Alles fürs Entertainment: Die Tortur gefangener Orcas

Die Stars der weltweiten Meeresparks leiden ein Leben lang vor sich hin und sterben einen frühzeitigen Tod.

Von Natasha Daly
Veröffentlicht am 26. März 2019, 18:28 MEZ
Orcas bei einer Vorführung in Sea World San Diego 2014. Die Säugetiere sind enorm intelligent und ...
Orcas bei einer Vorführung in Sea World San Diego 2014. Die Säugetiere sind enorm intelligent und legen in der Wildnis große Entfernungen zurück. Seit Jahrzehnten gibt es Belege für Verhaltensstörungen gefangener Orcas, die durch Stress ausgelöst werden.
Foto von Sandy Huffaker, Corbis, Getty

Im Januar 2019 starb Kayla. Das 30 Jahre alte Orcaweibchen lebte in SeaWorld Orlando. In der Wildnis wäre sie wahrscheinlich mehr als 50 Jahre alt geworden, womöglich sogar 80. Dennoch hatte Kayla länger als jeder andere Orca durchgehalten, der in Gefangenschaft geboren wurde.

Es ist nicht klar, woran Kayla gestorben ist. SeaWorld hat den Nekropsiebericht nicht veröffentlicht und ist gesetzlich auch nicht dazu verpflichtet. Aber die direkte Todesursache mag ohnehin nicht so aussagekräftig sein: Oft sterben Orcas in Gefangenschaft an Lungenentzündungen oder anderen Infektionen, die das ohnehin schon geschwächte Tier befallen, wie aus einer Datenbank mit Nekropsieberichten hervorgeht. Die Datenbank wird von der gemeinnützigen Orca Project Corp. betrieben, die aus Experten für Meeressäugern und Gegnern der Haltung von Orcas in Gefangenschaft besteht.

Seit dem Jahr 1977 wurden weltweit 70 Orcas in Gefangenschaft geboren, wie die gesammelten Daten von Walexperten zeigen. Nicht mitgezählt sind dabei 30 weitere Kälber, die tot geboren wurden oder noch im Mutterleib verstarben. 37 der 70 Tiere, darunter auch Kayla, sind mittlerweile tot. Nur eine Handvoll von Schwertwalen, die in der Wildnis gefangen wurden, sind älter als 30 Jahre geworden. Von jenen Tieren, die in Gefangenschaft geboren wurde, hat das noch kein einziges geschafft.

Aktuell leben 59 Orcas in Aquarien und Parks auf der ganzen Welt. Manche wurden im Meer gefangen, andere in Gefangenschaft geboren. Ein Drittel aller Orcas in Gefangenschaft befinden sich in den USA, und bis auf einen leben alle davon in den drei SeaWorld-Parks in Orlando, San Diego und San Antonio. Lolita, ein 54-jähriges Orcaweibchen, das 1970 vor der Küste des US-Bundesstaats Washington eingefangen wurde, lebt in Einzelhaltung im Miami Seaquarium in einem Pool, der nicht mal doppelt so lang wie das Tier ist.

SeaWorld Orlando zu sehen ist, starb 2019 im Alter von 30 Jahren. In der Wildnis beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung für einen weiblichen Orca 50 Jahre. Viele werden sogar 80 oder 90 Jahre alt.
Foto von Phelan M. Ebenhack, Ap

Weitere zehn Orcas, die im Meer gefangen wurden, leiden momentan in kleinen Meeresbecken an Russlands Ostküste vor sich hin, während die Regierung ihren möglicherweise illegal erfolgten Fang untersucht. Falls die Tiere am Ende verkauft werden sollten – wahrscheinlich an chinesische Aquarien –, könnte die Zahl der in Gefangenschaft lebenden Orcas auf 69 steigen.

Dabei gibt es reichlich Beweise dafür, dass Wale – von kleinen Delfinen bis hin zu größeren Arten – in Gefangenschaft kein gutes Leben führen. Die hoch intelligenten und sozialen Tiere sind evolutionär darauf ausgelegt, im Meer große Entfernungen zurückzulegen. Orcas, ob nun gefangen oder in Gefangenschaft geboren, leiden am meisten, wie Naomi Rose sagt. Die Wissenschaftlerin für Meeressäuger ist für das gemeinnützige Animal Welfare Institute tätig.

