Die Magie der Karten: Warum Tarot seit Jahrhunderten so beliebt ist

Viele junge Menschen lassen sich zum neuen Jahr die Karten legen. Neu ist Tarot allerdings nicht. Seit der Renaissance lieben die Menschen die Karten, die vermeintlich die Zukunft vorhersagen.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 30. Dez. 2024, 15:26 MEZ
Verschiedene Tarotkarten auf einem Tisch, eine Hand hält die Karte "Die Sonne" in die Kamera.

Was sagen die Karten? Tarot ist gerade zum Jahresbeginn beliebt. 

Foto von Petr Sidorov / Unsplash

Steht die Zukunft unter einem guten Stern? Und wie steht es um meine Beziehung? Bei solchen Angelegenheiten befragen vor allem junge Menschen heute gerne Horoskope oder Tarotkarten. Seit einigen Jahren trenden Astrologie und Kartenlegen auf Instagram, TikTok und in Freundeskreisen. Tarotkarten sollen zum Beispiel dabei helfen, Ereignisse einzuordnen und Entscheidungen zu treffen – oder Wege für die Zukunft aufzeigen. Der Clou: Den meisten Anwender*innen ist bewusst, dass Tarot keine Wissenschaft ist. Hilfreich finden sie die Karten trotzdem.

Der neuste Trend hält sich seit etwa 2017. „Hex, hex als Hipstertrend“ titelte Deutschlandfunk damals und ging auf Tarot als neuesten Einfluss im Mode- und Lifestyle-Bereich ein. Bis heute ist dieser Trend nicht abgeflaut. Warum Tarot gerade wieder so beliebt ist, weiß Dr. Lea Sperlich, Sozialpsychologin an der Universität zu Köln: „In den letzten Jahren hatten wir es mit vielen Krisen zu tun. Erst die Corona-Epidemie, dann der Angriffskrieg auf die Ukraine – und natürlich die Klimakatastrophe“, sagt sie. „Das kann Angst vor der Zukunft machen und zu Unsicherheiten führen.“ Tarotkarten würden manchen helfen, besser damit klarzukommen: Laut Sperlich suggerieren sie vermeintliche Kontrolle in einer unkontrollierbar erscheinenden Welt. Gleichzeitig könnten sie als einfache Antworten auf komplexe Fragen dienen.

Zwar sind Tarotkarten heute als vermeintliches Fenster in die Zukunft bekannt. Um zu verstehen, warum sie seit Jahrhunderten so beliebt sind, lohnt sich aber ein Blick in die Vergangenheit. Zu seiner Entstehungszeit hatte das Kartenset, das heute aus 78 Spielkarten besteht, noch nichts mit Esoterik zu tun. Es wurde ausschließlich zum Spielen verwendet.

Erste Tarotkarten kommen aus Italien

Drei Holzfiguren für Brettspiele.

Laut der Historikerin Helen Farley stammen die ältesten erhaltenen Tarotdecks aus Norditalien und werden auf die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert. Ungefähr zu dieser Zeit begann am selben Ort wahrscheinlich auch die Geschichte des Tarot. In ihrem Buch A Cultural History of Tarot: From Entertainment to Esotericism (zu Deutsch etwa: Eine Kulturgeschichte des Tarot: Von der Unterhaltung zur Esoterik) schreibt Farley, dass es gleich mehrere Entstehungstheorien gibt. Die wahrscheinlichste: Herzog Filippo Maria Visconti aus Mailand erfand einen Vorläufer der heutigen Tarotkarten – vermutlich zwischen 1414 und 1418.

Dieses erste Tarotdeck bestand laut einem Brief aus dem Jahr 1449 vermutlich aus weniger Karten als die heutigen, die genaue Anzahl ist allerdings nicht bekannt. Bemalt wurden sie von dem berühmten italienischen Maler Michelino da Besozzo. Das originale Kartendeck ist heute nicht mehr erhalten, allerdings nehmen Historiker*innen an, dass es unter anderem 16 griechische Gottheiten – von Apollo bis Venus – gezeigt haben muss, aufgeteilt in die vier Ordnungen Tugenden, Reichtümer, Vergnügen und Jungfräulichkeiten. 

Vom Kartenspiel zur Wahrsagerei 

Bereits im Jahr 1449 soll das Deck von einem Italiener auf 78 Karten erweitert worden sein, um es spielkompatibel zu machen. Die sogenannten Visconti-Sforza-Trionfikarten, die Nachfolgekarten der ersten Tarotdecks, enthielten daraufhin schon viele der heute bekannten Karten – darunter den Magier, die Herrscherin und die Hohepriesterin. Das Kartenset erfreute sich großer Beliebtheit und verbreitete sich rasch über die Grenzen Italiens hinaus. Vermutlich lag es in der Renaissance so im Trend, weil es relevante gesellschaftliche Themen widerspiegelte. Zum Beispiel die Beschäftigung mit dem Tod in Zeiten von Kriegen und Epidemien sowie die Bedeutung der Religion im Angesicht einer korrupten Kirche. Doch auch die Visconti-Sforza-Karten benutzte damals noch niemand, um in die Zukunft zu blicken. „Die Verwendung von Tarot zu Wahrsagezwecken wäre einer Zusammenarbeit mit dem Teufel gleichgekommen“, schreibt Farley. 

