Ground Zero der Amphibien-Apokalypse gefunden

Ein tödlicher Pilz vernichtet weltweit ganze Amphibienbestände. Bislang sind fast 700 Arten betroffen.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 17. Juli 2018, 17:06 MESZ
Seit den Siebzigern sorgt der Pilz Batrachochytrium dendrobatidis für zahlreiche Massensterben unter Amphibien, so auch bei ...
Seit den Siebzigern sorgt der Pilz Batrachochytrium dendrobatidis für zahlreiche Massensterben unter Amphibien, so auch bei der Geburtshelferkröte. Diese Exemplare, die von Forschern aufgereiht wurden, starben in den Pyrenäen an dem Pilz.
Foto von Matthew Fisher

Zahlreiche der weltweiten Amphibien blicken in einen existenziellen Abgrund: Ein Pilz, der ihre Haut zersetzt, kann im Handumdrehen die Froschpopulationen ganzer Wälder auslöschen.

Der Chytridpilz Batrachochytrium dendrobatidis hat bereits mehr als 200 Amphibienarten entweder an den Rand der Auslöschung getrieben oder sie gänzlich ausgerottet. Auf der ganzen Welt werden Ökosysteme dadurch radikal verändert.

„Das ist unseres Wissens nach der schlimmste Krankheitserreger der Weltgeschichte, gemessen an seinen Auswirkungen auf die Artenvielfalt“, sagt Mat Fisher. Der Mykologe vom Imperial College London untersucht den Pilz.

Ein internationales Team aus 58 Wissenschaftlern hat nun den Ursprung des Übeltäters entdeckt. Eine innovative Studie, die in „Science“ veröffentlicht wurde, offenbarte, wo und wann er vermutlich erstmals in Erscheinung trat: in den 1950ern auf der koreanischen Halbinsel.

Von dort verbreitete er sich durch menschliche Aktivität über die ganze Welt, wie die Forscher glauben. Die Folge war ein gewaltiges Amphibiensterben in Amerika, Afrika, Europa und Australien.

„[Die Verbreitung des Krankheitserregers] kann von einem beliebigen Einzelereignis ausgegangen sein, von dem kumulativen Effekt mehrerer Ereignisse oder vielleicht von einem großen menschengemachten Ereignis wie dem Koreakrieg“, sagt Simon O’Hanlon vom Imperial College London, der Hauptautor der Studie.

Nun, da Forscher wissen, woher der Pilz kam, können sie diesen Gefahrenherd auf andere tödliche Chytridpilze untersuchen. Die Ergebnisse machen deutlich, dass der weltweite Handel ohne entsprechende Sicherheitsmaßnahmen zu ökologischen Katastrophen führen kann.

„TEPPICHE AUS TOTEN FRÖSCHEN“

Der Pilz – mit Bd abgekürzt – ist deshalb so tödlich, weil er auf die Haut der Tiere abzielt, über welche die Amphibien Wasser und Sauerstoff aufnehmen. Der Chytridpilz zersetzt dort die Proteine und frisst die freigesetzten Aminosäuren. Die betroffenen Tiere werden lethargisch und ihre Haut stirbt Stück für Stück ab. Binnen weniger Wochen sterben sie schließlich an Herzversagen. Einige Arten können der Infektion widerstehen, aber Bd infizierte nachweislich bereits 695 Amphibienarten.

„Es ist ziemlich ungewöhnlich für eine Krankheit, so viele verschiedene Arten zu befallen“, erklärt die Biologin Karen Lips von der University of Maryland. Sie ist eine Expertin für den weltweiten Amphibienrückgang, war an der aktuellen Studie jedoch nicht beteiligt.

