5 legendäre Wikingerfrauen: Kriegerinnen und Herrscherinnen des Nordens
Den Wikingerinnen werden herausragende Leistungen nachgesagt. Mutig kämpften sie an der Seite der Männer – so zumindest ist es in den altnordischen Sagas überliefert. Das sind ihre berühmtesten Vertreterinnen.

Thyra Danebod lässt den Grundstein zum Danewerk legen. Illustration von Lorenz Frølich aus dem Jahr 1855, abgedruckt in Danmarkshistorie for Folket.
Sie waren kampferprobte Schildmaiden, weitsichtige Herrscherinnen und sogar Entdeckerinnen neuer Kontinente. In den nordischen Sagas tummeln sich legendäre Frauenfiguren. Doch haben diese Frauen wirklich gelebt? Und wie viel Wahrheit steckt in den altnordischen Erzählungen wie der Edda oder den Vinland-Sagas?
„Schwer zu sagen“, räumt Archäologin Dr. Michaela Helmbrecht ein. Sie hat sich auf die Wikingerzeit und bildliche Darstellungen der skandinavischen Frühgeschichte spezialisiert. Zwar gebe es unzählige archäologische Zeugnisse aus der Wikingerzeit – auch von Frauen – „aber wir können die Individuen, die wir über Grabfunde entdecken, nicht namentlich den Frauen aus den Sagas und anderen Schriftquellen zuordnen.“ Ein Blick auf die berühmtesten Wikingerfrauen aus den nordischen Erzählungen lohnt dennoch.
Lagertha, die Retterin von Ragnar Lothbrok
Lagertha ist eine Schildmaid, die in den letzten Jahren durch die Starz-Serie „Vikings“ Berühmtheit erlangte. Laut dem dänischen Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus (* um 1160; † nach 1216) lebte diese Frau im 9. Jahrhundert. Im neunten Buch der Gesta Danorum beschreibt er sie als erste Ehefrau des dänischen Wikingers und Königs Ragnar Lothbrok. Zweimal soll die tapfer kämpfende Lagertha im Laufe ihres Lebens Ragnars Lebensretterin gewesen sein und ihm in Schlachten und Auseinandersetzungen zum Sieg verholfen haben.
Dem Schreiber und Geistlichen nach waren die beiden ein Paar und hatten drei gemeinsame Kinder, doch Ragnar ließ Lagertha für Thora sitzen. Daraufhin heiratete Lagertha ein zweites Mal, brachte ihren zweiten Mann jedoch um, weil sie alleinige Herrscherin in ihrem Reich sein wollte.

Schwingendes Schwert und wallende blonde Mähne: Lagertha in einer Darstellung in The Northmen in Britain aus dem Jahr 1913.
Trotz ihrer zarten Figur soll sie eine herausragende Kämpferin gewesen sein. Ist das realistisch? „In den schriftlichen und bildlichen Überlieferungen der Wikingerzeit kommen immer wieder bewaffnete Frauen vor“, sagt Dr. Michaela Helmbrecht. Schenkt man Saxo Grammaticus Glauben, war Lagertha nicht die einzige Frau, die sich an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligte. Unter anderem berichtet er von der Bråvalla-Schlacht im achten Jahrhundert, bei der Frauen auf Seiten der Dänen gekämpft haben sollen. Die Geschichten von Saxo Grammaticus seien laut der Expertin allerdings mit Vorsicht zu genießen: „Saxo Grammaticus beschreibt vieles, was tatsächlich historisch ist, aber eben auch vieles, was schlicht nicht stattgefunden hat“, so Dr. Helmbrecht.
Forschende erkennen in der Figur der Lagertha Anleihen der Walküren oder der Göttin Thorgerd, die in vielen anderen altnordischen Sagas auftauchen. Steckt also doch nur Fiktion dahinter? Nicht zuletzt der berühmte Grabfund von Birka lässt zumindest die umstrittene Vermutung offen, dass auch Frauen Kämpferinnen gewesen sein könnten. Mittels DNA-Analysen wurde eindeutig nachgewiesen, dass es sich bei dem Krieger von Birka nicht um einen Mann, sondern – zumindest biologisch – um eine Frau handelte, die in Rüstung und mit Waffen beerdigt worden war. War sie also eine Kämpferin und eine große militärische Persönlichkeit, ebenso, wie es Lagertha nachgesagt wird? Die Meinung der Forschenden geht dazu auseinander, ebenso wie bei der Frage, ob Lagertha tatsächlich existiert hat. „Aber vielleicht ist sie auch genau deswegen so interessant“, meint Dr. Helmbrecht.
Thyra Danebod, Stammmutter und Herrscherin
Thyra Danebod (* um 880; † um 935) war Ehefrau von König Gorm dem Alten und spielte eine prägende Rolle in der dänischen Geschichte. Ihr Name wird auf mehreren Runensteinen erwähnt. Häufiger als ihr Mann, der lediglich auf einem einzigen Runenstein erwähnt wird – und zwar gemeinsam mit Thyra. Forschende der Universität Cambridge vermuten deshalb, dass Thyra einer edleren und älteren Familie als Gorm entstammte und womöglich eine wichtigere Rolle in den damaligen Machtstrukturen spielte, als bisher angenommen.

