Pistolenkrebse: Die Wildwest-Bienen des Meeres
Eierlegende Krebsköniginnen herrschen über sozial komplexe Kolonien. Eine neue Studie wirft nun Licht auf das ungewöhnliche Verhalten.

Knallkrebse (Alpheidae) oder Pistolenkrebse tragen ihren Namen aus gutem Grund: Sie können eine ihrer beiden Scheren mit bis zu 96 km/h zuschnappen lassen und erzeugen dabei neben einem kräftigen Wasserstrahl auch ein lautes Knallgeräusch. So können sie ihre Beute betäuben oder gar töten.
Allerdings ist das noch nicht die interessanteste Eigenschaft dieser Krebstiere, die es sich gern in Schwämmen von Korallenriffen gemütlich machen.
Knallkrebse sind die einzigen bekannten Meerestiere, die eusozial sind, bei denen also eine Arbeitsteilung und ein kollektives Aufziehen des Nachwuchses beobachtbar ist. Für gewöhnlich tritt ein solches Verhalten eher bei Insekten wie Bienen, aber auch bei einigen Säugetieren wie Nacktmullen auf.
Da man eine Eusozialität im Lebensraum Meer bisher nur bei Knallkrebsen beobachten konnte, interessieren sich Forscher sehr dafür, wie diese drei bis sechs Zentimeter großen Tierchen ticken.
In den letzten Jahren haben sie herausgefunden, dass sich die Kolonien dieser Krebse in einem ständigen Kriegszustand befinden. Männchen mit besonders großen Scheren patrouillieren an der Koloniegrenze wie Wachsoldaten und beschützen die eierlegenden Königinnen. Im Zentrum jeder Kolonie befinden sich die Jungtiere, die von den Erwachsenen beschützt und gefüttert werden, bis sie der Kolonie selbstständig dienen können.

„Wenn sie ausgewachsen sind, bleiben sie dort und kümmern sich um die nächste Generation“, sagt Sally Bornbusch, eine Anthropologin und Doktorandin an der Duke-Universität.
In einer neuen Studie beschreiben Bornbusch und ihre Kollegen nun einen interessanten Kompromiss zwischen der Reproduktionsfähigkeit einer Königin und ihrer Wehrhaftigkeit.
KRIEG UND FRIEDEN
Im Rahmen der Studie untersuchten Bornbusch und ihre Kollegen mehr als 300 Knallkrebsköniginnen, die sie im Laufe von 25 Jahren von Schwämmen in den Korallenriffen von Panama, Belize, den Bahamas, Jamaika und Florida abgesammelt haben.

Das Team fand heraus, dass in Kolonien mit nur einer Königin diese oft mehr Eier legt und eine kleinere Schere hat.
Wenn es in einer Kolonie aber mehrere Königinnen gibt, konkurrieren die Königinnen mit den anderen Mitgliedern der Kolonie um Ressourcen. Bornbusch entdeckte, dass diese Königinnen eher weniger Eier legen, dafür aber größere Scheren haben.
Der Zusammenhang zwischen Eiproduktion und Scherengröße mag trivial erscheinen, aber wenn die Forscher mehr über diese Kosten-Nutzen-Abwägung lernen, verstehen sie vielleicht auch, warum nur so wenige Tiere eusoziales Verhalten entwickelt haben und was dadurch gewonnen wird.
„Theoretisch sollte man nicht in der Lage sein, beides gut zu können“, sagt Bornbusch, deren Studie in „PLOS ONE“ erschien. „Man sollte abwägen, ob man seine Energie in die Reproduktion oder in die Verteidigung steckt.“

KREBGSGANG INS NICHTS
Der Biologe Anthony Zera ist allerdings nicht überzeugt davon, dass Bornbusch einen evolutionären Kompromiss entdeckt hat.
Besonders im Labor seien „Kosten-Nutzen-Abwägungen sehr schwer zu messen – viel schwieriger, als sich viele Forscher bewusst sind“, sagt Zera, der diese evolutionären Kompromisse an der Universität von Nebraska-Lincoln untersucht.

Ihm zufolge muss man bedenken, dass für die neue Studie nur sechs Arten von Knallkrebsen untersucht wurden und dass nicht für alle davon Daten für so einen Kompromiss vorliegen.
Bornbusch jedenfalls hätte gern mehr Arten untersucht, aber derzeit sind nur sieben oder acht Arten eusozialer Knallkrebse bekannt.

Als nächstes will Bornbusch untersuchen, wie lange die Krebse leben, wie sich neue Kolonien bilden und wie die Königinnen die Fortpflanzung der anderen Weibchen in der Kolonie unterdrücken.
Leider rennt ihr die Zeit davon – die Knallkrebse scheinen zu verschwinden, womöglich aus denselben Gründen, die für das weltweite Korallensterben verantwortlich sind.
Vor zehn Jahren dominierten diese Tiere die Lebensräume der Riffschwämme, erzählt Bornbusch, aber heute sind sie vielerorts regional ausgestorben.
Wir machen uns wegen all der schönen Fische Sorgen darum, dass wir die Korallenriffe verlieren könnten, so Bornbusch, „aber das wirkt sich auch auf diese winzigen Organismen aus, die für die Wissenschaft aber sehr wichtig sind.“
DAS KÖNNTE IHNEN AUCH GEFALLEN
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