Zauberwelt unter Normalnull

Die Calamian-Inseln im Westen der Philippinen sind eine Schatztruhe der Natur, mit heißen Vulkanseen und einer besonders reichen Artenvielfalt – aber auch mit unentdeckten Wracks des Zweiten Weltkriegs.

Von Marc Bielefeld
Veröffentlicht am 28. Okt. 2019, 10:39 MEZ
Boote der Tauchschulen dümpeln in der Bucht von Coron, einem der schönsten Tauchreviere der Welt.
Boote der Tauchschulen dümpeln in der Bucht von Coron, einem der schönsten Tauchreviere der Welt.
Foto von Colour Box

Um die halbe Erde bin ich geflogen, um mich den Fluten zu ergeben, aber noch ist von den Verheißungen des Meeres nicht viel zu spüren. Mopeds knattern durch die Straßen von Coron Town, fliegende Händler verkaufen Zuckerstangen und Plastikhubschrauber, mitten im Gewimmel kommen zwei rappelvolle Busse auf mich zu. „Jesus ist unser Schild“ und „Liebe Gott über alles“ prangt über den Windschutzscheiben.

Coron Town ist die lebhafte Hauptstadt von Busuanga, einer der Calamian-Inseln zwischen der Sulusee und der Meerenge von Mindoro im Westen der Philippinen. In Richtung Hafen sind überall Tauchschulen zu sehen.

Genau darum bin ich hier: um mich in eines der vielfältigsten Seegebiete der Welt zu stürzen. Das Meer der Philippinen weist laut WWF eine der höchsten Biodiversitäten der Erde auf. Die Gewässer zählen zum sogenannten „Coral Triangle“. An die 600 Spezies riffbildender Korallen und 2000 Arten unterschiedlicher Korallenfische sind hier gefunden worden. Sechs von sieben Arten von Meeresschildkröten kommen zwischen den mehr als 7 000 Inseln der Philippinen vor, dazu schöne, aber hochgiftige Seeschlangen. Doch die Calamian Islands sind noch einmal etwas Besonderes: Rund um Busuanga bilden 127 weitere Inseln einen eigenen Archipel. Ich hörte von Vulkanseen und unerforschten Wracks, von entlegenen Riffen und einem Volk, das seit je am und vom Meer lebt.

Unten am Strand leihe ich mir ein paar Stunden später ein Seekajak. Am Ufer ist das Meer klar wie Glas, der Sand weiß wie Zucker. Weiter draußen leuchten erste Korallen aus der Tiefe, in der Strömung wedeln die Tentakel von Seeanemonen. Ich sehe bunte Lippfische, und Zitronenfische kreisen. Dann hole ich Luft und tauche das erste Mal in der Maricaban Bay ab. Barrakudas schwimmen am Riff, ein Papageifisch kommt des Weges, als Nächstes pulsiert ein Schwarm mit Hunderten silbriger Großaugenmakrelen durchs blaue Wasser.

Mittags steht Dirk Fahrenbach am Steg vor dem Dugong Dive Center. Fahrenbach stammt aus Bergisch-Gladbach und lebt seit 23 Jahren auf den Philippinen. „Hier siehst du Pottwale und Korallengärten und 600 Meter tiefe Steilwände“, sagt er. Auch wegen der japanischen Jagdflugzeuge, die hier auf dem Grund liegen, sei Palawan – die Provinz, zu der die Calamian-Inseln gehören – für Taucher einer der schönsten Abenteuerspielplätze der Welt. Heute will er mir aber erst einmal Dugongs zeigen.

Zwischen den Seegraswiesen an der Küste lebt eine der raren Populationen. Dugongs schmecken nach Kalbfleisch, heißt es, vielerorts sind sie darum ausgerottet. „Man sollte sich an strenge Regeln halten, wenn man ihnen im Wasser begegnet“, erklärt Fahrenbach. Niemals von hinten anschwimmen, nicht mit den Flossen wedeln, beim Schnorcheln niemals abtauchen. Das könnte die Riesen grantig machen.

Eine halbe Stunde später gleiten wir mit acht anderen Schnorchlern ins Wasser. Es dauert nicht lange, bis die erste Seekuh am Grund zu sehen ist. Das Weibchen wühlt im Sand, zupft an einem Büschel Seegras. Schwimmt davon, kommt wieder. Diesmal mit ihrem Kalb und einem Bullen im Schlepp. Was hatte Fahrenbach auf dem Boot noch gesagt? Die Tiere werden bis zu drei Meter lang, 300 Kilo schwer und mit Tempo 25 ziemlich schnell. Ich staune, wie flink die drei durch ihr Revier schwimmen. Gut eine Stunde folgen wir ihnen.

Mit dem Boot fahren wir weiter raus und erreichen Diboyoyan Island und Dimakya Island, nordöstlich von Busuanga. Palmen, Kokosnüsse. Davor die Lagune. Ein minzgrünes Meer. Ich springe sofort hinein. In fünf Meter Tiefe nimmt ein Schwarzspitzen-Riffhai Kurs auf die Korallen, in acht Meter Tiefe treffe ich einen schlafenden Tintenfisch, in zehn eine Karettschildkröte. Ein Meter Durchmesser, spitzer Schnabel. Seit 100 Millionen Jahren gibt es diese Art. Ich schaue das Tier an, es schaut mich an. Beim Freitauchen entdecke ich pinkfarbene Garnelen und ein winziges Seepferdchen, das aussieht wie ein grünes Algenblatt. Zwei Stunden bleibe ich im Wasser, es wimmelt von Fischen.

