Was Tortellini mit einer Göttin zu tun haben und Dumplings mit Frostbeulen
Die Legenden um die Entstehung von Teigtaschen sind teilweise grotesk, aber durchaus unterhaltsam. Eine kulinarische Reise durch die Geschichte von Pelmeni, Jiaozi und Co.
Sprichwörtlich göttlich: Die Erfindung von Tortellini soll in Verbindung mit der Liebesgöttin Venus stehen – so lautet eine Geschichte von vielen.
Ob in Tokio oder Tübingen, in Bologna oder Beijing: Wenn die Menschheit beim Kochen eins verbindet, dann, dass sie Teig gerne ausrollt und zu kleinen, gefüllten Täschchen formt. Mal als Halbmond, mal als Säckchen, mal mit Fleisch und Kräutern gefüllt, mal mit Ricotta und Spinat. Gemeinsam haben alle Varianten der Teigtasche: Sie schmecken (den meisten Menschen) richtig gut – ein Grund, warum sie in vielen Ländern seit Jahrhunderten zur Küche gehören.
Die Geschichte der Teigtaschen und gefüllten Nudeln reicht in die Antike zurück. Doch, so viel sei hier bereits verraten, ganz genau kann man ihre Ursprünge heute nicht mehr zurückverfolgen.
Jiaozi – Teigtaschen im alten China
Asien ist bis heute eine Teigtaschen-Hochburg. Die chinesischen Varianten werden international oft als Dumplings bezeichnet. Erste Formen dieser Dumplings sollen im alten China während des „goldenen Zeitalters“ der Han-Dynastie (206 vor Christus bis 220 nach Christus) aufgetaucht sein.
Eine Legende aus China lautet: Ein Arzt namens Zhang Zhongjing, geboren Mitte des 2. Jahrhunderts, soll die Teigtaschen erfunden haben, um in einem besonders harten Winter Erfrierungen an den Ohren zu behandeln. Die mit Lammfleisch, Chili und Kräutern zubereitete Mahlzeit wurden wie Ohren geformt und heiß zum Verzehr serviert, um die durch Kälte verursachten Schmerzen zu lindern.
Die Legende basiert auf Überlieferungen und späteren Aufzeichnungen, die Zhang Zhongjing als eine historisch bedeutende Figur in der traditionellen chinesischen Medizin verewigen. Wie viel an der Dumpling-Geschichte dran ist, bleibt offen. Die Popularität von Dumplings im Alten China ist jedoch archäologisch belegt: Forschende haben bei Ausgrabungen auf den Astana-Friedhöfen in Turpan weit über 1.000 Jahre alte Überreste der Speise gefunden. Die Astana-Gräber sind für ihre außergewöhnlich gut erhaltenen Mumien und Grabbeigaben bekannt. In einer Studie untersuchten die Wissenschaftler*innen einen Dumpling, der auf einen Zeitraum zwischen 499 und 640 nach Christus datiert wurde. Nachlesen, dass Teigtaschen in diesem Zeitraum während der Südlichen und Nördlichen Dynastien (420 bis 581 nach Christus) sehr beliebt waren, kann man in historischen Aufzeichnungen.
Heute werden Jiaozi entweder gedämpft, gekocht oder gebraten serviert. Besonders beliebt sind sie während des chinesischen Neujahrsfestes, da sie traditionell Glück und Geldsegen symbolisieren.
Manti – auf der Seidenstraße
Besonders frühe (und bis heute gängige) Varianten der Teigtaschen sind auch Manti. Ihre Ursprünge gehen vermutlich auf nomadische Völker Zentralasiens zurück, die sie auch aus ganz praktischen Gründen zubereiteten: In Teig eingehüllt sollten nahrhafte Mahlzeiten besser transportiert werden können. Später brachten Händler, die auf der Seidenstraße zwischen Europa und Asien reisten, nicht nur Waren, sondern auch alte kulinarische Traditionen in neue Regionen.
So entwickelten sich verschiedene Varianten. Heute gibt es türkische, armenische, usbekische und kasachische Manti. In der Türkei werden sie oft in Tomatensauce serviert, während sie in Usbekistan und Kasachstan größer und schlichter zubereitet werden.
Italienlische Tortellini – inspiriert von einem Bauchnabel?
