Kap Hoorn: Bürgermeister ohne Bürger

Die Isla Hornos in Chile ist die südlichste bewohnte Insel der Erde. Dort leben Albatrosse, Pinguine - und jedes Jahr ein neuer Bürgermeister mit seiner Familie. Ein Gespräch über die Motivation, ans Ende der Welt zu ziehen.

Von Daniel Lerche
Veröffentlicht am 25. Sept. 2020, 10:53 MESZ

Seit 2005 bezieht jedes Jahr ein neuer Marine-Offizier mit seiner Familie Stellung auf der Isla Hornos. Ariel Barrientos Zapata sieht es als Ehre, seinem Land am „Ende der Welt“ dienen zu dürfen.

Foto von Ariel Barrientos Zapata

Monatelang allein mit der Familie, ein Leben isoliert von anderen: Für Millionen Menschen wurde dieses Szenario in diesem Jahr durch COVID unfreiwillig zur Realität. Ariel Barrientos Zapata, 46, hat sich aufwändig beworben für das Leben in Isolation: Der chilenische Marine-Offizier ist im Dezember 2019 freiwillig nach Kap Hoorn gezogen, die Südspitze der südlichsten bewohnten Insel der Erde, Isla Hornos.

Für ein Jahr ist er der Bürgermeister an einem Ort ohne Bürger, mit ihm leben hier nur seine Frau, seine drei Kinder (2,4 und 6 Jahre alt), Dackel Paquita und viele Vögel. Der nächste Arzt oder Supermarkt ist hunderte Kilometer Luftlinie entfernt.

Das circa zehn Quadratkilometer große Inselplateau Kap Hoorn gehört zu Chile und gilt als südlichster Punkt Südamerikas, auch wenn die Diego-Ramirez-Inseln eigentlich noch südlicher liegen. Diese sind jedoch nicht bewohnt. Vor den Felsen von Kap Hoorn treffen sich Atlantik und Pazifik. Die See ist so rau wie das Wetter, Stürme gehören zum Alltag, es regnet 280 Tage im Jahr, die Temperaturen steigen nur selten über 12 Grad.

An Land gibt es einen Leuchtturm, ein winziges Postamt, eine Kapelle und ein Rathaus, das auch Wohnhaus des Bürgermeisters ist. Im Postamt können Touristen – die, wenn es das Wetter erlaubt, mit Schlauchbooten von großen Schiffen zu Besuch kommen – Postkarten versenden vom Ende der Welt. Der Poststempel ist weltweit begehrt.

Auf der Insel befinden sich lediglich ein Leuchtturm, ein winziges Postamt, eine Kapelle und ein Rathaus, das zugleich das Wohnhaus des Bürgermeisters ist. Der nächste Arzt oder Supermarkt ist hunderte Kilometer Luftlinie entfernt.

Foto von Ariel Barrientos Zapata

Entdeckt wurde das Kap Hoorn im Jahr 1616. Seine Umschiffung war bis zur Fertigstellung des Panamakanals 1914 der wichtigste Seeweg von Europa an die Westküste Nord- und Südamerikas und zurück. Die Umsegelung war und ist gefährlich: Über 800 gesunkene Schiffe liegen auf dem Grund vor der Insel, es sind mehr als 10.000 Menschen ertrunken. An sie erinnert heute eine Albatros-Statue.

Die Anlage der chilenischen Marine gibt es dort seit 1970. Seit 2005 bezieht jedes Jahr im Dezember ein neuer Marine-Offizier mit seiner Familie Stellung. Die Arbeit ist hoch angesehen, auch Ariel Barrientos Zapata sieht es als Ehre, seinem Land am „Ende der Welt“ dienen zu dürfen: „Meine Motivation war zum einen die Erfahrung auf Familienebene, zum anderen wollte ich als Soldat der chilenischen Marine einen Beitrag für unser Land leisten“, sagt er.

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    Herr Barrientos Zapata, um ans Ende der Welt zu ziehen, mussten Sie sich bewerben. Wie muss man sich eine solche Bewerbung vorstellen?

    Der Unterschied ist: Man bewirbt sich nicht alleine. Meine ganze Familie wurde im Vorfeld medizinisch untersucht und gecheckt. Dabei ging es nicht nur um physische Gesundheit wie zum Beispiel den Zustand der Zähne – der nächste Zahnarzt ist weit weg –, sondern auch um die Psyche. Sie muss bei allen Familienmitgliedern stabil genug sein für das Leben hier draußen. Wenn das alles stimmt, gibt es weitere Gespräche mit der Marine, und dann wird ausgewählt. Der letzte Schritt war die Entfernung des Blinddarms bei allen Familienmitgliedern, außer bei unserer zweijährigen Tochter.

    Klingt hart – mussten Sie Überzeugungsarbeit leisten bei Ihrer Familie?

    Nein, wir haben den Schritt gemeinsam entschieden. Anders geht es auch nicht. Meine Frau erledigt die Aufgaben des Bürgermeisters auf Augenhöhe mit mir, wir sind ein Team. Ohne sie wäre der Aufenthalt viel schwieriger.

    Wie kamen Sie auf die Idee, nach Kap Hoorn zu ziehen?

    Neben der speziellen Erfahrung mit der Familie wollte ich unserem Land dienen. Hier die Gäste aus aller Welt in Empfang zu nehmen, ist eine Ehre. Und der Job muss gemacht werden: Meine Aufgabe ist es, hier Stellung zu halten, Wetterberichte zu schreiben und als Teil der chilenischen Marine die Sicherheit auf den Meeren zu gewährleisten und so das menschliche Leben auf See zu schützen.