Tags darauf fahren wir mit einer Bangka weit aufs Meer. Nach drei Stunden kommt das Meeresschutzgebiet Apo Reef in Sicht. Ein Atoll im blanken Meer. Mittendrin eine kleine Insel, nur von Rangern bewohnt. Die Unterwasserhänge sind vom Boot aus gut zu erkennen, senkrecht brechen sie in die Tiefe hinab.

Apo Reef ist laut Unesco das zweitgrößte zusammenhängende Korallenriff der Welt, das größte der Philippinen, seit 1996 Schutzzone. Mehr als 500 verschiedene Weich- und Steinkorallen und fast 400 Fischarten sind hier gezählt worden: Mantas, Hammerhaie, Thunfische, Fledermausfische und Füsiliere aus der Familie der Schnapper. Ich lege die Tauchausrüstung an, setze die Maske auf und lasse ich mich ins Glück fallen.

Morgen werde ich einige Großmeister treffen: Das Volk der Tag­banuwa hat über Jahrtausende so viel Zeit unter Wasser ver­bracht, dass sich die Körper ihrer Taucher angepasst haben. Sie können minutenlang ohne Flasche unten bleiben.

Von Busuanga Bay im Süden fahren wir los, Kurs Südost. An Bord des Auslegerboots ist auch Solomon Daitol, den alle King Solomon nennen. Sein Vater nahm ihn das erste Mal mit zum Speerfischen, als er sechs war, seitdem ist das Meer um die Cala­mian­-Inseln sein Zuhause. Daitol geht bis heute fischen, zusätz­lich arbeitet er als Guide. Er zeigt mir seine Flossen. Er hat sie aus einem Stück Abflussrohr und dem Schlauch eines alten Autoreifens gebaut. „Wir werden die Tagbanuwa am Mittag treffen“, sagt Daitol. „Sie sind zurückhaltend, aber ich kenne sie gut.“

Nach einer Stunde erreichen wir Coron Island, eine grün-braune Insel, die sich steil aus dem Meer erhebt. Die Lagunen flimmern in einem hellen Türkis. Kurz vor dem Ufer schwimmt ein anderthalb Meter langer Waran.

Dreizehn Seen haben sich auf Coron Island gebildet. Der Bar­racuda Lake und der Kayangan Lake sind die einzigen, die Fremde besuchen dürfen; alle anderen liegen auf dem Territorium der Tagbanuwa. Das Volk lebt bis heute zurückgezogen in winzigen Dörfern und Hütten am Meer. Erst im Jahr 1998 wurde ihnen ihr Land zurückgegeben: mehr als 200 Quadratkilometer rund um Coron Island, die die Tagbanuwa heute verwalten und nutzen. Sie sind Meeresmenschen, von denen erstmals der Entdeckungs­reisende Antonio Pigafetta berichtete, als er mit Magellan 1521 Palawan erreichte.

Wir müssen klettern. In der sengenden Hitze wiegt die Tauch­flasche schwer auf dem Rücken. Ich schwitze, nur mit Shorts und Schuhen bekleidet, während wir steile Felsen zum Barracuda Lake überwinden. Ich sehne mich nach Abkühlung und werfe mich sofort in den See. Aber unten wird das Wasser nur noch wärmer. Heiße Quellen speisen den vulkanischen See, und jen­seits der 20 Meter zeigt der Tauchcomputer eine sagenhafte Wassertemperatur an: 39 Grad!

Mein Herz pocht. Wir tauchen noch etwas weiter, und nun offenbart sich das wahre Panorama des Sees. Unterwasserklippen türmen sich auf. Verkarstete Kalksteinfelsen, die sich 60 Meter in die Tiefe bohren. Eine durch Erosion entstandene Unterwelt aus Felsnadeln und Canyons.

Zurück an der Lagune sitzen am Ufer acht Tagbanuwa. Daitol, der ihre Sprache spricht, hatte vorab Kontakt geknüpft. Die Frau­en und Männer sind ziemlich still. Es gibt Reis, Früchte, gegrillten Fisch, serviert auf Bananenblättern. Sie würden in Barangays leben, kleinen Gemeinden, erzählt Jerson Pulilan, einer der acht. Sie tauchten nach Fischen und kletterten in die Felsen, um die Nester und Eier der Weißnestsalangane zu sammeln. „Wie viele Tagbanuwa gibt es noch?“, will ich wissen. „Um die 2000 hier in Coron“, antwortet er. Er nimmt eine Hand Reis, schaut aufs Meer. Die Tagbanuwa blicken Fremden selten ins Gesicht.

„Wie lange können Sie unten bleiben?“, frage ich. Rodel La­bitag schaut mich aus der Runde an und sagt: „Drei Minuten.“ Er hat eine Harpune dabei, eine Maske, seine Flossen. Sie sehen aus wie alte Tischtennisschläger, mehr braucht er nicht. Mit dem Boot fahren wir später zwei Lagunen weiter. Keine zehn Minuten später schwimme ich im klaren Wasser neben den Felsen, begleitet von Labitag und Edwin Aguilar, einem weite­ren Speerfischer der Tagbanuwa.

Plötzlich tauchen sie ab, auf zehn, fünfzehn Meter, ganz mühelos. Im Nu noch tiefer. Seelenruhig gehen die beiden in Position, harren vor den Nischen der Koral­len aus, spähen eine halbe Ewigkeit nach Fischen – ohne einmal an die Oberfläche zu kommen. Dann rast ein Speer durchs Meer, trifft einen kleinen Fisch. Und Rodel Labitag spaziert da unten tatsächlich zu seiner Beute, auf seinen kurzen Flossen über den Meeresboden.

 

Dieser Artikel ist gekürzt. Die komplette Fassung steht in der Ausgabe 3/2019 des National Geographic-Travelers mit dem Titel "Trauminseln. Ganz weit weg vom Alltag".

 

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