4200 Kilometer Odyssee: Extremkletterer erreichen den anspruchsvollsten Berg Amerikas

Zwei der weltbesten Kletterer teilen im exklusiven Interview, was sie auf ihrer Reise gelernt haben – und warum nicht alles davon gut war.

Von Mark Synnott
Veröffentlicht am 27. Nov. 2024, 10:24 MEZ
Besteigung der Cat’s Ears in Alaska

Anfang vom Ende: Honnold und Caldwell machen sich an die Besteigung der beiden Spitzen der Cat’s Ears – ihr erster Versuch, die fünf Gipfel des Devils Thumb Massivs zu erklimmen.

Foto von Matt Pycroft

Es ist tatsächlich noch nicht so lange her, dass sich die größten Kletterer dieser Welt in relativer Unbekanntheit an spektakulären Felswänden hochgekämpft haben. Zwei der besten haben das mittlerweile geändert. Tommy Caldwell und Alex Honnold sind Hauptdarsteller in erfolgreichen Dokumentarfilmen, sie haben das Klettern außerdem im Mainstream verankert. Caldwell schaffte den Durchbruch 2015, als er mit einem Partner die Dawn Wall im Yosemite-Nationalpark in 19 Tagen schaffte. Sie galt damals als schwierigste Kletterroute der Welt. Zwei Jahre später setzte Honnold den Begriff „Free Solo“ in den allgemeinen Sprachgebrauch um, als er den berühmten Monolithen El Capitan im Yosemite-Tal ohne Seil und Sicherung bestieg. Ein Oscar-prämierter Film verewigt die faszinierende Leistung.

Obwohl beide nach wie vor leidenschaftlich klettern, engagieren sie sich zunehmend auch für Umweltfragen. Caldwell hörte von dem Ecopoint-Konzept, das zwei deutsche Sportlerinnen geprägt haben: Analog zum Rotpunktklettern, bei dem eine Wand aus eigener Kraft ohne Ausruhen im Seil oder Hochziehen an Haken durchstiegen wird, steht das Ecopoint-Konzept von Lena Müller und Sofie Paulus für eine möglichst nachhaltige und emissionsfreie Anreise zum Fels. Caldwell und Honnold fragten sich: Wie könnte die ultimative grüne Expedition aussehen? Die Entscheidung der beiden Freunde fiel auf den Devils Thumb, einen isolierten, 2767 Meter hohen Berg in Alaska, der für viele als unbesteigbar galt. Sie entwarfen eine rund 4200 Kilometer lange Route durch einige der schönsten Landschaften Nordamerikas und machten sich von Caldwells Zuhause in Colorado aus mit dem Fahrrad auf den Weg. Es kamen auch ein Segelboot, Seekajaks und Packraft-Schlauchboote zum Einsatz. Am Ende stand eine extreme Kletterroute. Die neue Dokumentation The Devil’s Climb auf Disney+ erzählt von dieser Reise.

NATIONAL-GEOGRAPHIC-Autor Mark Synnott, selbst professioneller Bergführer, sprach mit Caldwell (46) und Honnold (39) über ihre Erlebnisse, die Herausforderungen der Ecopoint-Idee, ihren Umgang mit Risiko und ihre Verantwortung als Väter kleiner Kinder. Sie redeten auch darüber, wie man Fotos auf einem Gipfel von der Größe eines Pizzakartons macht. (Das Interview wurde in der Online-Version gekürzt.)

MARK SYNNOTT: Woher kam die Idee für diese Reise?

TOMMY CALDWELL: Ich wollte schon immer eine lange Radtour machen, und ein großer Trip war überfällig, weil ich während der Corona-Pandemie nichts dergleichen unternommen hatte. Vor allem sah ich darin eine Chance, das Bewusstsein für den Tongass National Forest zu schärfen. Er erstreckt sich fast über den gesamten Alaska Panhandle und ist der größte gemäßigte Regenwald der Erde. Ich wollte seinen Schutz zum Thema machen. Ich kannte den Devils Thumb, nachdem ich [Jon] Krakauers Bericht über den Besteigungsversuch gelesen hatte. Inspiriert hat mich auch der Road Trip [von Kalifornien] nach Patagonien, den Doug Tompkins und Yvon Chouinard 2015 unternommen hatten. Ursprünglich wollte ich allein nach Alaska fahren, aber dann wurde mir klar, dass es viel mehr Spaß machen würde, das mit einem Freund zu tun. Also rief ich Alex an.