Teils liegt das an ihrer schieren Größe. Die massigen Tiere legen in der Wildnis lange Strecken zurück, im Schnitt 65 Kilometer am Tag. Das machen sie nicht einfach nur, weil sie es können, sondern weil sie es müssen – um abwechslungsreiche Nahrung zu finden und sich fit zu halten. Jeden Tag tauchen sie mehrmals in 30 bis 150 Meter Tiefe.

„Das ist ein grundlegender Teil ihrer Biologie“, sagte Rose. Auch ein Orca, der in Gefangenschaft geboren, habe dieselben natürlichen Bedürfnisse. „Wenn man sich evolutionär entwickelt hat, um auf der Suche nach Nahrung und Partnern große Entfernungen zu überwinden, dann ist man auf diese Art von Bewegung ausgelegt, ob man nun ein Eisbär, ein Elefant oder ein Orca ist“, so Rose. „Wenn man [Orcas] in ein Becken steckt, das 45 x 28 x 9 Meter groß ist, macht man aus ihnen im Grunde Couch Potatoes.“

BELIEBT

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    Rose zufolge sei ein guter Indikator dafür, wie gut sich Tiere in Gefangenschaft halten lassen, ihr natürlicher Wirkungsbereich. Je größer der Bereich ist, in dem sich ein Tier in der Wildnis bewegt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass es in einem beengten Gehege gut zurechtkommt. Aus eben diesem Grund kaufen viele Zoos auch keine neuen Elefanten mehr nach.

    Wir können Lebensräume an Land zwar einigermaßen gut nachbilden, beispielsweise Savannen, aber Rose zufolge können wir keinen Ozean nachbauen.

    „Nicht ein einziger Meeressäuger ist darauf ausgelegt, in einer Welt zu gedeihen, die wir ihm in einem Betonkasten bieten können“, sagt sie.

    Zeichen des Leids

    It’s really difficult, animal welfare Laut Tierwohlexperten sei es enorm schwierig, tatsächlich zu beweisen, welche Faktoren die Lebenserwartung von Orcas in Gefangenschaft verkürzen. „Das Problem mit Orcas in Gefangenschaft ist, dass ihr Gesundheitszustand größtenteils ein Geheimnis ist“, sagt Heather Rally, eine PETA-Tierärztin für Meeressäuger. Die einzigen Menschen, die sich wirklich näher mit den Tieren beschäftigen können, sind Angestellte der jeweiligen Einrichtungen. Nur selten dringen Informationen an die Öffentlichkeit.Dennoch ist klar, dass die Gesundheit der Tiere in Gefangenschaft leidet. Am deutlichsten zeigt sich das an einem der wichtigsten Körperteile: ihren Zähnen. Aus einer Studie aus dem Jahr 2017, die von Experten begutachtet wurde und in „Archives of Oral Biology“ erschien, geht hervor, dass ein Viertel der Orcas, die in den USA in Gefangenschaft leben, beträchtliche Zahnschäden aufweisen. Mindestens 70 Prozent hatten in irgendeiner Form geschädigte Zähne. Zwar treten auch bei einigen wilden Populationen Abnutzungserscheinungen, aber diese sind symmetrisch und entstehen im Laufe von Jahrzehnten. Orcas in Gefangenschaft weisen deutlich akutere und unregelmäßige Schäden auf.

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    Laut der Studie entstehen diese größtenteils, weil die Tiere mit ihren Zähnen an den Wänden ihres Beckens entlangschrammen. Oft schaben sie dabei so viel Zahnschmelz ab, dass ihre Nerven freiliegen. Die offenen Stellen sind enorm anfällig für Entzündungen, selbst wenn ihre Pfleger sie regelmäßig mit sauberem Wasser ausspülen.