Auf Runensteinen wie diesem sind Teile von Thyras Lebensgeschichte verewigt.
Den verschiedenen in Stein gemeißelten Überlieferungen nach war Thyra eine weise und umsichtige Herrscherin. Ihre Geschichten dienten wiederum als Grundlage für mehrere Legenden, die erst Jahrhunderte später aufgeschrieben wurden: Um 1185 taucht die Wikingerkönigin Thyra erstmalig in der Chronik des dänischen Geschichtsschreibers Sven Aggesen auf. Saxo Grammaticus übernahm Teile dieser Legenden und verarbeitete sie in seinen eigenen Büchern. Demnach soll Thyra versucht haben, ihren Ehemann, König Gorm, zum Christentum zu bekehren. Angeblich soll Thyra auch den Ausbau des Danewerks, einer Grenzbefestigung und einem Bollwerk der Dänen gegen die fränkischen Mächte, vorangetrieben haben. Sie gilt als Stammmutter der Jelling-Dynastie und ist Vorfahrin der heutigen dänischen Königsfamilie. Daneben wird Thyra auch in der Jómsvíkinga saga erwähnt: Sie soll weitsichtig gehandelt, strategische Vorräte angelegt und so eine Hungersnot ihrer Untertanen verhindert haben.
Bekannter als Thyra ist ihr Sohn Harald Blauzahn, Namensgeber der weltweit genutzten Bluetooth-Technologie, die noch heute mit den Runen H und B symbolisiert wird. Thyras Sohn war der erste König von ganz Dänemark und Norwegen, was er auf einem außergewöhnlich großen Runenstein in seiner Festungsanlage in Jelling für die Nachwelt festhielt.
Freydís Eriksdottir, die furchterregende Siedlerin
Freydís wird in zwei Sagas erwähnt: der Eiríks saga rauða und der Grænlendinga saga. Sie soll die uneheliche Tochter des berühmten isländischen Herrschers Erik des Roten gewesen sein und lebte zusammen mit ihrem Mann auf Grönland. In der Grænlendinga saga wird sie als groß gewachsen und herrschsüchtig beschrieben.
Nach der Eiríks saga rauða soll Freydís in den Jahren 1007 bis 1009 an der ersten Expedition nach Nordamerika, damals von den Isländern als Vinland bezeichnet, teilgenommen haben. Dabei soll es zu Kämpfen mit den dort ansässigen Inuit gekommen sein. Als die Grönländer zu verlieren drohten, soll Freydís, obwohl sie schwanger war, das Schwert eines Toten an sich genommen, ihr Hemd aufgerissen und mit der Waffe gegen ihre nackten Brüste geschlagen haben, woraufhin die Inuit die Flucht ergriffen haben sollen.
Anders wird Freydís in der Grænlendinga saga dargestellt: So soll es bei der Expedition nach Vinland zu Konflikten zwischen Freydís und ihren Mitreisenden Helgi und Finnbogi gekommen sein. Freydís sann auf Rache. Zurück in Grönland stellte sie es ihrem Ehemann gegenüber so dar, als wäre sie misshandelt worden, woraufhin dieser Helgi, Finnbogi und ihre Anhänger töten ließ. Freydís selbst soll die Frauen in deren Gefolge mit einer Axt umgebracht haben.