ALEX HONNOLD: Zuerst hat er Nein gesagt.

TOMMY CALDWELL: Ja, genau.

ALEX HONNOLD: Um genau zu sein, habe ich Nein gesagt, weil Tommys ursprüngliche Idee eine Kajaktour entlang der gesamten Küste Alaskas vorsah – eine zweieinhalbmonatige Reise. Das wäre mir eine zu lange Trennung von meiner Familie gewesen. Zuerst hatte ich überlegt, zum Klettern dazuzustoßen, aber es kam mir komisch vor, den Hauptteil der Expedition zu verpassen. Ich habe schon ein paar coole Fahrradtouren unternommen und fand es immer cool, so in die Landschaft einzutauchen. Ich hoffte, dass dieses Abenteuer so etwas wie eine persönliche Verwandlung sein würde.

SYNNOTT: Und, war es das?

Bootsfahrt auf dem Scenery Lake in Alaska

Berge im Nebel spiegeln sich auf der Oberfläche des Scenery Lake in Alaska. Honnold und Caldwell haben ihn auf der Anreise in leichten, aber dennoch stabilen Schlauchbooten überquert.

Foto von Renan Ozturk

ALEX HONNOLD: Nicht wirklich. Es war ein unglaubliches Abenteuer, und wir sind eine Menge cooler Routen geklettert. Aber ehrlich gesagt fühlte sich die Radtour durch den Westen wie eine Schinderei an, und was ich sah, machte mich irgendwie traurig. Der Einfluss des Menschen auf die Natur hat sich mir noch nie so gezeigt. Wir sind rund 3800 Kilometer geradelt, und im Grunde waren die Nationalparks die einzigen Orte, die unberührt wirkten. Alles andere wirkte abgeholzt, abgebaut oder irgendwie ausgebeutet. Und viele der Gemeinden, durch die wir geradelt sind, wirkten einfach nicht so, als ob sie florieren würden.

TOMMY CALDWELL: Das Erleben all dieser menschlichen Einflüsse, also der Grund, warum wir diese Reise überhaupt gemacht haben, hat uns nur noch deutlicher gemacht, wie viel wir bereits zerstört haben. Und es hat gezeigt, wie wichtig unsere Nationalparks sind, denn sie sind die einzigen noch sehr ursprünglichen Orte.

ALEX HONNOLD: Ich habe die Reise angetreten, ohne wirklich zu wissen, wie es in British Columbia aussieht. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass es, je weiter wir nach Norden kommen, immer mehr wilde und unberührte Wälder geben würde. Es stellte sich heraus, dass man in den letzten 100 Jahren alles abgeholzt hatte. Sicher, es gibt eine Baumreihe entlang der Straße. Wenn man mit 120 Stundenkilometern im Auto vorbeirauscht, sieht man nur die. Aber wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist, blickt man darüber hinaus. Dann denkt man: „Oh, wow, da draußen gibt es keine Bäume.“ Als Kletterer verbringen wir so viel Zeit in der Natur, auf Berggipfeln und an den abgelegensten, seltsamsten Orten, dass ich glaube, ich hatte die falsche Vorstellung, dass es noch viel unberührte Natur gibt. Ich glaube, das Fazit ist: Die einzigen Orte auf der Erde, die nicht massiv vom Menschen beeinflusst wurden, sind Orte, die zu schwer zu erreichen sind oder keinen wirtschaftlichen Wert haben.

BELIEBT

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    Cover National Geographic 11/24

    Cover National Geographic 11/24

    Foto von National Geographic

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