Wer etwas über die Ursprünge der italienischen Teigtaschen Tortellini erfahren möchte, kommt am Reich der Götter nicht vorbei. Genauer: am Bauchnabel der Göttin Venus. Dieser soll die Inspiration für die gefüllte Pasta gewesen sein, das besagt eine alte Legende. Venus sei in ein Wirtshaus in Bologna eingekehrt, um Jupiter zu treffen oder um einem Fest beizuwohnen – je nach Variante der Legende. Während ihres Besuchs soll der Koch des Hauses einen Blick durch das Schlüsselloch ihres Gemachs gewagt haben. Sein Blick sei auf ihren außergewöhnlich schönen Bauchnabel gefallen – der ihn so verzauberte, dass er die Nudelspeise kreierte. Noch heute gibt es in Bologna eine Statue, die an diese Geschichte erinnert.
Weiter beansprucht auch die Stadt Modena die Erfindung der Tortellini für sich. Dort gibt es die gleiche Legende wie in Bologna, nur mit der Renaissancefürstin Lucrezia Borgia, der unehelichen Tochter des Papstes, anstatt einer Göttin.
Im Sommer 2024 hat sich ein Forschungsteam aus Italien und Österreich in einer Studie mit der „evolution of the Italian pasta ripiena“ beschäftigt. In diesem Zuge wurde sogar der wahrscheinlich erste Stammbaum der Teigtaschen erstellt. Sie wurde im Fachmagazin Discover Food veröffentlicht. „Ich habe durch die Arbeit an dieser Studie sehr viel gelernt“, sagt Studienautor Vazrick Nazari, Evolutionsbiologe von der Uni Padua. „Zum Beispiel, dass es gefüllte Pasta gibt, die so groß ist wie ein Dachziegel – Tortelli alla lastra. Und, dass es in Italien Bruderschaften gibt, die gegründet wurden, um zu verhindern, dass bestimmte Arten gefüllter Pasta in Vergessenheit geraten.“
Die Idee für diese Forschung sei ihm und seinen Laborkolleg*innen beim Mittagessen gekommen. Untersucht und verglichen wurden 37 Variationen, darunter viele italienische Rezepte und lokale Spezialitäten wie die sardischen Culurgiones, aber auch chinesische Wan Tan, Pelmeni, Gyoza und andere Varianten aus Europa und Asien. Ziel war es jedoch, den Ursprung der italienischen Teigtaschen zu erkunden.
In einer Studie wurde dieser Stammbaum der Teigtaschen erstellt. Das Forschungsteam untersuchte 37 Varianten auf ihren „Verwandheitsgrad“ mit Methoden, die man sonst bei Stammbäumen für Menschen anwendet.
Das Fazit: Alle italienischen Varianten haben ihren Ursprung in Norditalien. Eine Antwort auf den Streit zwischen Bologna und Modena jedoch liefert die Studie nicht. Dafür eine andere: Nach Angaben der Forschenden sind Ravioli die älteste historisch dokumentierte gefüllte Pasta in Italien. So soll sich zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert nach Christus ein Siedler aus Savona bereit erklärt haben, seinem Herrn während der Weinlese ein Mittagessen für drei Personen zu servieren – bestehend aus Brot, Wein, Fleisch und Ravioli. Nazari: „Allerdings könnte die genaue Zubereitung des Gerichts damals ganz anders gewesen sein, als wir es heute kennen.“
Wo genau der Ursprung der weltweit ersten Teigtasche liegt, wollten jedoch auch die Studienautor*innen nicht beantworten – sie beschäftigten sich lieber erstmal mit Italien. „Wissenschaftlichen Theorien mangelt es noch an soliden empirischen Beweisen“, sagt Nazari.
Maultaschen – Teigtaschen made in Germany
Maultaschen haben, fernab von wissenschaftlichen Untersuchungen, ebenfalls eine interessante Geschichte – glaubt man den Überlieferungen. Die traditionellen Teigtaschen aus Schwaben werden auch als „schwäbische Ravioli“ bezeichnet. Die klassische Füllung besteht aus Fleisch, Spinat, Zwiebeln und Gewürzen.
Die wahrscheinlichste Geschichte ihrer Entstehung geht auf die Mönche des Klosters Maulbronn zurück. Sie sollen während der Fastenzeit ein großes Stück Fleisch erhalten haben, das sie genießen wollten, ohne Anstoß zu erregen. Deshalb hackten sie es klein und mischten es mit Kräutern und Spinat, um den Eindruck eines fleischlosen Mahles zu erwecken. So sollte der wahre Inhalt vor Gott (und wohl auch anderen Mitmenschen) verborgen werden, was den Taschen den Beinamen Herrgottsb'scheißerle einbrachte.
Heute bräuchte sich die Maultasche nicht mehr vor Gott zu verstecken. Es gibt viele vegetarische Varianten – und die werden auch vermehrt gegessen, wie man beim Maultaschenanbieter Bürger erfährt: Der Anteil der fleischlosen Varianten am Verkauf liegt bei 22 Prozent. 2011 waren es noch 10 Prozent.