BELIEBT

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    Karte "Die Hohepriesterin" aus dem Visconti-Sforza-Tarotdeck.
    Karte "Die Hohepriesterin" aus dem Rider-Waite-Tarotdeck. 
    Links: Oben:

    Eine der ältesten erhaltenen Tarotkarten: die Hohepriesterin (auch: die Päpstin) aus dem Visconti-Sforza-Trionfideck. 

    Rechts: Unten:

    Das heute bekannte Gegenstück: die Hohepriesterin aus dem Rider-Waite-Tarotdeck. 

    bilder von Gemeinfrei / Wikimedia Commons

    200 Jahre lang blieb Tarot ein reines Kartenspiel. Erst im 18. Jahrhundert, durch den Aufschwung der Esoterik als Reaktion auf den Rationalismus der Aufklärung, bekamen die Karten eine ganz neue Bedeutung. Mit dem Wiederaufleben des Okkultismus wurde Tarot erstmals mit Esoterik, Ritualmagie und Wahrsagerei in Verbindung gebracht. Seinen Anfang nahm die Entwicklung in Frankreich: Eine esoterisch empfängliche Pariser Oberschicht entdeckte Tarotkarten wieder, nachdem diese in den meisten Teilen des Landes in Vergessenheit geraten waren. Da ihr ursprünglicher Kontext den Pariser*innen nicht bekannt war, wirkten die Renaissance-Darstellungen der Tarotkarten auf sie besonders exotisch. So wurden die einst harmlosen Spielkarten als Trägerinnen vergessener Weisheiten interpretiert. Antoine Court de Gébelin, ein protestantischer Pastor und Freimaurer, war der erste, der eine solche Verbindung herstellte. Die Neuinterpretation der Karten verbreitete sich daraufhin unter anderem bis nach England, Deutschland, Russland und Amerika. 

    Warum Menschen an Tarot glauben

    Bis heute sind die okkulten Symboliken und die vermeintliche Wahrsage-Funktion in verschiedenen Sets erhalten geblieben. Doch wie funktioniert die „Magie“ der Karten und weshalb glauben so viele Menschen an Tarot? Zum einen wegen des Placebo-Effekts, erklärt Sperlich. Dazu könne es kommen, wenn Menschen felsenfest von der Wirkung der Tarotkarten überzeugt sind. Zum anderen gebe es aber auch den sogenannten Barnum-Effekt: Dabei werden vage und allgemein gehaltene Aussagen, die viel Raum für Interpretationen lassen, als zutreffende Beschreibungen für sich selbst ausgelegt. „Das sind Aussagen wie ‘Du brauchst die Zuneigung und Bewunderung anderer, dabei neigst du zu Selbstkritik’. So einer Aussage würde vermutlich fast jede Person zustimmen“, sagt Sperlich. Mit Barnum-Statements würden nicht nur Tarotleger*innen und -bücher arbeiten, sondern auch Horoskope. 

    Hat Tarot Auswirkungen auf unser Wohlbefinden?

    “Tarot wird zum Beispiel dann gefährlich, wenn es zu einer Art Zwang wird.”

    von Dr. Lea Sperlich
    Sozialpsychologin, Universität Köln

    Welchen Einfluss die Karten tatsächlich auf unser Leben haben, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, da es wenig seriöse Forschung zu Tarot gibt. Es sei aber denkbar, dass das Kartenlegen zumindest kurzfristig einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden haben könnte, indem es Unsicherheiten reduziert, sagt Sperlich. Aber auch das Gegenteil könne der Fall sein: „Würde mir zum Beispiel mitgeteilt werden, ich solle mich in der nächsten Zeit in Acht nehmen, könnte das meine Unsicherheit auch verstärken.“ 

    Wer zu viel auf Tarot gibt und sich zu stark auf Vorhersagen verlässt, kann sogar Probleme bekommen – gesundheitlich, zwischenmenschlich oder finanziell. „Tarot wird zum Beispiel dann gefährlich, wenn es zu einer Art Zwang wird. Wenn ich also nicht mehr in der Lage bin, Entscheidungen zu treffen, ohne dafür die Karten zu befragen“, sagt Sperlich. „Oder wenn man sich die Karten legen lässt, anstatt professionelle Hilfe aufzusuchen, wenn es einem psychisch oder physisch schlecht geht.“ Und selbst wenn einem die Karten ein Gefühl von Kontrolle vermitteln: Lösen lassen sich die komplexen Probleme der Welt damit auch nicht, so Sperlich. 

    Sinnvoller sei es, sich zum Beispiel gemeinsam zu engagieren. „So fühlt man sich mit der momentanen Weltlage weniger alleine und droht nicht, in Verschwörungstheorien abzurutschen“, sagt die Psychologin. Die würden mit Esoterik nämlich teilweise Hand in Hand gehen.

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