Die Auswirkungen des Pilzes erinnern an eine biblische Plage. Jeden August klettern die ausgewachsenen Geburtshelferkröten in den Pyrenäen zum ersten Mal aus ihren Seen. Die infizierten Tiere schaffen es kaum ans Ufer. „Sie schaffen einen letzten Sprung und verenden dann in unseren Händen“, sagt Fisher, einer der Co-Autoren der Studie. „Wenn man an den Seen entlanggeht, sieht man Teppiche aus toten Fröschen.“

BELIEBT

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    Ähnliche Vorfälle begannen sich in den Siebzigern zu häufen. Die Forscher begriffen allerdings erst in den Neunzigern, dass dieser „rätselhafte Rückgang“ ein globales Phänomen war. Sie beschrieben den Chytridpilz im Jahr 1997 erstmals wissenschaftlich, und innerhalb eines Jahrzehnts wurde er dann als Ursache des Massensterbens identifiziert. Derweil setzte der Pilz seinen Feldzug jedoch ungebremst fort. Von 2004 bis 2008 büßte ein Bereich in Panama 41 Prozent seiner Amphibienarten ein, die der Pilzinfektion erlagen.

    Das einst rätselhafte Sterben der Tiere wurde mittlerweile auf den Erregerstamm „Global Panzootic Lineage“ des Chytridpilzes zurückgeführt, der als BdGPL abgekürzt wird. Aber lange Zeit blieb die Frage, woher er kam und wie er sich über die ganze Welt verbreiten konnte, ungeklärt.

    DIE BD-BIBLIOTHEK

    Um das herauszufinden, verbrachten die Forscher ein ganzes Jahrzehnt damit, eine globale genetische Bibliothek für Bd anzulegen. Das Unterfangen führte sie quer durch sechs Kontinente. Die Co-Autorin der Studie und National Geographic Explorer Jennifer Shelton erkundete 2017 beispielsweise die Berge Taiwans, um infizierte Salamander zu finden.

    Als die Forscher schließlich ein krankes Exemplar fanden, schnitten sie ihm einen Zeh ab – eine ungefährliche Methode, um dem Tier eine Gewebeprobe zu entnehmen. Dann isolierten sie den Chytridpilz aus dem Zeh, züchteten ihn in einer Petrischale und sequenzierten dann seine DNA.

    Das Team von O’Hanlon und Fisher sequenzierte 177 Bd-Genome aus der ganzen Welt und kombinierte die Daten mit den 57 Datensätzen, die zuvor veröffentlicht worden waren. Dann verglichen die Forscher ihre insgesamt 234 Genome, um einen Familienstammbaum für den Pilz zu erstellen. Dabei entdeckten sie schließlich vier verschiedene Abstammungslinien.

    Die Proben von der koreanischen Halbinsel zeigten eine größere genetische Vielfalt als alle anderen Proben, was einen früheren Verdacht bestätigte: Die Region war der Ground Zero des Chytridpilzes. Nachdem die Forscher dann auch die Mutationsrate des Pilzes berechnet hatten, konnten sie feststellen, dass der Vorfahre des heutigen BdGPL im frühen 20. Jahrhundert in Asien aufkam. Bis zu seinem Export in den Fünfzigern hatte er dort friedlich mit der lokalen Fauna koexistiert.

    Die Forscher vermuten, dass sich die Infektion durch menschliche Aktivitäten weltweit ausgebreitet hat, zum Beispiel durch die Schifffahrt, das einst boomende Geschäft mit lebenden Fröschen als Schwangerschaftstest, die Haustierindustrie oder gar Großereignisse wie den Koreakrieg. Während des Höhepunkts des Konflikts sah die Region Millionen von Soldaten und Ausrüstungsgegenständen kommen und gehen – mehr als genug Möglichkeiten für infizierte Tiere, in irgendeiner Kiste zu landen und sich auf einem fremden Kontinent wiederzufinden.

    Trotz der internationalen Handelsrichtlinien trägt der globale Haustierhandel eindeutig weiterhin zur Verbreitung des Chytridpilzes bei. Als die Teammitglieder Tierhandlungen in Belgien, dem Vereinigten Königreich, den USA und Mexiko durchkämmten, entdeckten sie Frösche und Kröten mit allen bekannten Stämmen des Pilzes, darunter dem tödlichen Stamm BdGPL.

