Exogamie die Etablierung des Patriarchats.

Rekonstruktion des Lebens in Mitteleuropa vor 1.000 Jahren

Die Analysen erzählen noch weitaus mehr: „Es finden sich zum Beispiel genetische Hinweise darauf, dass Frauen regelmäßig Kinder von mehreren miteinander verwandten Männern bekommen haben“, sagt Studienleiter Pohl. Diese Praxis nennt sich Leviratsehe. Dass die Awaren dabei darauf achteten, dass die Frauen und Männer nicht blutsverwandt waren, lässt darauf schließen, dass sie ein detailliertes Gedächtnis der Abstammung über Generationen hinweg aufrechterhalten haben müssen. 

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