    Schon seit den Achtzigern wird dieses Verhalten dokumentiert, das durch Stress entsteht. In der Medizin werden solche Verhaltensauffälligkeiten, die scheinbar keine Funktion erfüllen, als Stereotypien bezeichnet. Oft verletzten sich die Tiere dabei selbst – typisch für Exemplare, die in zu kleinen Anlagen gehalten werden und nicht ausreichend Beschäftigung haben.

    Orcas haben von allen Lebewesen auf dem Planeten das zweitgrößte Gehirn. Wie beim Menschen sind auch bei ihnen die Areale für soziale Intelligenz, Sprache und das Ich-Bewusstsein besonders stark ausgeprägt. In der Wildnis leben die schwarz-weißen Wale in Familienverbänden, die ihre eigene, einzigartige Kultur entwickelt haben, welche von Generation zu Generation weitergegeben wird, wie Forschungen zeigten.Orcas in Gefangenschaft werden in künstlich gebildeten Gruppen gehalten. Ein paar Exemplare, darunter auch Lolita, leben sogar ganz allein. Für gewöhnlich werden in Gefangenschaft geborene Orcas viel früher von ihrer Mutter getrennt, als das in der Wildnis der Fall wäre. Männchen bleiben sogar oft ein Leben lang bei ihrer Mutter. Nicht selten wechseln die Tiere mehrfach die Einrichtung. Kayla wurde im Alter von elf Monaten von ihrer Mutter getrennt und viermal von einem SeaWorld-Park zum nächsten gebracht.

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    Der Stress, der durch diese Zerrüttung es sozialen Umfelds entsteht, wird noch durch den Umstand verstärkt, dass die Orcas in den Becken keine Möglichkeit haben, Konflikten mit Artgenossen aus dem Weg zu gehen oder ihrem natürlichen Schwimmverhalten nachzugehen.

    Der Dokumentarfilm „Blackfish“ aus dem Jahr 2013 verdeutlichte die psychologischen Folgen einer solchen Haltung am Beispiel von Tilikum. Der männliche Orca wurde in der Wildnis gefangen und tötete einen der Trainer von SeaWorld Orlando. Im Film zu sehen sind mehrere Interviews mit ehemaligen SeaWorld-Trainern und Walexperten, die darlegen, dass Tilikums Stress direkt zu seiner Aggression gegenüber Menschen führte (er hatte bereits zuvor einen anderen Trainer in einem kanadischen Park in British Columbia getötet). Gerichtsprotokolle zeigen, dass SeaWorld zwischen 1988 und 2009 mehr als 100 Fälle von Orcas dokumentiert hat, die Trainern gegenüber aggressiv wurden. In elf Fällen kam es zu Verletzungen, einer resultierte im Tod des Trainers.

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    In „Blackfish“ kam auch ein ehemaliger Fänger von solchen wilden Orcas zu Wort, der im Detail beschrieb, wie die Jungtiere in der Wildnis eingefangen werden: die kläglichen Rufe der kleinen Wale, die im Netz gefangen sind, die Verzweiflung ihrer Familienmitglieder, die sich um das Netz drängen – und das Schicksal der Tiere, die den Fangversuch nicht überleben. Die Kadaver dieser Jungtiere werden aufgeschnitten, mit Steinen gefüllt und dann im Meer versenkt.

    Mentalitätswandel

    Der öffentliche Aufschrei, den „Blackfish“ auslöste, ließ nicht lange auf sich warten. Hunderrtausende von empörten Zuschauer unterzeichneten Petitionen, in denen SeaWorld aufgefordert wurde, in Zukunft keine Orcas mehr zur Schau zur stellen. Partnerunternehmen wie Southwest Airlines und das Football-Team der Miami Dolphins beendeten ihre Partnerschaft mit SeaWorld. Die Besucherzahlen sanken und die SeaWorld-Aktien fielen so stark, dass sie sich bis heute nicht erholt haben.

    „Wir waren eine kleine Randgruppe. Jetzt sind wir Mainstream. Das ist quasi über Nacht passiert“, erzählt Rose, die sich schon seit den Neunzigern für das Wohlergehen von Orcas in Gefangenschaft einsetzt.