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    Wie einsam ist das Leben hier?

    Wir sind Gott sei Dank eine große Familie und die Kinder sind jung, sie halten uns den ganzen Tag auf Trab. Meistens wird es dunkel, ohne dass wir es merken. Und die Einsamkeit und Abgeschiedenheit fördert die Fantasie: Wir machen Experimente, wir lernen gemeinsam, lösen Aufgaben, wir spielen, machen Gymnastik und erkunden die Gegend.

    Haben Sie Handys?

    Nein. Der Kontakt zur Außenwelt läuft übers All: Satelliten-Internet, Festnetz und Satellitenfernsehen verbinden Kap Hoorn mit der Welt und funktionieren je nach Wetter mal besser, mal schlechter.

    Wie bereitet man sich auf so ein Jahr vor?

    Wir wussten, dass wir auf der Insel auf uns alleine gestellt sind, also habe ich versucht, alle Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, damit es allen hier gut geht, vor allem den Kindern. Ich habe die Lieblings-Lebensmittel der Kinder gekauft, Süßigkeiten, Obstkonserven, Milchprodukte. Dann ein Erste-Hilfe-Kit, Pflegeartikel, Schulbedarf, Bücher, Kinderkleidung – auch größere Größen, wenn die Kleinen wachsen. Und eine Nintendo Wii.

    Wie sieht ein normaler Arbeitstag des Bürgermeisters aus?

    Mein Arbeitstag startet um 8 Uhr mit dem Wetterbericht, den ich bis 3 Uhr nachts alle drei Stunden senden muss. Morgens und nachmittags mache ich Verwaltungsarbeit, einschließlich der Kontrolle des Seeverkehrs der Schiffe, die in meinem Zuständigkeitsbereich fahren. Ich checke die Stromgeneratoren, prüfe die Regenwasserpegel in den Teichen, von denen wir unser Wasser beziehen. Das alles ist lebensnotwendig: In der Stadt sind Strom und Wasser selbstverständlich, hier muss man sich selbst darum kümmern, dass alles läuft. Daneben versuche ich, mit den Kindern zu spielen und meine Frau bei der Ausbildung und der täglichen Arbeit im Haushalt zu unterstützen.

    Was waren die schönsten Momente bislang?

    Wir hatten eine 93-jährige Besucherin hier, die schon die entlegensten Orte der Welt besucht hat, unter anderem den Mount Everest. Mit dem Anstieg zum Albatros Monument hat sie ihre Liste abgeschlossen, das war rührend. Und es ist toll, dass ich so viel Zeit mit meiner Frau und den Kindern verbringen kann. Wir nehmen jede Mahlzeit gemeinsam ein, ich bekomme alles mit. Unsere Ehe ist stärker geworden durch die Erfahrung hier.

    Hatten Sie schon gefährliche Situationen hier?

    Richtig gefährliche nicht, aber unangenehme. Einmal hatten wir plötzlich Wasserknappheit, weil durch unterirdische Winde das Wasser aus den Teichen stark gesunken war. Es dauerte eine Weile, bis das behoben war. Wir mussten unseren Verbrauch stark drosseln und gleichzeitig bei den Kindern so tun, als sei alles wie immer. An einem anderen Tag konnte das Schiff, das uns Lebensmittel liefert, nicht richtig anlegen und warf die komplette Lieferung an den Strand. Ich war den kompletten Tag damit beschäftigt, die Sachen vom Strand ins Haus zu tragen. 300 Meter hin, 300 zurück.

    Obwohl einiges auf der Insel fehlt, so hat Ariel Barrientos Zapata das Wichtigste stets bei sich: seine Familie. 

    Foto von Ariel Barrientos Zapata

    Wann und wie haben Sie hier am Ende der Welt von Corona erfahren?

    Wir wurden im Januar informiert. Hier kommen wie gesagt viele Touristen her, zwischen Oktober und März waren es 10.000 Menschen aus vielen Nationen. Vom Kapitän des Hafens von Puerto Williams haben wir Masken und Handschuhe bekommen, um uns und die Besucher zu schützen.

    Hat sich Ihr Leben seitdem verändert?

    Sicher nicht so sehr wie an anderen Orten der Welt, aber wir hatten am Anfang Angst, dass uns einer der Besucher anstecken könnte, und es gab viele Fehlinformationen, die uns verunsichert haben. Und natürlich kamen und kommen weniger Menschen.

    Sie haben sich Monate lang vorbereitet auf das Leben in der Isolation. Welchen Rat haben Sie für den Rest der Welt in Zeiten der Coronavirus-Pandemie?

    Ich betrachte mich nicht als Experten für soziale Isolation, aber wenn ich einen Rat geben müsste, würde ich Ihnen sagen: Planen Sie den Tag mit Aktivitäten. Genießen Sie Familienmomente. Schreien, tanzen, singen Sie, um Stress zu vermeiden. Seien Sie geduldig und tolerant. Und: Pflegen Sie die Kommunikation mit Ihren Lieben.

    In unserer Podcast-Folge „Patagonien: Geschichten vom Ende der Welt" sprechen wir mit Ariel Barrientos Zapata über weitere Erfahrungen und Herausforderungen, die er als „Bürgermeister des Meeres“ gemacht hat. 

     

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