Zu weltweiter Berühmtheit gelangte Freydís in den letzten Jahren: Die Figur spielt in der bekannten Netflix-Serie Vikings: Valhalla eine tragende Rolle.
Beweise, dass Freydís tatsächlich gelebt hat, gibt es bis heute nicht. „Bei einigen Sagas ist es ganz deutlich, dass sie vollkommen fiktiv sind. Andere wiederum beruhen offensichtlich auf historischen Begebenheiten. Wo die Grenze verläuft, ist heute schwer zu sagen“, erklärt Dr. Helmbrecht.
Selbst, wo genau Vinland verortet werden kann, ist umstritten. Archäologische Funde einer Besiedlung gibt es vor allem auf der kanadischen Baffininsel, in Labrador und Neufundland. „Man hat dort Siedlungen ausgegraben, die sehr stark an die Siedlungen und Torfhäuser in Grönland und Island erinnern“, sagt Dr. Helmbrecht. „L'Anse aux Meadows ist ein berühmtes Beispiel und inzwischen Weltkulturerbe. Was dort gefunden wurde, stimmt mit den Geschichten der Sagas überein. Dort heißt es, die Siedler waren nur ein paar Jahre dort und sind hin und her gefahren. Die Siedlung währte also nur kurz. Man sieht an den Häuserresten, dass sie nur einmal aufgebaut und nicht repariert wurden.“ Vielleicht war Freydís Eriksdottir ja tatsächlich unter eben jenen Siedler*innen.
Gudrid Thorbjarnardóttir, die Weltreisende
Ebenso wie Freydís wird Gudrid Thorbjarnardóttir (* um 980; † 1019) in den beiden Vinland-Sagas Eiríks saga rauða und der Grænlendinga saga erwähnt. Zudem auch im altisländischen Landnámabók. Angeblich war sie die Frau, die bereits 500 Jahre vor Christoph Columbus Amerika entdeckte. Anders als viele andere Wikingerfrauen gilt Gudrid heute als feministische Identifikationsfigur, die ihr Leben selbstbestimmt lebte, ohne kriegerisch oder gewalttätig zu sein.
Aufgewachsen in Island, verbrachte Gudrid einige Jahre mit ihrer Familie auf Grönland, heiratete mehrmals und begab sich mit ihrem Ehemann Þorfinnr karlsefni auf eine Expedition nach Vinland, wo sie laut Grænlendinga saga drei Jahre lebte und ihren gemeinsamen Sohn Snorri Þorfinnsson zur Welt brachte – das erste europäische Kind, das in den USA geboren wurde. Für die Anwesenheit von Frauen auf Vinland gibt es archäologische Beweise: Überreste einer Spindel, die zum Spinnen von Garn verwendet wurde, deuten darauf hin, dass sich unter den Siedlern auch Frauen befanden.

