Europas blühende Rosennation
Das „flüssige Gold“, das aus den Blüten gewonnen wird, ist kostbar und teuer. Dennoch können die Rosenbauern kaum von ihrer Arbeit leben.
Bulgariens Rosental erstreckt sich auf etwa 140 Kilometern zwischen zwei Gebirgszügen des Balkangebirges und blüht jeden Mai und Juni in satten Weiß- und Rosatönen auf. Unter dem Kommunismus war die Gegend einst bekannt für die Herstellung von Pistolen, Munition und automatischen Waffen. Mittlerweile ist sie eine der weltweit größten Quellen für ein Öl, das auch als „flüssiges Gold“ bezeichnet wird. Rosenöl trägt diesen Titel nicht ohne Grund: Um einen einzigen Liter zu gewinnen, sind etwa drei Tonnen Rosenblüten nötig. Dementsprechend teuer wird die Flüssigkeit gehandelt. Heutzutage gelten die essbaren, duftenden Rosenblüten als ein Symbol des bulgarischen Nationalstolzes, aber wirtschaftlicher Druck und der Klimawandel bescheren ihnen eine ungewisse Zukunft.
Die verbreitetste Rose im Tal ist die Damaszener-Rose Rosa damascena Mill. Ihr genauer Ursprung bleibt ein Rätsel. Viele Spuren führen in die syrische Hauptstadt Damaskus, während andere sie im alten Persien verankern. Im 17. Jahrhundert brachte ein türkischer Kaufmann die Blumen nach Bulgarien, wo sie heutzutage offiziell als Rosa kazanlika betitelt werden – zu Ehren ihres Anbauortes.
Die Stadt Kazanlak gilt als Herz des Rosentals und veranstaltet am ersten Wochenende im Juni alljährlich das Rosenfest. Besucher können die traditionelle Rosenernte mitverfolgen, den Destillationsprozess kennenlernen, Volkstänze sehen und Rosen in Torten, Seifen, Schmuck, Wein und Raki kaufen. Es gibt sogar eine Parade zu Ehren der Rosenkönigin, die jedes Jahr aus den Schulabsolventinnen ausgewählt wird.
Der komplizierte Anbau der Blumen ist bei Erfolg durchaus Grund zum Feiern. Für Tihomir Tachev und Aleksandrina Aleksandrova – wie für viele Rosenbauern – erweist sich die Pflege ihrer 1,8 Hektar voller Rosen in Buzovgrad als kompliziert und kostspielig. Das Auspflanzen und Schneiden beginnt im Herbst, wenn der Boden bereitet wurde.
Die Pflege erstreckt sich bis ins neue Jahr hinein und umfasst beständiges Düngen, Traktorarbeit, das Abschneiden trockener Zweige sowie die Entfernung von Schädlingen und Unkraut. Im Mai und Juni findet schließlich die Ernte statt.
Zusammen mit vielen anderen Rosenbauern aus dem Rosental haben Tachev und Aleksandrova ganze Säcke mit den Blüten auf die Autobahnen gekippt, um gegen die geringen Preise zu protestieren, für die die Destillerien die Blüten abkaufen. Rosenöl ist bei vielen Kosmetikherstellern wie Dr. Hauschka und Estée Lauder nach wie vor beliebt und teuer. Derweil sind die Preise für die Blüten so weit gesunken, dass sie kaum noch die Kosten für Anbau, Pflege und Ernte decken.
Die Destillerien berichten von einem übersättigten Markt und immer neuen Rosengärten, die jedes Jahr entstehen. Die Bauern hingegen vermuten, dass die Destillerien sich insgeheim absprechen, um den Einkaufspreis für die Blüten zu drücken. Viele Einheimische wünschen sich, dass die Regierung die gesamte Lieferkette von der Produktion bis zur Verarbeitung reguliert und sogar einen vertraglich vereinbarten Mindesteinkaufspreis festlegt. Aber seit dem Ende des Kommunismus 1989 wird Bulgariens Marktwirtschaft nicht mehr von der Regierung bestimmt, sondern von Angebot und Nachfrage.
Aber weder Rosenbauern noch die Besitzer der Destillerien können das Wetter kontrollieren. Rosen mögen sandigen, durchlässigen Boden und ein sonniges Klima mit milden Wintern. Außerdem benötigen sie während ihrer Blütezeit ausreichend Feuchtigkeit. Genau diese Bedingungen herrschen in Bulgariens Rosental, das durch zwei Flüsse und Gebirgszüge von Wetterschwankungen verschont bleibt. In der Region ist es vor dem Mittag für gewöhnlich sonnig, aber kühl, während nachmittags mehr Hitze und gelegentlich Regen aufkommen. Durch diese Bedingungen wird während der Blütezeit die Produktion von Rosenöl stimuliert, welches die Pflanze zur Verteidigung bildet.
Bei unvorteilhaften Wetterbedingungen – wenn die Temperaturen höher als normal sind oder weniger Regen als sonst fällt – können die Pflanzen aber schneller und alle auf einmal blühen. Dann verfliegt der Vorteil einer langsameren, aufeinanderfolgenden Blüte. Infolgedessen muss die für gewöhnlich dreiwöchige Erntephase verkürzt werden und die Bauern geraten unter Druck, weil sie schnell handeln müssen.
Krastina Malcheva vom Nationalen Institut für Meteorologie und Hydrologie erklärt, dass selbst kleine Verschiebungen im Klima des Tals den Rosenanbau beeinträchtigen könnten. „Es gab im Juni einen generellen Trend zum Temperaturanstieg. Obwohl es in den letzten 15 Jahren im Mai vermehrt geregnet hat, können wir neben diesem Temperaturanstieg einen leichten Rückgang beim Regenfall verzeichnen, wenn wir uns die Daten des gesamten letzten Jahrhunderts ansehen.“
Die diesjährige Rosenernte war für Tachev und Aleksandrova eine ganze Woche kürzer. Sie vermuten, dass das trockene und wärmere Wetter zu einer schnelleren Blüte geführt hat. „Wir müssen schneller arbeiten, mit mehr Arbeitern, aber es gibt nicht mehr Arbeiter, weil jeder Rosen pflücken muss“, sagt Aleksandrova. „Also pflücken wir letztendlich bis zu einer späteren Stunde Rosen, als wir sollten. Dann hat das Rosenöl bereits begonnen zu verdampfen.“
Sowohl die Rosenbauern als auch die Erntehelfer sind um die Nachhaltigkeit ihres Produktes besorgt. Dabei fällt es schwer, sich das Rosental – oder ganz Bulgarien – ohne die charakteristischen Blüten vorzustellen. In Kazanlak ist eine Rose eine Art unantastbare Marke: Die Blumen und Blüten prangen auf der Kleidung und dem Schmuck von Passanten, dienen als Namensgeber für Hotels und Museen, sind als Tattoo auf den Armen der Erntehelfer zu sehen oder dekorieren Gebäck auf den Marktplätzen.
„Der Anbau von Rosen ist ein großer, harter Kampf“, sagt Tachev über den heiklen Prozess. „Die Landwirtschaft ist ein Labor unter freiem Himmel, nicht wahr? Sie steht einem offen, aber sie liegt nicht völlig in der eigenen Hand. Meine Großmutter hat immer gesagt, solange man es nicht erntet, gehört es einem auch nicht. Ein einziger Hagelschauer und alles ist weg.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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