    DIE VIELEN REITER DER APOKALYPSE

    Fungizide zur Behandlung von Kaulquappen und ihrer Umgebung können infizierte Amphibien heilen – in der Wildnis wurde die Methode bereits erfolgreich angewendet. Derzeit eignet sie sich jedoch nicht für eine weltweite Behandlung der Amphibienpopulationen. Aktuell besteht die beste Option den Forschern zufolge darin, die weitere Ausbreitung des Pilzes zu verhindern. Das ist allerdings leichter gesagt als getan – insbesondere, da es neben Bd noch andere tödliche Pilze gibt.

    2013 identifizierten Forscher dann B. salamandrivorans, eine verwandte Art von Bd, die mit Bsal abgekürzt wird. Der Name des Pilzes lässt sich nicht ohne Grund als „Salamander verzehrend“ übersetzen. Von 2009 bis 2012 vernichtete der Pilz eine niederländische Population von Feuersalamandern fast vollständig: Mehr als 99 Prozent des Bestandes ging daran zugrunde.

    Eine Chinesische Rotbauchunke aus Südkorea, die nach Europa importiert wurde. Der weltweite Tierhandel trägt zu der Verbreitung des tödlichen Pilzes Bd bei, der fast 700 Amphibienarten befallen kann.
    Foto von Frank Pasmans

    Die neue Studie verweist auf die Bedrohung durch Bd-Hybridstämme. Die Wissenschaftler wussten zuvor bereits, dass der brasilianische Bd-Stamm sich mit dem tödlichen BdGPL-Stamm kreuzen kann. Jetzt haben sie entdeckt, dass das Gleiche auch auf den afrikanischen Stamm zutrifft. Wenn sich einst isolierte Erregerstämme zunehmend vermischen, lässt sich kaum noch vorhersagen, welche neuen Hybriden daraus hervorgehen werden.

    „Für mich ist das einer der beängstigendsten Faktoren“, sagt Lips.

    HANDELSVERBOT?

    In den USA ist der BdGPL-Stamm nun bereits präsent, und der U.S. Fish and Wildlife Service beobachtet seine weitere Ausbreitung. Allerdings geht die Behörde derzeit nicht gegen den Import verwandter Stämme vor. Im März 2017 beendete sie ihre Überlegungen, einer Petition aus dem Jahr 2009 stattzugeben, die jeglichen Import von Amphibien verbieten will, wenn die Tiere nicht Bd-frei sind.

    „Der Bd-Pilz ist in der Umwelt der USA bereits großflächig vorhanden, die Regulierung von Amphibienimporten wird also wenig zum Schutz heimischer Amphibien beitragen […] und wäre nur minimal effektiv dabei, die weitere Ausbreitung des Pilzes in andere Bundesstaaten zu verhindern“, sagte Dave Miko in einer Mitteilung. Miko ist der Leiter des Bereichs Fisheries and Aquatic Conservation des U.S. Fish and Wildlife Service.

    „Laut dieser neuen Studie ist Bd nicht nur eine Sache“, entgegnet Lips, die vorschlägt, noch mal über das Verbot von Tieren nachzudenken, die mit Bd infiziert sind. „Wir haben eine Form davon zwar schon hier, aber die anderen Formen wollen wir lieber nicht reinlassen, weil sie noch schlimmer sein könnten.“

    Amphibien aus internationalem Handel sollten ihr zufolge mindestens auf Bd getestet werden, was derzeit nicht konsequent getan wird. Das Landwirtschaftsministerium der USA schreibt beispielsweise keine Gesundheitskontrolle für importierte Amphibien vor.

    Für O’Hanlon und Fisher bestünde die vielversprechendste Lösung darin, den globalen Haustierhandel mit Amphibien einfach ganz zu verbieten.

    „Müssen wir unsere Umwelt wirklich nach Tieren absuchen und sie auf der ganzen Welt gewinnbringend verkaufen, nur damit wir sie in unserem Wohnzimmer in ein Terrarium stecken und sagen können: Hey, das ist cool?“, fragt Fisher. „Das wirkt zwar wie ein harmloser Zeitvertreib, aber wir gefährden damit ganze Ökosysteme.“

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