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    Tierrechtsgruppen haben jahrelang versucht, juristisch gegen das Landwirtschaftsministerium der USA vorzugehen. Dessen Aufgabe ist es unter anderem, den Animal Welfare Act durchzusetzen und sicherzustellen, dass das Wohlergehen der Tiere, die für Unterhaltungszwecke gehalten werden, überwacht wird. Diese Bemühungen führten aber nie zum Erfolg, wie Jared Goodman erzählt, der stellvertretende PETA-Justitiar für Tierrecht, der an vielen der Verfahren beteiligt war.

    Aber 2017 änderte sich die Situation langsam. Im Bundesstaat Kalifornien wurde die Zucht von Orcas für illegal erklärt. Bald darauf verkündete SeaWorld, das einen Park im kalifornischen San Diego betreibt, dass es sein Orca-Zuchtprogramm einstellen würde und die derzeitigen Orcas die letzte Generation sein wird, die in SeaWorld-Parks gehalten wird. Obwohl noch 20 Orcas und andere Wale in den Einrichtungen leben und an Shows teilnehmen, konzentriert sich das Unternehmen mittlerweile verstärkt auf das Marketing seiner Fahrgeschäfte.

    Auf Bundesebene hat der demokratische Kongressabgeordnete Adam Schiff regelmäßig eine Gesetzesvorlage zur Abschaffung der Zurschaustellung von Orcas eingebracht. In Kanada soll ein solches Gesetz im Laufe des Jahres verabschiedet werden, das sogar die Zurschaustellung aller Wale verbietet.

    Wohin mit den Walen?

    Allerdings bleibt die Frage, was mit den 22 in Gefangenschaft lebenden Orcas in den USA und Kanada geschehen soll, wenn entsprechende Anlagen geschlossen und die Programme beendet werden. Keines der Tiere kann ausgewildert werden, da sie daran gewöhnt sind, ihre Nahrung von Menschen zu erhalten.

    Das Projekt Whale Sanctuary, das von Wissenschaftlern für Meeressäuger, Tierärzten und Ingenieuren betreut wird, setzt sich für die Etablierung großer Schutzbereiche an Küsten ein, in denen gerettete Wale und die Tiere aus Aquarien und Parks leben können. Das Konzept sieht vor, dass sie in abgeriegelten Bereichen im Meer schwimmen können, aber weiterhin von Menschen betreut und gefüttert werden. Die Gruppe hat bereits potenzielle Bereiche in British Columbia, Washington und Nova Scotia ausfindig gemacht. Die Logistik hinter einem solchen Projekt sei jedoch komplex, sagt Heather Rally, die im Beratergremium der Organisation sitzt.

    „Für jede andere Tierart haben wir Schutzzentren“, sagt sie. Trotz der Herausforderungen ist es daher „höchste Zeit für einen Schutzbereich für Meeressäuger. Das ist längst überfällig.“

    Das Projekt Whale Sanctuary hofft darauf, beim Rehabilitationsprozess der Tiere mit SeaWorld zusammenarbeiten zu können. Das Unternehmen lehnt das Konzept von solchen Schutzbereichen im Meer ab. SeaWorld bezeichnet sie als „Meereskäfige“ und erklärte, dass die Umweltgefahren und so eine radikale Veränderung des Lebensraumes bei seinen Orcas vermutlich großen Stress verursachen und ihnen mehr schaden als nützen würde.

    Auch wenn es im Westen einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft der gefangenen Wale gibt, wächst die Industrie rund um die Meeressäuger in Russland und China weiterhin. In Russland erwarten derzeit zehn kürzlich gefangene Orcas in kleinen Meeresbecken ihr Schicksal. China betreibt mittlerweile 76 Meeresparks, 25 weitere werden derzeit noch gebaut. Der Großteil der Wale, die dort in Gefangenschaft gehalten werden, wurden in der Wildnis gefangen und aus Russland oder Japan importiert.

    China „hatte seinen ‚Blackfish‘-Moment noch nicht“, sagt Rose. Aber sie hofft, dass er kommen wird – denn in den USA hat sie ihn bereits einmal erlebt.

    „Vor zehn Jahren hätten Sie so einen Artikel noch nicht geschrieben“, sagt sie.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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