Die echten Meerjungfrauen: Wie Seekühe alte Mythen und Legenden befeuerten

In vielen Kulturen dachten die Seefahrer, dass die Meeressäuger die berühmten Damen des Meeres seien. Auch Christoph Kolumbus berichtete einst von drei Meerjungfrauen am Bug seines Schiffs.

Von Lang Kanai
Veröffentlicht am 26. Jan. 2018, 12:14 MEZ
Ein Karibik-Manati in Kings Bay. Die Form dieser und anderer Seekuharten hat einst die Vorstellungskraft der ...

Ein Karibik-Manati in Kings Bay. Die Form dieser und anderer Seekuharten hat einst die Vorstellungskraft der Menschen kräftig befeuert.

Foto von Paul Nicklen, National Geographic Creative

Für gewöhnlich beginnen die Rundschwanzseekühe im November mit ihrer Wanderung gen Süden in wärmere Gewässer. Oft schwimmen sie damit aber auch der Gefahr entgegen. In Florida sterben jedes Jahr zahlreiche der trägen Tiere durch Zusammenstöße mit Booten. Auch deshalb gilt der November seit Jahrzehnten offiziell als „Manatee Awareness Month“.

Die Weltnaturschutzunion listet den Karibik-Manati Trichechus manatus – die Rundschwanzseekuh-Art, die am Golf von Mexiko, in der Karibik und an der Nordostküste Südamerikas vorkommt – als gefährdet. Laut ihrer Webseite lebten im Jahr 2018 nicht mal mehr 10.000 Exemplare in freier Wildbahn. 

Der Karibik-Manati gehört zur Ordnung der Seekühe (Sirenia). Die größten Pflanzenfresser des Meeres sind auch jene Wesen, die den Mythen und Legenden rund um Meerjungfrauen immer wieder Leben eingehaucht haben.

Wir haben uns ein paar dieser Vorfälle angesehen.

Christoph Kolumbus und die Meerjungfrauen

Bei seiner ersten Reise nach Amerika erhaschte Christoph Kolumbus einen Blick auf drei „Meerjungfrauen“ am Bug seines Schiffs. In den Aufzeichnungen kann man nachlesen: „Am gestrigen Tag [8. Januar 1493], als der Admiral nach Rio del Oro [Haiti] fuhr, sagte er, dass er eindeutig drei Meerjungfrauen gesehen hat, die aus der See auftauchten. Aber sie seien nicht so schön, wie man es ihnen nachsagt, denn ihre Gesichter hatten ein paar maskuline Züge.“

Tatsächlich sind Seekühe dafür bekannt, dass sie wie die griechischen Sirenen – Fabelwesen, die mitunter als Mischwesen aus Fisch und Frau oder Vogel und Frau – aus dem Wasser auftauchen und in flachem Wasser auch mal senkrecht zu „stehen“ scheinen.

An ihren vorderen Flippern sieht man das Ende von jeweils fünf fingerartigen Knochen, und dank ihrer Halswirbel können sie ihren Kopf drehen. Man kann also durchaus nachvollziehen, wie diese Tiere in der Vergangenheit für menschenähnliche Meerjungfrauen gehalten werden konnten, zumindest aus der Ferne. 

Nach Kolumbus‘ Expeditionen nach Amerika konnte man in Kuriositätenkabinetten oft „kürzlich entdeckte“ Meerjungfrauen aus der Neuen Welt bewundern – für gewöhnlich verstorbene Seekühe. Eine dieser vermeintlichen Meerjungfrauen wurde im englischen Magazine of Natural History einst folgendermaßen beschrieben: „Wenn ich mich recht erinnere, war [das Skelett] ungefähr 1,80 Meter lang. Seine Rückenwirbel mit der breiten Schwanzextremität ließen auf ein kräftiges, fischartiges Körperende schließen. Die Vorderbeine hingegen, vom Schulterblatt bis zu den Extremitäten der Fingerknochen, wiesen für das ungeübte Auge eine sehr große Ähnlichkeit zu den Knochen eines kleinen, weiblichen Arms auf.“

Dame des Meeres

Tausende Kilometer entfernt von den Gewässern, die Kolumbus befuhr, bevölkerte die Gabelschwanzseekuh im Pazifik jahrhundertelang diverse Legenden.

1959 entdeckte man in der malaysischen Tambun-Höhle 3.000 Jahre alte Bilder von Seekühen, die in den Felsen geritzt worden waren. Der Name Dugong, mit dem die Tiere auch bezeichnet werden, geht auf ein malaysisches Wort zurück, das so viel wie „Dame des Meeres“ heißt. 

Im pazifischen Inselstaat Palau, der aus 356 Inseln besteht, spielt die Gabelschwanzseekuh bzw. der Dugong eine zentrale Rolle in den traditionellen Zeremonien und der Folklore der Inselbewohner. Noch immer erzählt man die Geschichten junger Frauen, die in solche sanften Seekühe verwandelt wurden, und hölzerne Schnitzereien erzählen Geschichten von Fischern, die auf dem Meer verloren gingen und Hilfe von Seekühen erhielten.

Olympia E. Morei, die Direktorin des Belau National Museum, sagt, dass „die Einwohner Palaus ihre Umwelt und alle Lebewesen darin respektieren – Bäume, Pflanzen, all die Tiere und Vögel. Wir glauben, dass der Dugong der Legende zufolge einst ein Mensch gewesen ist.“

Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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