Eine Skulptur von Gudrid in ihrem Geburtsort Laugarbrekka im Westen Islands. Sie steht auf einem typischen Drachenkopfschiff. Auf ihrer Schulter befindet ihr kleiner Sohn Snorri.
Gudrid wird in den Sagas als würdevoll und vernünftig dargestellt, wortwörtlich als eine Frau, die „gut weiß, wie man sich unter Fremden verhält.“ In Vinland soll sie offen auf die Inuit zugegangen und sich mit ihnen verständigt haben. Auch für den Kontakt zwischen Inuit und Wikingern gibt es archäologische Beweise. „Im ganzen Zirkumpolargebiet, in dem Inuit lebten, verbreiteten sich durch Handel und Tausch Alltagsgegenstände der Wikinger unter der lokalen Bevölkerung“, sagt Dr. Helmbrecht.
Laut Sagas hat Gudrid achtmal den Atlantik überquert. Zusammen mit ihrem Sohn kehrte sie schließlich nach Island zurück und siedelte sich in Glaumbaer an. Archäologen konnten dort tatsächlich ein Torfhaus ausgraben, dessen Bauweise sehr untypisch für Island war und eher den Wikingersiedlungen auf dem nordamerikanischen Kontinent ähnelte.
Die christliche Gudrid begab sich sogar auf eine Pilgerreise nach Rom (angeblich den Großteil der Strecke zu Fuß) und wurde nach ihrer Rückkehr Nonne. Gudrid gilt als Vorfahrin vieler Isländer*innen. Am Ende der Grænlendinga saga wird nicht etwa die Genealogie des berühmten Erik dem Roten genannt, sondern die von Gudrid.
Aud Ketilsdottir, die Tiefsinnige
Aud wurde um 835 geboren, gelangte aber erst als Witwe zu Berühmtheit, indem sie „mit Energie, Klugheit und Tapferkeit ihr Leben selbst bestimmte“, schreibt Historikerin Claudia Banck in ihrem Buch Die Wikinger. Dass sie erst so spät im Leben größere Freiheiten genoss, lag an den Rechtsvorschriften und der Rollenverteilung der Wikingergesellschaft, denn die war grundsätzlich traditionell: Frauen waren für Haus und Hof zuständig und für die Versorgung von Kindern, Alten und Kranken.
Generell standen die Frauen der Wikinger unter der Vormundschaft ihres Vaters oder ihrer Brüder, und sobald sie heirateten, unter dem Schutz des Ehemannes. Das änderte sich grundlegend, wenn dieser verstarb. „Waren Frauen verwitwet, hatten sie ziemlich große Freiheiten. Sie konnten erben, reisen oder wieder heiraten“, so Helmbrecht. Und genau das tat Aud, die Tiefsinnige.

Aud Ketilsdottir wird in einigen Sagas erwähnt, unter anderem in der Laxdoela Saga sowie im isländischen Landnámabók.
Als Tochter des norwegischen Wikingers Ketil Flachnase floh sie als junge Frau zunächst zusammen mit ihrer Familie von den Hebriden, einer Inselgruppe vor Schottland, die fest in der Hand des tyrannischen Herrschers Harald Schönhaar war. Sie heiratete und war kurzzeitig Königin von Dublin.
Nach dem Tod ihres Mannes in Irland und ihres Sohnes in Schottland entschied sie, Schottland zu verlassen. Dazu beauftragte sie den Bau eines Frachtschiffs. Um das Jahr 915 lud sie ihre Enkel, ihre Gefolgschaft und eine erhebliche Menge Geld an Bord und ließ das Schiff unter ihrem Kommando in Richtung Island segeln. Im Westen der Insel, am Hvammfjord nahm sie sich schließlich Land und gab später sogar mehreren Männern Anteile ihres Landbesitzes. Noch heute leiten viele Isländer*innen ihre Herkunft auf Aud die Tiefsinnige zurück.
„Die archäologischen Nachweise für reale Frauen als Kriegerinnen und Schildmaiden sind nach wie vor extrem spärlich“, so Dr. Helmbrecht. Doch das ändert nichts daran, dass Frauen in der Gesellschaft der Wikinger eine bedeutende Rolle spielten. Sie waren mutig, abenteuerlustig und nahmen Einfluss auf die Gesellschaft – in den Sagas ebenso wie im echten Leben.

NG Cover 03/25
Mehr über die Frauen der Wikinger finden Sie im aktuellen Heft von National Geographic.
