Fußballgott am Fanaltar: Ist Fußball eine Religion?
Vielen Fans ist ihr Verein heilig. Tatsächlich haben Religion und Fußball einiges gemeinsam.
Der erste deutsche Fußballgott: Torwart Toni Turek im WM-Finale 1954 gegen Ungarn
„Turek, du bist ein Teufelskerl. Turek, du bist ein Fußballgott!“ Die euphorischen Worte von Radioreporter Herbert Zimmermann sind unvergessen. Es ist der 4. Juli 1954. Mit seinen Glanzparaden hat Nationaltorwart Toni Turek die gegnerischen Ungarn im WM-Finale schier verzweifeln lassen. Nach 90 Minuten ist das Wunder von Bern perfekt: Deutschland ist Weltmeister und Toni Turek der erste deutsche Fußballgott.
Mittlerweile gibt es viele Fußballgötter in Deutschland. Den früheren Abwehrspieler Jürgen Kohler und Ex-Stürmer Alex Meier zum Beispiel. Oder Flankengott Manni Kaltz. Obwohl sie längst keine Profis mehr sind, werden sie von ihrer Fangemeinde bis heute gefeiert. Götter sterben nicht. Und dann gibt es auch noch den Fußballgott im Himmel, der immer reingrätschen muss, wenn die vermeintlichen Heilsbringer auf dem Platz patzen.
„Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“, heißt es zwar in den Zehn Geboten. Dass Religion und Fußball allerdings viele Gemeinsamkeiten haben, sehen sogar kirchliche Würdenträger so. „Fußball ist für viele Menschen eine Religion“, sagte der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki der Bild Zeitung anlässlich der Fußball-EM 2016.
Galerie: Die Liebe zum Fußball in Bildern
Wenn das Stadion zur Kathedrale wird
Fußball steckt voll von religiösen Anspielungen, Symbolen und Ritualen. In einen Glauben wird man meist hineingeboren. Auch den Verein kann man sich nicht aussuchen, heißt es. Zu Hause wird das Fanzimmer mit Fahnen, Wimpeln und Bildern zum Altar. Und wenn die Fußballjünger am Wochenende zur Spielstätte pilgern, ihre feierlichen Gesänge anstimmen und die Spieler wie in einer Prozession den heiligen Rasen betreten, wird das Stadion zur Kathedrale.
Die Gesellschaftswissenschaften haben viele Parallelen zwischen Religion und Fußball entdeckt. Einige Forschende bezeichnen das Fantum als Ersatzreligion oder Religionsersatz. Gleicht die Liebe zum Verein der Liebe zu Gott? Tatsächlich scheint vielen Fans ihr Verein heilig zu sein. Sie richten ihr Leben ähnlich strikt nach den Spieltagen aus wie Strenggläubige das ihre nach den Feiertagen.
Aus soziologischer Sicht erfüllen Religion und Fußball zum Teil dieselben Funktionen. Sie befriedigen das Bedürfnis nach Gruppenzugehörigkeit, geben Halt, ritualisieren den Alltag und regulieren Emotionen, erklärt Soziologe Mike S. Schäfer. Es geht um Sinnstiftung, Gemeinschaft und Orientierung. Aber auch um Freude und Schmerz, Leiden und Erlösung.
Fanaltar für Diego Maradona in Neapel. Der argentinische Fußballer wurde weltweit fast wie ein Heiliger verehrt. Als er bei der WM 1986 ein irreguläres Tor mit der Hand erzielte, sagte er, es sei die "Hand Gottes" gewesen.
Gemeinsamkeiten zwischen Religion und Fußball
Dabei helfen Symbole, Rituale und ein fester Wertekodex. Schals und Trikots werden wie Reliquien verehrt. Kreuz und Vereinsemblem signalisieren Treue und Verbundenheit. Liturgie und Choreografie stärken das Gemeinschaftsgefühl am „geweihten Ort“. Ohnehin sind Kirche und Stadion spezielle Begegnungsstätten. Sie sind in der Regel nur zu bestimmten Zeiten für besondere Handlungen zugänglich.
Was Religion und Fantum eint, ist also der Wunsch nach Sinn und Magie, nach Identität und Struktur, nach einer Auszeit aus dem Alltag. Damit können sich beide Sphären sogar in ihren Funktionen ersetzen.
Fußball als Religion? So weit will Schäfer aber nicht gehen. „Fußball will und kann das Leben in seiner Gesamtheit nicht erklären“, sagt er. Universelle Vergebung, endgültige Erlösung und die Verheißung auf ein Leben nach dem Tod: All das findet die Fangemeinde nicht auf dem Platz.
Gemeinsam zwischen Abseits und Jenseits
Wie nah sich Abseits und Jenseits aber dennoch sein können, zeigt sich Jahr für Jahr zum Saisonauftakt der Fußballbundesliga in Köln. Hunderte Anhänger des 1. FC Köln versammeln sich dann zum gemeinsamen Gesang und Gebet. Vereint im festen Glauben, dass ihr FC es diesmal besser macht als in der vergangenen Spielzeit.
Wo die bombastische Feier stattfindet? Natürlich im Kölner Dom. Dann singen Fans im Trikot gemeinsam mit Kirchenvertretern im Habit ihre Vereinshymne zu den Klängen der Kirchenorgel: „Mer stonn zo dir, FC Kölle.“